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Erika Mann war die
Tochter eines der berühmtesten deutschen Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers.
Ihr Onkel Heinrich Mann war als Schriftsteller nicht weniger erfolgreich, ihr Bruder
ein stets an seiner Kreativität leidendes Genie. Erika selbst ergab sich dem
"Familienfluch" und wurde selbst eine viel beachtete Publizistin, zugleich
Schauspielerin, Kabarettistin, Rennfahrerin, Weltenbummelerin und Journalistin, bevor
sie sich in der zweiten Hälfte ihres Lebens ganz dem Werk ihres Vaters und Bruders
widmete.
"Es ist also ein Mädchen: eine Enttäuschung für mich ..."
schrieb Thomas Mann nach der Geburt seines ersten Kindes am 9. November 1905 an seinen
Bruder Heinrich. Hatte sich der spätere Literatur-Nobelpreisträger doch
"sehr einen Sohn gewünscht", mit der kleinen Erika Julia Hedwig hatte
ihm seine Frau Katia einen weiblichen "Stammhalter" geboren. Dennoch zeigte
sich Thomas schon bald als stolzer Vater einer Tochter, die ihm bis zu seinem Lebensende
1955 unersetzlich sein würde.
Als ein Jahr später der gewünschte Sohn, Klaus, zur Welt kam (die weiteren
Kinder Golo, Monika, Elisabeth und Michael wurden bis 1919 geboren), war ein Geschwisterduo
komplettiert, das bis zu Klausí Tod im Jahr 1949 wie Pech und Schwefel zueinanderhalten
sollte. Schon in ihrer Kindheit zeigten sie sich als wahre "enfants terribles",
talentiert im Austüfteln von Streichen und Piesackereien aller Art. Erika, die
als einzige den bayrischen Dialekt der Mannschen Wahlheimat München beherrschte,
imitierte gern die zahlreichen Gouvernanten und Kindermädchen, log unverblümt
und tobte mit aufgeschlagenen Knien und zerzaustem Haar durch die noblen Gärten
Bogenhausens. Ernsthaft böse nahm ihr der bekanntlich gestrenge Thomas Mann
die bisweilen derben Scherze jedoch nie; früh verstand es Erika, den "Zauberer",
wie sie ihren Vater nannte, um den Finger zu wickeln.
Aber die Eltern Katia und Thomas sahen sich schließlich doch dazu gezwungen,
Maßnahmen zu ergreifen. Nach dem Durchlauf verschiedener schulischer Institutionen,
in denen Klaus und Erika immer wieder als "Gefahr für die Anstalten"
angesehen wurden, schien das "Landschulheim Hochwaldhausen" mit seinem
reformpädagogischen Ansatz als ein letztes Mittel, die beiden unbändigen
Kinder zu zügeln. Nach nur vier Monaten war Erika zurück in München
... und bestand zwei Jahre später, 1924, nach dem Besuch eines "normalen"
Gymnasiums mit Ach und Krach das bayrische Abitur.
Doch die schlechten Zensuren störten Erika nicht: Für ihre erträumte
Zukunft als Schauspielerin waren diese nicht von Bedeutung. Schon 1919 hatte sie
mit Klaus und einigen anderen Jugendlichen eine Kindertheaterbühne, den "Laienbund
deutscher Mimiker" gegründet, um mit eigenen Inszenierungen klassischer
Werke wie Lessings "Minna von Barnhelm" oder Shakespeares "Was ihr
wollt" Eltern und Nachbarn zu unterhalten. Thomas Mann, überzeugt von Erikas
Talent, verfasste ein Empfehlungsschreiben, und Erika erhielt die Zulassung zu Max
Reinhardts renommierter Schauspielschule am Deutschen Theater in Berlin.
Äußerst ehrgeizig und schnell nach Höherem strebend konnte sie sich
jedoch mit der langsamen Theaterkarriere, die sich ihr in Berlin bot, nicht abfinden.
Nach nur neun Monaten verließ sie Reinhardt und nahm ein festes Engagement
im "provinziellen" Bremen an, das sie jedoch frustriert ein halbes Jahr
später aufkündigte.
