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Sie
war wohl der ungewöhnlichste Popstar des 20. Jahrhunderts. Ihren Namen kennen
nur wenige, aber die kleine fröhliche Melodie, die sie zu Ehren eines Heiligen
schrieb, können Menschen auf der ganzen Welt pfeifen: "Dominique"
wurde vor genau 40 Jahren zu einem Welthit. Doch der irdischer Ruhm brachte der singenden
Nonne aus Belgien kein Glück. Von ihrem Kloster mit hohen Steuerschulden im
Stich gelassen, nahmen sie und ihre langjährige Gefährtin Annie Pecher
sich unter dem Druck dieser finanziellen Last gemeinsam das Leben.
Jeanine Deckers wurde am 17. Oktober 1933 in Brüssel geboren. Als Älteste
von vier Geschwistern wuchs sie in der Kapitale des wallonischen Teils von Belgien
zunächst sehr behütet auf. Doch ihr Vater Lucien beobachtete aufmerksam
die Schatten, die über dem naziregierten Nachbarland Deutschland aufzogen. Und
so nahm er zu Beginn des deutschen Westfeldzuges seine Frau Gabrielle und die Kinder
und machte sich auf den Marsch nach Westen. Die Hoffnung auf Freiheit und dass Frankreich
der Wehrmacht länger standhalten könnte als das regelrecht überrollte Belgien
wurde jedoch schnell enttäuscht. Die Deckers siedelten sich im besetzten Paris
an, von wo aus Lucien oft aufbrach, um als Mitglied der "Résistance"
im Untergrund gegen die Nazis zu kämpfen. Die Familie überstand den Krieg
so unbeschadet wie es unter den Umständen möglich war und kehrte 1945 in
ihre belgische Heimat zurück. Hier, in Saint Henri nahe Brüssel, beendete
Jeanine auch ihre Schule, kehrte jedoch 1953 zum Studium nach Paris zurück.
Auf einer Kunstschule ließ sie sich, ganz ihrem schon früh erkanntem Talent
folgend, zur Zeichenlehrerin ausbilden.
Den erlernten Beruf übte sie an einer Mädchenschule in ihrer Heimatstadt
Brüssel aus, bis sie schließlich 1959 einer anderen, offenbar tiefer empfundenen
Berufung folgte: Jeanine Deckers trat in den Dominikanerinnen-Orden ein und wurde
zu Schwester "Luc-Gabrielle" (nach den Vornamen ihrer Eltern). Mit in den
Konvent von Fichermont bei Waterloo brachte sie eine Gitarre, die sie kurz zuvor,
ohne sie spielen zu können, erworben hatte. Ihre Mutter Oberin ermutigte sie
im Erlernen des Instruments, und schon bald konnte Luc-Gabrielle, ganz gemäß
der Ordenstradition der Jugendpflege, bei Treffen junger Mädchen durch gesungenes
und gespieltes - natürlich kirchliches - Liedgut erfreuen. Bald schrieb sie
auch eigene Songs, und es gelang ihr, ein professionelles Aufnahmestudio dazu zu
bewegen, ihr kostenlos eine Single zu produzieren: Sie wollte ihrer Oberin eine von
ihr komponierte Ode an den Ordensgründer zum Geschenk machen. Der später
heiliggesprochene Dominikus Guzman hatte in Toulouse 1215 einen Bettelorden gegründet,
der durch Predigt und Unterricht die dem Papsttum feindlich gesinnten Albigenser
"zurück auf den rechten", d.h. papsttreuen Weg führen sollte.
Und so beschreibt "Dominique" in fröhlichen Worten und mit beschwingter
Melodie Leben und Werk des "mutigen und braven Heiligen" ... natürlich
ohne auf die Rolle des Ordens in den blutigen Kriegen gegen die Albigenser oder die
führende Rolle der Dominikaner in der Inquisition hinzuweisen.
Auf nicht mehr nachvollziehbaren Wegen bekam eine große Plattenfirma Wind von
dem kleinen Song, und erkannte schnell sein Potential. Die eingängige Melodie
war ein echter Ohrwurm, und eine singende Nonne im vollen Ornat eine absolute visuelle
Neuheit in der Musikindustrie. Mit Erlaubnis der Mutter Oberin und der Einschränkung,
weder der Name noch das Konterfei ihrer Mitschwester Luc-Gabrielle dürften auf
dem Cover erscheinen, wurde "Dominique" unter dem Interpretinnen-Pseudonym
"Soeur Sourire" ("Die lächelnde Nonne") 1963 veröffentlicht,
mit einer Zeichnung von musizierenden Nonnen statt einer Fotografie auf dem Cover.
"Dominique" wurde binnen kürzester Zeit ein Hit in Belgien und Frankreich,
schaffte es gar weltweit an die Spitzen der Hitparaden. Selbst in den USA führte
der Song für einige Wochen die Charts an. Die Mutter Oberin in Fichermont lächelte
bestimmt auch: Gemäß dem Armutsgelübde führte Luc-Gabrielle
den Löwenanteil ihrer Tantiemen aus dem Plattenverkauf an den Orden ab.
