Val McDermid: Das Spiel im Kopf und die vertrackten Puzzles

 
   
  Epische Thriller mit Tiefgang und Intelligenz: Nicht viele Werke, die tagtäglich auf den Büchermarkt geschleudert werden, verdienen ein solches Gütesiegel. Wohl aber die von Val McDermid. Die Frau ist ein Phänomen. 1987 veröffentlichte sie bei einem Frauenverlag ihren ersten Lesbenkrimi "Report for Murder" (deutsch: "Die Reportage"). Und heute ist sie der gefeierte und vielfach preisgekrönte Star der Bestsellerlisten, deren Krimis in zahlreiche Sprachen übersetzt werden. Wer hätte das geahnt? "Die Reportage" mit der unfreiwilligen Hobbydetektivin Lindsay Gordon ist ein nettes, aber eher unspektakuläres Krimivergnügen. Kein Vergleich mit den atmosphärisch dichten, nervenaufreibend spannenden und psychologisch tiefen Thrillern der letzten Jahre, allen voran "Ein Ort für die Ewigkeit". Der Roman, der auf einer wahren Begebenheit basiert, erzählt von einem verschwundenen Mädchen in der englischen Provinz der 60er Jahre und von einer Journalistin, die das unglaubliche Geheimnis 20 Jahre später löst.

Die Autorin hat sich in ihren insgesamt 16 Büchern von Anfang an nicht auf "reine" Lesbenliteratur festlegen lassen. Neben fünf Lindsay Gordon-Krimis schuf sie mit Kate Brannigan eine neue Krimireihe - und die ist weder Amateurdetektivin noch Lesbe. Ein paar Jahre später kamen noch der Profiler Tony Hill und die Polizistin Carol Jordan dazu, so dass es drei Reihen und einige Einzel-Thriller aus der Feder McDermids gibt. Auch wenn es keine lesbische Hauptfigur mehr gibt, spielen Schwule und Lesben in ihren Krimis immer tragende Rollen.

Der letzte in Deutschland erschienene Roman, "Die Erfinder des Todes", ist ein typischer McDermid-Thriller: Auf 540 Seiten erschafft sie ein vertracktes Puzzle, das in atemloser Spannung und mitunter gruseligen Mordszenen gipfelt: Ein Killer hat es auf die AutorInnen von Serienkiller-Romanen abgesehen. Auch der Lebensgefährte der Profilerin Fiona Cameron ist Krimiautor und schon im Fadenkreuz des Mörders...

Demnächst bekommen wir noch mehr von der Autorin mit dem charakteristischen schlohweißen Haar zu sehen: Das deutsche Fernsehen hat die Rechte an den Verfilmungen von "Das Lied der Sirenen" und "Schlussblende" gekauft. Wir können gespannt sein! Für Lespress hat Val McDermid aus dem Nähkästchen geplaudert.

Lespress: "Die Erfinder des Todes" ist Dein 16. Krimi. Warum nutzt Du ausschließlich dieses Genre - oder können wir irgendwann einen Liebesroman von Dir lesen?
Val McDermid: Ich fing an Krimis zu schreiben weil ich selber gerne welche las. Ich mag Romane mit Charakter, und nichts offenbart mehr Charakter, als wenn man Leute unter Anspannung setzt. Ich bin froh, dass ich zu einer Zeit angefangen habe Krimis zu schreiben, als das Genre sich in verschiedene Richtungen entwickelt hat. Der Horizont hat sich erweitert, und das bedeutet, dass ich über jedes Thema in jeder Umgebung und mit einer großen Bandbreite in Stil und Ton schreiben kann. Warum sollte ich also etwas anderes schreiben wollen, wenn das Genre alles umfassen kann?