Neue Arbeitsperspektiven gab nun der dichtende Bruder Klaus, der gerade sein erstes
Theaterstück fertiggestellt hatte. Unter der Regie des jungen Schauspielers
Gustav Gründgens, den Klaus kurz zuvor kennen gelernt hatte, und mit Erika Mann
und Pamela Wedekind in den titelgebenden Hauptrollen feierte "Esther und Anja"
am 22. Oktober 1925 in Hamburg seine Uraufführung. Das Stück floppte kolossal,
wurde aber vor allem wegen seines angeblich jugendgefährdenden Inhalts in allen
Gazetten besprochen, denn es thematisierte offen eine lesbische Liebe: Anja liebt
Esther. Hätte es einen noch größeren Skandal ausgelöst, wäre
bekannt geworden, dass die beiden Hauptdarstellerinnen auch im waren Leben wohl ein
Liebespaar waren? Seit dem Abiturjahr führten Erika und die Tochter des Schriftstellers
Frank Wedekinds eine "enge, fast leidenschaftliche" Beziehung (so die Erika
Mann-Biographin Erika von der Lühe), über deren Charakter jedoch nur aus
der außerordentlich vertrauten Korrespondenz geschlossen werden kann .... Erikas
Bruder Klaus war ebenfalls unkaschiert dem eigenen Geschlecht zugeneigt, über
seine Beziehung zu Gründgens wurde viel spekuliert.
Völlig überraschend heirateten Erika und Gustav Gründgens im Juli
1926. Vielleicht waren es die offensichtlichen Synergie-Effekte, die die beiden sich
spontan zu einer Ehe entschließen ließen: Erikas versprach sich vom aufstrebenden
Bühnenstar Gründgens Impulse für ihre Schauspielkarriere, jener hingegen
eine gesellschaftliche Adelung durch die Verbindung mit der hochgeachteten Literaten-Familie.
Nach etwas mehr als einem Jahr trennen sich die Wege des ungewöhnlichen Paares
folgerichtig und im Streit, die Scheidung wurde jedoch erst im Jahr 1929 eingereicht.
Nach der Trennung von Gründgens stürzte sich Erika, nun knapp
zweiundzwanzig, zusammen mit ihrem Bruder Klaus in ein größeres Reisevorhaben:
Auf einer neunmonatigen Weltreise besuchten sie Japan, China, Korea und Russland,
verbrachten aber die meiste Zeit in den USA, wo New York, Florida und Kalifornien
zu ihren Stationen zählten. Um das Erlebte "weiterverwerten" zu können,
ereilt Erika nun doch noch der Mannsche "Familienfluch": das Schreiben.
Zusammen mit Klaus verfasste sie den Erlebnisbericht "Rundherum. Das Abenteuer
Weltreise", zurück in München veröffentlichte sie verschiedene
Reportagen, Glossen und Rezensionen in Zeitungen und Magazinen. Mehr als 100 journalistische
Texte entstanden bis Anfang 1933, und nebenbei wurde das junge Medium Rundfunk ein
ideales Betätigungsfeld für die eloquente Erika, die sich zu einem wahren
Multitalent entwickelte. Journalistin, Weltenbummlerin, Schauspielerin und ... Rennfahrerin!
1931 nahm die begeisterte Autofahrerin Erika an einer 10.000 km langen Rallye durch
ganz Europa teil, bei der sie tatsächlich auch noch gewann. Glück im Spiel
- Pech in der Liebe? Seit dem Ende des "infernalischen Quartetts" mit Pamela
Wedekind und Gründgens etwa Mitte 1927 scheute Erika offenbar eine Bindung an
einen einzelnen Menschen, selbst wenn diese Person Himmel und Hölle in Bewegung
setzte, um sie an sich zu binden: Die Schweizer Fabrikantentochter Annemarie Schwarzenbach
- eine androgyne, auf anämische Weise schöne Schriftstellerin - verehrte
Erika, liebte sie geradezu abgöttisch, ohne dass ihr Erika mehr entgegenbrachte
als Zuneigung und Beschützerinneninstinkt.. Anfang der 30er Jahre verbrachten
Erika und Klaus viel Zeit mit der depressiv veranlagten Annemarie, die wie die Geschwister
eine literarische Karriere anstrebte. Die zweite Frau in Erikas Leben in diesem Lebensabschnitt
war die mehr als zehn Jahre ältere Schauspielerin Therese Giehse, die sie am
Münchner Theater kenngelernt hatte. Giehse, eine beeindruckend vitale, couragierte
Person mit dem Herz am rechten Fleck, wurde zum Katalysator einer schon lange schwelenden
Idee: Schauspiel, Literatur und Satire zu verbinden - zum politisch-literarischen
Kabarett. Die angespannte politische Lage in Deutschland forderte Erikas Aktivität
heraus: Vehement bezog sie gegen die stärker werdende NSDAP und die faschistische
Ideologie Position. Zusammen mit Gleichgesinnten - allen voran Klaus und Therese
- gründet Erika in München das Kabarett "Die Pfeffermühle",
das am 1. Januar 1933 in der "Bonbonnière" neben dem Hofbräuhaus
eine begeistert aufgenommene Premiere feierte. So konnte es vorkommen, dass "Die
Pfeffermühle" vor ausverkauftem Haus spielte, während Hitler gleich
nebenan mit Hetzreden seine baldige Machtergreifung vorbereitete.
