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Interview

     

Ungebremst: Hella von Sinnen

lespress: Anfang des Jahres wurde Dein Rückzug von der Rosa Sitzung begründet mit Deiner Babypause, und die Nation fragt sich seitdem: Was hat das denn nun zu bedeuten? Wird Hella von Sinnen schwanger? Oder Cornelia Scheel? Oder ist das Baby eine neue Fernsehshow, die Du inzwischen "ausgebrütet" hast?

HvS: Also, das Baby ist eigentlich die Rosa Sitzung, die ich mit auf die Welt gebracht habe, und jetzt ist Pause angesagt.
Ich hatte allerdings auch die Hoffnung, ich würde jetzt schon in irgendeinem Studio dieses Landes stehen und eine Fernsehshow machen können. Aber ich liege, wie das so schön heißt, wie Blei in den Regalen.

lespress: Gibt es denn ein Konzept für eine neue Show?

HvS: Oh ja! "Zeitsprung" bietet unser neues Konzept an wie warme Semmeln, aber niemand greift zu. Nun ist eine andere Produktionsfirma an mich herangetreten und hat mir eine Sitcom angeboten.

lespress: Um was geht es da?

HvS: Möchte ich noch nicht verraten. Nur soviel: Es soll um Hella von Sinnen gehen, und die ist überraschenderweise lesbisch.

lespress: Also eher Hella pur?

HvS: Es gibt dieses seltsame Phänomen, daß, sobald ich eine Perücke trage - egal ob im Klopapierspot oder im AIDS-Spot - ich sofort 'ne Mittfünfzigerin und lustige Nummer bin. Jetzt heißt es, Hella ohne Perücke Hella sein zu lassen - mal gucken, wie das dann angenommen wird.

lespress: Wieso ist Weiber von Sinnen nicht so gut gelaufen - weil es so spät gesendet wurde?

HvS: Also, ein paar Fakten. Es gab 12 Weiber von Sinnen-Sendungen, die monatlich ausgestrahlt wurden. Ganz imGegensatz zu heute übrigens, wo ja in viel kürzeren Intervallen gesendet wird und die Leute wissen, daß jeden Dienstag im Sender X um y Uhr die Sendung abc läuft. Das bedeutete für unser Monatsmagazin: Die Leute wußten nicht, wenn sie einschalten, sehen sie Erika Berger oder Hella von Sinnen. Das zu etablieren, war also nicht einfach. Aber: Die erste und die dritte Sendung WvS hatten als halbstündiges Frauenmagazin abends um halb elf über fünf Millionen Einschaltquote! Ich habe fette Blumensträuße bekommen von Dr. Thoma und von Marc Conrad. Wir hatten höhere Quoten als das Schloß am Wörthersee. In den darauffolgenden Sendungen hatten wir zwei Millionen, es pendelte sich schließlich auf eine Million ein, und das ist eine Zahl, mit der Harald Schmidt heutzutage seine Sendungen fahren darf.

lespress: Könnte es sein, daß sie Dich auch loswerden wollten?

HvS: Natürlich bleibt der Eindruck in meinem Hinterkopf, sie wollten eine etwas lästige, feministische Sendung loswerden. Wir mußten schon während der WvS-Produktion vom Magazin- zum Sketch-Charakter wechseln. Die wollten lieber Hella von Sinnen als Komikerin. Da war dann natürlich auch der Wind aus dem WvS-Konzept raus. Also machten wir den Vorschlag, kleine Spielfilme zu drehen. Wir legten ein Konzept vor, Arbeitstitel "Die wilde Dreizehn", mit mir in einer jeweils anderen Hauptrolle, z. B. als bezaubernde Jeannie, die - dreißig Jahre später- nicht mehr in die Flasche paßt. Wir hatten dreizehn schöne Drehbücher, die von RTL auch abgenommen wurden. Auf dem Sendeplatz von Dieter Krebs' "Rost" sollten die Montags laufen. Also bauten wir, d. h. die mit Gisela Marx gegründete Firma Power-TV, in Rodenkirchen ein Studio auf , engagierten einen MitarbeiterInnenstab und wollten dreizehn Folgen produzieren. Nach fünf produzierten Folgen hat RTL gesagt: Danke, das war's.
Dann saß ich wirklich von heute auf morgen da und drehte Däumchen.
Zum Glück rief RTL2 an, sie wollten mich als ihren Hausstar. So machten wir "Wenn die Putzfrau zweimal klingelt". Doch dann änderten sich da wieder die Vorzeichen; der Unterhaltungschef wechselte, und unser Projektbetreuer ebenfalls. Und ich fiel wieder irgendwelchen Personalentscheidungen zum Opfer - wahrscheinlich war ich den neuen nicht mehr schrill genug oder was auch immer.
Nach einem Jahr "Sendepause" haben wir mit Claus Vincon zusammen das Bühnenprogramm "Ich bremse auch für Männer" geschrieben. Seit über zwei Jahren bin ich mit diesem Solo auf Tournee - und im Nachhinein betrachtet, war es das beste, was ich tun konnte. Meine Batterien sind wieder aufgefüllt, ich habe ein anderes Selbstbewußtsein und traue mir auch mehr zu als "Guten Abend, liebe Nation, Tschakka,Tschakka"