Lespress: "Die Erfinder des Todes" ist ein Buch, das ich nicht mehr weglegen konnte. Aber es ist mehr als ein spannender Thriller, es hat psychologische Tiefe. Wie erreichst Du das?
Val: Es freut mich, dass Du das Buch mochtest. Ich bin nicht sicher, wie ich die Tiefe erreiche, die Du darin siehst. Möglicherweise hat es etwas damit zu tun, dass ich eine sehr wissbegierige Person bin. Ich liebe es, Leute zu beobachten, ihnen zuzuhören - vor allem dann wenn sie nicht wissen, dass ich lausche. Ich liebe es auch herauszufinden, warum Leute die Dinge tun, die sie tun. Ich versuche immer, den Auslöser für das Verhalten von Menschen aufzudecken. Wenn ich das nicht kann, erfinde ich ihn eben...

Lespress: Das Buch aber auch sehr blutige Mordszenen. Kannst Du nachts noch ruhig schlafen?
Val: Albträume bekomme ich von meiner eigenen Arbeit nicht, obwohl ich manchmal wegen der Bücher meiner KollegInnen nicht einschlafen kann! Du darfst nicht vergessen, dass das Verhältnis des Autors zum Buch ein anderes ist als das des Lesers. Wenn ich meinen Job gut gemacht habe, wird der Leser in die Welt gesogen, die ich geschaffen habe. Das ist sehr intensiv und hält nur ein paar Tage an. Aber für mich dauert es Monate. Und wenn ich eine Szene schreibe, denke ich darüber nach wie sie aus dem technischen Blickwinkel funktioniert. Ist dieser Satz schlüssig? Ist das, was ich beschreibe, physisch möglich? Sollte ich den Absatz hier enden lassen? Warum würde die Figur das tun? Ist das das richtige Adjektiv? Ich bewege mich also ständig weg vom direkten Erlebnis, das die Leser haben.

Lespress: Wie auch "Ein Ort für die Ewigkeit" steht "Die Erfinder des Todes" für sich allein, sie haben keine "Serienhelden". Warum?
Val: Für mich kommt immer die Geschichte zuerst. Ich weiß sehr schnell, ob es eine Story ist, die zu einem meiner Serien-Darsteller passt. Wenn nicht, muss ich einen anderen Weg finden, um die Geschichte zu erzählen.

Lespress: Und wie entscheidest Du, wer von Deinen HeldInnen die Hauptrolle bekommt?
Val: Manchmal sind es praktische Überlegungen. Amateur- und Privatdetektive fangen zum Beispiel keine Serienkiller. Ich muss auch bedenken, dass bei Kate als Hauptfigur die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt wird, so dass die LeserInnen nur das wissen, was Kate weiß. Manche Geschichten können so einfach nicht erzählt werden. Meistens ist es einfach nur ein Gespür, wessen Geschichte es ist.

Lespress: In "Die Erfinder des Todes" bringt der Mörder die AutorInnen von Thrillern um. Ist das eine selbstironische Anspielung?
Val: Es gibt eine Menge ironische Anspielungen in dem Roman. Das war meine Art, den Leuten zu antworten, die schlecht schreiben... Ich hoffe, das ist nichts, das eines Tages zurückkommt und mich verfolgt!

Lespress: Auch in "Das Lied der Sirenen" geht es um einen Serienkiller. Was interessiert Dich an dem Thema?
Val: Das hat etwas mit dem zu tun, hat was der Dichter WB Yeats "Die Faszination an dem, was anders ist" nannte. Die meisten Krimis drehen sich um eine Motivation, die für die LeserInnen leicht zugänglich ist. Aber ein Serienkiller hat eine viel kompliziertere psychologische Triebfeder hinter dem, was er oder sie tut. Für mich ist es faszinierend wenn ich versuche herauszufinden, was ihren Verstand geformt hat, und warum diese vergangenen Erlebnisse sich in der Gegenwart so offenbaren. Es ist auch extrem, und die Extreme des menschlichen Verhaltens sind zwangsläufig interessant für uns.