Nur vier Wochen später, am 30. Januar, wendete sich das Blatt in Deutschland
... auch für die Familie Mann. Nicht nur die kritischen Geschwister Klaus und
Erika, auch Vater Thomas Mann mit seiner jüdischstämmigen Frau Katia wurden
von den neuen Machthabern als eine untolerierbare Gefahr für das reine "Deutsche"
betrachtet. Das Exil schien ein logischer, wenn auch nur schweren Herzens zu gehender
Schritt für die Familie, und so wurde die Schweiz die erste Zufluchtstätte.
"Die Pfeffermühle" zog mit um. Ab dem Herbst wurde der Spielbetrieb
wieder aufgenommen, nun eben in Zürich. Bis zur letzten Vorstellung auf europäischem
Boden am 14. August 1936 würde das Kabaretttheater insgesamt 1.034 Vorstellungen
gezeigt und darüber hinaus eine Tournee durch sechs Länder absolviert haben.
Dann wurde es auf dem Kontinent zu eng für anti-nationalsozialistisches Kabarett.
Bereits 1935 war Erika ihre deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden, was
sie zu einer (Schein-) Ehe mit dem schwulen englischen Dichter W. H. Auden zwang.
Es wurde immer deutlicher, dass Hitler-Deutschland seinen Machtbereich erweitern
würde. 1937 schließlich ging die "Pfeffermühle" über
den großen Teich nach New York und wurde zur "Peppermill", ohne jedoch
an die großen Erfolge in Europa anknüpfen zu können. Ein Jahr später
verließ auch der Rest der Familie Mann das sich unter Hitlers Schatten duckende
Europa in Richtung Amerika und ließ sich im kalifornischen Pacific Palisades
nieder. Aus der Kabarettistin mit politischem Anspruch wurde nun die politische Rednerin
und Autorin Erika Mann, die mit Vortragsreisen durch die USA versuchte, über
Hitler zu informieren. Gemeinsam mit Klaus berichtete sie vom Spanischen Bürgerkrieg
und über deutsche Exilanten ("Escape to life", 1939), als Korrespondentin
berichtete sie über den Weltkrieg und bestritt als Radiomacherin Sendungen für
die deutschsprachigen Programme der BBC. Und wie ein notwendiges Finale des Dritten
Reiches erscheint es, dass Erika Mann als Journalistin Zeugin der Nürnberger
Kriegsverbecherprozesse sein durfte.
1947 beginnt für Erika eine Phase von eher editorischer Arbeit hinter den Kulissen,
als ihr Vater sie bittet, Kürzungen und Korrekturen an seinem Roman "Dr.
Faustus" durchzuführen. Die Tochter erweist sich als die kongeniale Mitarbeiterin
des "Zauberers". Ihr geliebter Bruder Klaus schied 1949 selbstgewählt
aus dem Leben, und Erika widmete sich zusätzlich der Bearbeitung auch seines
Nachlasses. 1952 kehrt Erika mit ihren Eltern in die Schweiz zurück, wo sie
Thomas Mann bis zu seinem Tod 1955 als Assistentin zur Seit stand. Auch danach widmete
sie sich mit Hingabe der Verwaltung des literarischen Nachlasses ihres Vaters, ohne
selbst zu einem eigenen literarischen oder schaupielerischen Schaffen zurückzukehren.
Erika Mann starb am 27. August 1969 in Zürich an den Folgen einer Tumoroperation.
Sabine König/ Anne-K. Jung
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