Der ersten Hitsingle folgten einige weitere sowie einige Langspielplatten, waren
jedoch nicht mehr ganz so erfolgreich. Das Phänomen einer Nonne im Musik-Business
zog die Aufmerksamkeit der Filmindustrie auf sich. Hollywood trat an Schwester Luc-Gabrielle
heran und erwarb von ihr die Rechte zur Verfilmung ihrer Lebensgeschichte. Als der
Film "The Singing Nun" - mit Debbie Reynolds in der Hauptrolle - 1966 in
die Kinos kam, reichte es der Mutter Oberin mit der so weltlichen Publicity: Der
Film porträtiert eine lebenslustige, weltoffene Nonne, mit der Gitarre auf dem
Rücken Motorroller fahrend, der auch noch eine Romanze angedichtet wird. Schwester
Luc-Gabrielle ó die die Hollywood-Version ihres Lebens übrigens selbst nicht
guthieß ó wurde danach verboten, noch einen neuen Plattenvertrag zu unterzeichnen.
Aber Luc-Gabrielle mochte sich den Weisungen des Ordens nicht fügen. Stattdessen
verließ sie das Konvent und trat in den Laienstand zurück ó gehörte
damit zwar noch dem Orden an, lebte aber nicht mehr im Kloster. Als Künstlerin
benutzte sie nun den Namen "Luc Dominique" und versuchte in der Folgezeit
vergeblich, an ihre früheren Erfolg anzuknüpfen. Nun als "normale"
Frau in Zivil, die gemäß der Mode Ende der Sechziger in Blümchenbluse
und dicker Brille auf der Bühne stand, hatte sie für das zeitgenössische
Publikum den besonderen, etwas exotischen Reiz verloren. Aus der "flippigen"
Nonne im Ornat war eine etwas altbackene Schlagersängerin mit moralisch-christlichen
Texten geworden. Auch ein geradezu politisch brisanter Song wie "La Pillule
díOr" ("Die goldene Pille"), in denen Luc die Anti-Baby-Pille geradezu
als Geschenk Gottes anpries, konnte an diesem Eindruck nichts mehr verändern.
Anfang der Siebziger hatte sich die Sängerin "Luc Dominique" weitgehend
wieder ins Privatleben zurückgezogen. Zudem hatte sie eingestanden, seit ihrer
aufsteigenden Popularität tablettenabhängig gewesen zu sein. Und sie hatte
außer ihrer Liebe zu Gott eine weitere, weltliche gefunden: Die zehn Jahre jüngere Annie Pecher wurde die Frau an ihrer Seite
und sollte fortan mit ihr zusammenleben. Dass die Person Jeanine Deckers gelegentlich
noch immer die Aufmerksamkeit der Boulevardpresse auf sich zog, lag nicht an ihrer
lesbischen Lebensweise oder der eingestandenen Tablettensucht: Stattdessen brachte
ein jahrelanger Rechtsstreit mit den Behörden Jeanine weiterhin regelmäßig
in die Schlagzeilen. Das belgische Finanzamt forderte nachträglich Steuern aus
den Millioneneinnahmen für "Dominique", die danach noch verkauften
Platten und die Filmrechte an "The Singing Nun". Dass Jeanine fast alle
Einnahmen an den Orden abgeführt hatte, konnte sie nicht belegen, da sie sich
dies nie hatte quittieren lassen. Ihr ehemaliges Kloster in Fichermont und der Dominikanerinnen-Orden
erklärten sich ungeheuerlicherweise für nicht zuständig und schwiegen
in dieser Sache beharrlich, so dass Jeanine Deckers zuletzt allein auf den Steuerschulden
in sechstelliger Höhe sitzen blieb.
In der Hoffnung, sich dadurch der drückenden Schuldenlast zu entledigen, ließ
sich Jeanine 1980 noch einmal zu einer remixten Neuauflage von "Dominique"
hinreißen. Die Rechnung ging jedoch nicht auf: Das Lied floppte in den Charts
und spielte kein Geld ein. Zuletzt konnten Annie und Jeanine nicht einmal mehr das
von ihnen einige Jahre zuvor gegründete Heim für autistische Kinder halten.
Ihr musikalischer Erfolg zum Ruhme des Herrn und des Heiligen Dominikus hatte Jeanine
Deckers alias "Soeur Sourir" zuletzt in den finanziellen Ruin gestürzt.
Am 30. März 1985 fand das persönliche Drama der "singenden Nonne"
seinen traurigen Höhepunkt: Die beiden Frauen schluckten in ihrem Haus in Wavre
südlich von Brüssel Schlaftabletten, in Cognac aufgelöst. "Wir
kehren zum Herrn zurück" hinterließen sie in ihrem Abschiedsbrief.
Zumindest ihren letzten Wunsch erfüllte die Kirche Annie und Jeanine: Sie wurden
in einem gemeinsamen Grab beigesetzt.
Sabine König/ Anne-K. Jung |
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