Lespress: Glaubst Du an das Böse im Menschen?
Val: Nein. Ich glaube, dass Menschen zu bösen Dingen fähig sind, aber auch zu wunderbarer Güte. Und in beiden Fällen ergeben sich die Fähigkeiten aus den Umständen, sowohl persönlich als auch sozial. Ich habe in einem meiner Bücher gesagt, dass wir die Verbrechen bekommen, die wir als Gesellschaft verdienen. Wir müssen verstehen was uns wie handeln lässt, und das ist einer der Gründe warum ich entschlossen bin, ehrlich über Gewalt zu schreiben. Es hat keinen Sinn, sich davor zu verstecken, oder es irgendwie zu verherrlichen.

Lespress: Woher nimmst Du die Ideen für Deine Romane?
Val: Die Ideen für die Geschichten kommen von allen Seiten - Sachen, die mir Leute erzählen, Dinge, die ich im Radio höre oder in der Zeitung lese. Es sind oft die Nebensächlichkeiten, die mein Interesse anstacheln. Ich will mehr herausfinden, mehr wissen, was wäre wenn das und nicht dies, was wenn er und nicht sie, was ist hier möglich? Also frage ich herum, wenn ich jemanden treffe, der irgend etwas wissen könnte, das mit dem zu tun hat, das ich wissen will. Ich lese rund um das Thema, ich erzähle mir selbst Geschichten, ich zwinge das Basismaterial in neue Formen. Es ist wie ein Spiel in meinem Kopf.

Lespress: Dein Schreibstil hat sich im Lauf Deiner Karriere verändert. So sind die Lindsay Gordon-Krimis leichtere Lektüre als die neuen Werke.
Val: Ich mag es, den Ton zu variieren, in dem ich schreibe. Wie jeder Mensch habe ich mehr als eine Facette in meiner Persönlichkeit. Manche Themen können nicht auf die leichte Schulter genommen werden, sie sind also nichts für Lindsay oder Kate. Manche Themen erlauben ein bisschen mehr Licht, das hindurchscheint, obwohl das nicht bedeutet, dass Kates und Lindsay Bücher trivial sind. Ich habe kürzlich den sechsten Lindsay Gordon-Roman "Hostage to Murder"vollendet, der nächstes Jahr veröffentlicht wird. Ich habe mich also nicht von den früheren Charakteren oder meinem alten Stil abgewandt.

Lespress: Welches ist für Dich persönlich das wichtigste Deiner Bücher?
Val: Sie sind alle wichtig, und ich mag es, mit all diesen SeriendarstellerInnen Zeit zu verbringen. Ich habe aber eine heimliche Leidenschaft für Carol Jordan, muss ich zugeben. Vielleicht, weil sie blond ist!

Lespress: Und welche Deiner Hauptfiguren erinnert am meisten an Val McDermid?
Val: Keine davon erinnert mich wirklich an mich selbst. Du müsstest diese Frage wahrscheinlich denen stellen, die mir am nächsten stehen!

Lespress: Du hast mit lesbischen Thrillern angefangen. In Deinen späteren Romanen gab es schwule und lesbische Nebenfiguren, aber die Hauptpersonen sind heterosexuell.
Val: Die Charaktere diktieren tatsächlich ihre eigene Sexualität. Ich kann nicht wirklich beschreiben, wie das funktioniert, aber es ist so. Es gab zum Beispiel zwei wichtige lesbische Charaktere in meinem letzten Tony Hill/Carol Jordan-Roman "The Last Temptation". Und sie konnten einfach nicht hetero sein.
Und, um ehrlich zu sein, ich wollte nie meinen Lebensunterhalt damit verdienen nur lesbische Krimis zu schreiben. Ich glaube nicht, dass es irgendwo eine lesbische Autorin gibt, die nur von ihren Büchern leben kann. Aber es ist sehr subversiv, über den sexuellen Regenbogen zu schreiben - Heterosexuelle mögen die Bücher, und dann erweitern sie ihren eigenen Horizont und lesen auch die lesbischen Romane.