lespress: Wielange wirst Du noch mit diesem Programm touren?

HvS: Bis Ende des Jahres habe ich noch Termine. Es hängt davon ab, wie diese Sitcom-Projekt vorangetrieben wird.

lespress: Ist eigentlich alles wahr, was im Programm vorkommt, z. B. Deine Diabetes?

HvS: Ist alles wahr! Auch der Hammerzeh.

lespress: Hast Du Deinen Lebensstil nun grundsätzlich geändert, also auch den Alkohol reduziert?

HvS: Der Kater ist jetzt genauso schlimm wie vorher. Abermal ensthaft: ich habe mich anfangs natürlich sehr zurückgenommen. Das schrille ist aber, daß meine Zuckerwerte besser sind, wenn ich saufe, weil ich dann nicht so viel esse.

lespress: Wie sieht es aus mit Deinen Fans?

HvS: Ich kriege immer noch Stapel von Fanpost und immer noch Anfragen nach meinen Kostümen. Viele haben nicht mitbekommen, daß die vor fünf Jahren alle schon versteigert worden sind. Und dann bin ich natürlich auch glücklich über den Zulauf beim Solo-Programm, wobei das nicht nur die schwul-lesbischen Familie ist, sondern auch gerne der Bürger und die Bürgerin an sich. Ich empfinde mich durchaus auch als Volksschauspielerin.

lespress: Wie kam's zu Deinem Ausstieg aus der Rosa Sitzung?

HvS: Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Genauer gesagt: Ich stehe jetzt zwar seit zwanzig Jahren auf der Bühne, aber die Rosa Sitzung gehörte zu den angstrengensten Dingen, die ich je gemacht habe.
Als Präsidentin hatte ich ja auch noch eine ganz andere Verantwortung. Das fängt damit an, daß Du immer wieder rufen mußt "Und dreimal Kölle..." und dann die Nerven, die Du läßt, wenn z. B. eine Nummer mal abkackt und Du ja nicht eingreifen kannst, aber das ganze wieder auffangen mußt. Diese Mischung aus den klassischen Karnevalsritualen und der kultigen schwul-lesbischen Party war eben furchtbar aufreibend. Letztes Jahr kam fast jeden Abend ein Notartzt und mußte mir eine Spritze verpassen. Ich habe zum Teil wirklich weinend in der Garderobe gesessen. Da merkte ich, daß das nicht so weitergehen kann. Ich möchte schließlich auch noch Spaß haben bei der Geschichte! Und dann ist ja nun auch so eine tolle Generation nachgewachsen gerade bei den Jungs, daß ich als altes Schlachtroß den Generationswechsel eingeläutet habe.

lespress: Hat der WDR deshalb die Rosa Sitzung nicht gesendet?

HvS: Ich glaube das nicht. Sicherlich fehlte hier und da so einiges, aber ich fand diese Entscheidung nicht richtig. Es ging doch nicht darum, eine schwul-lesbische politische Revue aufzuzeichnen, sondern schlicht und ergreifend um eine Karnevalsveranstaltung.

Und wenn Du dann noch siehst, womit der WDR uns seit Jahren "beglückt" in unserer Region, nämlich mit Karnevalsitzungen aus Münster bis Ober-Erkenschwick wo Achzigjährige Bürgermeister ihre Krebschen in der Wanne vorführen, dann darf man meiner Meinung nach nicht auf einmal solch merkwürdige Qualitätsansprüche stellen. In einem dreiviertelstündigen Zusammenschnitt einer vierstündigen Sitzung, die zwölf mal jeweils über 400 Leute auf den Tischen zu tanzen lassen vermochte, hätte man sehr fröhliche, bunte originelle Höhepunkte gefunden.


lespress: Wirst Du nun schon bearbeitet und denkst darüber nach, wieder dabeizusein?

HvS: Das Kapitel ist abgeschlossen für mich. Und so schön das auch ist; es ist auch Karneval, und ich möchte einfach nicht mehr so aktiv im Karneval sein. Ich habe vor zehn Jahren gesagt, daß ich nicht mehr in der Bütt auftrete, und dies ist das gleiche in rosa. Es ist Karneval, und ich möchte das nicht mehr. Außerdem habe ich als altes Wassermannmädchen gerne Abwechslung.

lespress: Das heißt, du glaubst an die Astrologie?

HvS: Das ist die falsche Frage. Es hat nichts mit "Glauben" zu tun. Meine Mutter selig hat sich immer für Astrologie interessiert, und seit meinem dreizehnten Lebensjahr frage ich die Leute nach ihrem Sternzeichen. Und so habe ich eine Art Karteikasten im Kopf und kann gewisse Ähnlichkeiten von Menschen gleichen Sternzeichens feststellen, sei es physiognomisch, sei es charaktertechnisch. Das macht mir Spaß; es ist ein hübscher Einstieg in ein Gespräch - so wie andere fragen "Was machste beruflich?".


An diesem Punkt stellen wir Frau von Sinnen auf die Probe: Sie soll unsere Sternzeichen erkennen. Sie hat einen Treffer.

HvS: Nicht schlecht für zwanzig Minuten Gespräch, oder? Ich hab' mir selber schon ein paar mal persönliche Horoskope erstellen lassen, und es ist immer wieder faszinierend, wenn ich sagen muß: stimmt, stimmt, stimmt!


lespress:
Wie sieht denn nun ein "normaler" von-Sinnen-Scheel-Tag aus? Schlaft Ihr immer noch bis mittags?

HvS: Das ist immer noch so. Es liegt aber auch an den Arbeitsumständen. Wenn ich produziere und morgens um 9 Uhr in der Maske sein muß, geht das natürlich nicht. Wir haben übrigens auch auch eine Firma gegründet, die Komikzentrum GmbH.

Da schreiben wir auch Sketche für andere, und das kannst Du natürlich prima mittags und abends machen. Aber in der Tat gucke ich gerne immer bis drei Uhr nachts fern oder Videos, und dann lese ich noch bis sechs Uhr. Das ist mein momentaner Lebensstil: Bis mittags schlafen, dann ein paar Büroarbeiten und anschließend ausgehen oder zuhause bleiben oder auftreten.
lespress: Gibt es noch Orte, wo Ihr einigermaßen entspannt ausgehen könnt?

HvS: Gerade in Köln ist es sehr angenehm, prominent zu sein. Ich werde in der Regel in Ruhe gelassen. Und wenn, sind die Leute auch leicht zufriedenzustellen mt ein paar Sätzen und einem Autogramm. In anderen Städten ist das schon aufregender.

lespress: Was hälst Du davon, daß auch in diesem Jahr kein bundesweites Motto für die großen CSDs in Berlin, Köln, Hamburg, München und Frankfurt gefunden wurde?

HvS: Ich habe auf diese Zickigkeiten keine Lust mehr. Wir hatten mal ein Vorbereitungstreffen in Köln, und da sitzen so ein paar junge Leute von der Uni, die uns alten Säcke anpissen, weil wir so einen angeblichen Quatsch wie dieHomo-Ehe wollen. Schließlich wären wir ja emanzipiert genug. Da kriege ich nur noch Pickel und habe auch keine Lust auf eine politische Auseinandersetzung. Lieber investiere ich meine Energie in produktive Dinge als in solche Grabenkämpfe.