Lespress: Du hast lange als Journalistin gearbeitet. Wie wichtig ist es Dir, etwas mitzuteilen? Hast Du eine Message?
Val: Es gibt ein Sprichwort: Wenn Du eine Message senden willst, benutze Western Union. Bücher, deren Ausgangspunkt irgendeine Agenda ist, sind selten interessante Lektüre. Aber weil ich ein politisches Tier bin, teilt sich meine persönliche Politik zwangsläufig über meine Bücher mit. Aber ich schreibe nicht, um etwas herüberzubringen. Ich bin zuerst Geschichtenerzählerin, und wenn ich das jemals aus dem Blickwinkel verlieren würde, wären meine Bücher schwächer, glaube ich.

Lespress: Was machst Du, wenn Du keine Krimis schreibst?
Val: Kochen, lesen, wandern, im Garten arbeiten. Und mit meinem Sohn spielen.

Lespress: Du lebst ja als offene Lesbe. England scheint in einigen Punkten restriktiver zu sein als andere europäische Länder - oder ist das ein falscher Eindruck?
Val: Ich glaube, die Stimmung gegenüber Schwulen und Lesben hat sich in den letzten Jahren in Großbritannien sehr entspannt. Aber die Verabschiedung der "Section 28" (ein Gesetz, das es Behörden verbietet, für Homosexualität zu "werben", d. Verf.) ist eine Mahnung, dass unsere Gesellschaft nicht so eindeutig liberal ist, wie wir es gerne hätten. Aber die Dinge ändern sich.
In Manchester, wo ich wohne, gibt es eine große schwullesbische Community. Ein Teil der Stadt ist bekannt als "Gay City", und wir haben dort ein gutes Verhältnis zur Polizei. Vor ein paar Jahren noch gab es einige schlimme Vorfälle, als Schwule und Lesben nachts überfallen wurden, nachdem die Nachtclubs geschlossen hatten. Die Reaktion des Magistrats war, die Hetero-Clubs einzuschränken! Sie sollten eine Stunde früher schließen als die Gay-Clubs, so dass die betrunkenen Rowdys von der Straße weg waren, wenn die Gay-Clubs zumachten.

Lespress: Und wie ist die Situation für Euch als lesbisches Paar mit Kind?
Val: Das ist keine große Sache hier in Manchester. Wir kennen viele lesbische Familien. Lesbische Eltern haben eine gute gesetzliche Position. Es ist möglich zum Gericht zu gehen und elterliche Rechte für das Kind Deiner Partnerin zu bekommen. Das ist reine Routine, und wir haben sie hinter uns gebracht. Obwohl ich nicht die biologische Mutter meines Sohnes bin, bin ich den Augen des Gesetzes genauso ein Elternteil wie meine Freundin.

Lespress: Zurück zu Deinem Werk. An was arbeitest Du gerade?
Val: Mein nächster Roman heißt "The Distant Echo". Zum Teil spielt es in Schottland in 1978/79 und zum Teil in der Gegenwart. Es geht um den ungelösten Mord an einer jungen Frau und die Wirkung, die ihr Tod auf vier junge Männer hat, die des Mordes verdächtigt werden. In der Gegenwart beginnen diese Männer unter mysteriösen Umständen zu sterben. Die Frage ist, wer sie umbringt. Und das führt zwangsläufig zu der Frage, wer von ihnen die junge Frau 25 Jahre zuvor getötet hat... Es ist wieder ein Roman, der für sich alleine steht und zu keiner Serie gehört.

Lespress: Hoffnungen und Pläne für die Zukunft?
Val: Ich möchte einfach Bücher schreiben, die die Leute gerne lesen. Ich möchte mein Schreib-Handwerk weiter verbessern - das heißt, meiner generellen Faulheit nicht nachzugeben!


www.valmcdermid.com

Claudia Frickel
 
     
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