lespress: Deshalb auch die explizite Unterstützung für Volker Beck?
HvS: Ja, denn er will als schwuler grüner Politiker die Homo-Ehe durchsetzen. Er macht das auch gut, finde ich. Ich finde es müßig, über die Behauptung "Uh, spießige, bürgerliche reaktionäre Kacke mit der Ehe!" zu diskutieren. Ich weiß, daß die Ehe in diesem Patriarchat eine traurige Rolle gespielt hat, aber für mich geht es darum, diese Bastion zu erobern! Und es wäre doch eine Revolution, die dem Frauenwahlrecht in nichts nachsteht, wenn eine Frau für eine andere Frau das Aufgebot bestellt! Für mich ist es eine Frage der Gleichberechtigung, dieses Institut der Ehe benutzen zu dürfen. Was man/frau dann daraus macht, steht doch auf einem ganz anderen Blatt! Daß Schwule und Lesben heiraten müssen, ist doch überhaupt nicht das Thema! Wir sind einfach nicht gleichberechtigt in dieser Gesellschaft. Und da verstehe ich nicht, warum man uns von links oder rechts anpinkelt und/oder in so eine romatisch verquaste Ecke stellt oder mich persönlich anquakt wie diese Jutta Lesberle Schwulin.
Ich dachte ja, die CSDs hätten sich auf das gemeinsame Motto "Homo-Ehe" eingestellt. Und wenn das nicht so ist, dann häng' ich mich jetzt nicht noch extra aus dem Fenster. Ich bin lesbisch, das weiß die Nation. Vielleicht kriegen wir es jetzt mit einem Regierungswechsel im Herbst auch durch. Aber es muß da schon noch eine Lobby geben von klar denkenden homosexuellen Männern und Frauen, die auch dafür sind.

lespress: Machst Du Dir eigentlich Gedanken über das Alter?

HvS: Neulich hat eine nette Kollegin Bette Davis zitiert, die sagte: "Alt werden ist nichts für Schlappschwänze". Seitdem geht's mir etwas besser. Aber ich kokkettiere nicht,wenn ich sage, daß ich unheimlich viel Probleme damit habe. Nächstes Jahr werde ich vierzig, und ich hasse es. Zum Glück habe ich viel nette Freunde, die Mitte fünfzig sind, die machen mir einfach Mut. Aber ich müßte lügen, wenn ich behauptete, ich liebe es, alt zu werden, und ich werde mit jedem Tag besser. Ich will aber jetzt auch nicht wieder zwanzig sein. Ich wär gern fünfunddreißig geblieben, so wie Guildo Horn es jetzt auch macht.
Das einzige, was ich wirklich hoffe, ist, daß es für mich auch im Alter noch richtig gute Rollen gibt, weil ich diese ganzen alten Weiber wie Bette Davis, Mae West, Marlene oder Brigitte Horney oder Marianne Hoppe toll finde. Und mit dieser Frau an meiner Seite ist es natürlich noch einmal eine richtig schöne Vision, alt zu werden.

lespress: Wenn wir so zurückblicken auf Dein Coming-Out und Dein Buch , das ja nun schon 1992 erschienen ist, müssen wir doch voller Erschrecken feststellen, daß sich nichts bewegt hat in der "öffentlichen" Szene.

HvS: Das ist richtig. Maren Kroymann ist die einzige Ritterin an unserer Seite, und das war's.

lespress: Vor allem, wenn man ahnen kann, wie viele es sind...

HvS: Genau, und ich weiß es ja nun auch, wieviele prominente Kolleginnen lesbisch leben und auch schwule Kollegen schwul leben. Es tut sich da eigentlich nichts, ich war auch eine Zeit lang empört darüber, aber inzwischen ist es mir auch wieder egal. Ich lasse einfach soviele Nerven, wenn ich darüber nachdenke, und ich will mich nicht mehr darüber aufregen. Outen finde ich eine faschistoide Praxis, aber es müßte mal so eine Aktion geben wie die damalige Stern-Aktion "Ich habe abgetrieben": 100 deutsche Frauen, prominente und andere müssten sich bekennen: "Wir leben lesbisch!". Das Jahr 2000 steht vor der Tür, laß die noch mal alle aus den Schränken kommen.

lespress: Nun hat sich in der Frauenbewegung leider auch nicht viel getan...

HvS: Ich rufe nur "218"! Wir sind noch hinter die Frauenbewegung der siebziger Jahre zurückgeworfen. Und wenn Du Dich womöglich noch als Lesbe engagierst, mußt Du derbe politische wie auch karrieremäßige Rückschläge einstecken. Zumindest wirst Du angreifbar auf einer Ebene, wo Du als Karrierefrau nicht angreifbar sein willst. Oder wo Du dieses scheinbare Mäntelchen der Heterosexualität aufrecht erhalten willst, damit das mit der Akzeptanz klappt. Anders kann ich mir das nicht vorstellen. Ich persönlich finde es feige und bedauerlich, aber jede Frau muß jeden Morgen in den Spiegel gucken beim Zähneputzen und sich fragen, warum sie das nicht tut. Ich für meinen Teil bin jedenfalls stolz, lesbisch zu sein.

lespress: Du engagierst Dich neuerdings für eine Brustkrebs-Initiative?

HvS: Da möchte ich mich jetzt verstärkt einsetzen. Ich muß ganz einfach feststellen, daß mir Brustkrebs als Frau näher ist als anderes. Und ich möchte jetzt gerne dieses frauenspezifischere Thema powern. Gerade Brustkrebs ist ein zu sehr tabuisiertes Thema. Am Muttertag geht es los mit einer Versteigerung von Kunstobjekten im Kölner Hyatt zugunsten "Wir Alle gegen Brustkrebs e.V."

lespress: Was hälst Du von schwul-lesbischer Zusammenarbeit?

HvS: Bei der Homo-Ehe würde ich immer sagen "laßt uns mal bitte an einem Strang ziehen."
Die Forderung aus den 70er Jahren, daß Frau sich ausschließlich mit Frauen umgeben sollte und frauenspezifische Themen diskutieren sollte, würde ich immer noch unterschreiben. In der Tat hat man sich mit Schwulen außerhalb der Politik und Lady Diana nämlich nicht mehr so viel zu erzählen. Auf der anderen Seite fände ich es jammerschade, wenn gerade zwischen den Lesben und den Schwulen Fronten geschürt werden, weil wir genug in diesem Patriarchat zu kämpfen haben. Deswegen finde ich einen Schulterschluß da durchaus auch angebracht zwischen Mädchen und Jungs.

lespress: Nun werfen schwule Aktivisten den Lesben gerne vor, daß sie sich immer an schwule Projekte dranhängen.

HvS: Kann ich auch verstehen. Teilweise argumentieren die aus einer gewissen Frauenfeindlichkeit heraus, teilweise resultiert es auch aus dem gesamtgesellschaftlich zu sehenden Phänomen: Die Jungs haben mehr Kohle, und die Jungs machen mehr los! Daß man sich das als lesbisches Mädchen sagen lassen muß, ist natürlich bedauerlich.
Was übrigens das lustbetonte Denken betrifft - und wir reden jetzt nicht von Rudelficken: ist es nicht schon bemerkenswert und eben höchst bedauerlich, daß es nicht einen einzigen Lesbenladen gibt in Köln? Es funktioniert offensichtlich nicht. Weil die Mädchen natürlich mitkriegen, daß bei den Jungs mehr los ist, und deswegen war auch ich immer ein schwules Kumpelchen. Da galt "Hoch-die Tassen", schweißnasse Körper zuckten im Blaulicht, und da war Fun, es war einfach geil. Bei den Lesben saßen wir mit Melanie zur Klampfe und Menstruationsriten und so - es war halt nicht so spaßig.

lespress: Wir sehen heutzutage immer noch sehr wenig von wort- oder federführenden Frauen.

HvS: Richtig. Geschichtsbücher und die Tagesschau tun so, als gebe es keine bedeutende Frauen. Auch in unserer homosexuellen Kultur wissen alle mehr über Quentin Crisp als über Alice B. Toklas. Und das ist der Punkt. Natürlich ist schön, mit den Jungs zu tanzen und zu schwitzen, aber es muß mehr Frauenbewußtsein da sein, gerade auch bei uns Lesben. Lesbische Kultur und lesbische Kulturträgerinnen gerade auch ins Bewußtsein der Frauen zu bringen, ist immer noch eine wichtige Aufgabe. Da finde ich, habt Ihr als lesbisches Magazin auch eine Aufklärungspflicht!

lespress: Wir arbeiten dran.

(Das Interview führten Ulrike Anhamm und Monika Richrath; Photos: Ulrike Anhamm)

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