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Sarah
Schulman ist eine Ausnahmegestalt: Schriftstellerin, Theaterautorin, Aids-Aktivistin
und Journalistin. Und nicht zu vergessen Mibegründerin der legendären "Lesbian
Avengers". Aber eins ist sie nie: gefällig. Dazu eckt sie zu oft an - und
vertritt zu unbequeme Meinungen.
Ihr erster in Deutschland erschienener Roman "Ohne Delores" sorgte für
heftige Debatten in der Szene. Denn das Buch unter dem ganz unpassenden Etikett "Krimi"
wartet nicht mit einer netten Geschichte auf und schon gar nicht mit einem Happy
End. Es geht um Frauenbeziehungen, natürlich, aber auch um Gewalt unter Frauen,
um Falschheit, um Lügen und eine feindliche Umwelt. Der Protest in der Szene
war groß. Einserseits. Denn da beschrieb eine Lesbe in mitunter drastischen
Worten, dass das Lesbendasein auch nicht immer rosarot ist. Andererseits war da ein
heller Stern am oft so oberflächlich-langweiligen Lesbenliteratur-Himmel geboren.
Nun ist ihr neues Buch "Schimmer" in Deutschland erschienen, nach einer
Pause von fast sechs Jahren. Was Schulman in der Zwischenzeit gemacht hat, erzählt
sie im Lespress-Gespräch: "Ich habe zwei Bücher geschrieben, die in
den USA noch nicht veröffentlicht wurden: "The Mere Future" und "Love
Creates Worlds". Außerdem habe ich viele Stücke geschrieben. Eins
davon, Carson McCullers, wurde im Januar in New York uraufgeführt." Doch
die Autorin wäre nicht sie selbst, wenn das schon alles wäre: "Zur
Zeit arbeite ich an einer musikalischen Adaption von Schimmer und einer Reihe von
anderen Stücken."
Bei so viel Engagement stellt sich die Frage, was ihr selbst am wichtigsten ist:
Die Arbeit als Autorin, als Aktivistin, als Journalistin oder gar als Teilzeit-Schauspielerin
(in dem Film "Watermelon Woman" spielt sie ziemlich ironisch eine verbiesterte
lesbische Archivarin). Doch da mag sie sich nicht festlegen. "Ich interessiere
mich für so viele politische und künstlerische Dinge. Ich war zum Beispiel
auch eine Avantgarde-Theaterkünstlerin, 15 Jahre lang. Jetzt arbeite ich eher
im Mainstream-Theater, aber ich werde nie vergessen, was ich in der Zeit gelernt
habe, als ich Teil dieser experimentellen künstlerischen Welt war."
Ihre Arbeiten haben neben dem politischen und sozialen Engagement eins gemeinsam.
Sie sind düster, sie haben nie ein nun-ist-alles-gut-Ende. Da stellt sich die
Frage: Ist Sarah Schulman wirklich so pessimistisch? Doch das wäre zu kurz gegriffen.
Die wahre New Yorkerin antwortet lakonisch: "Ich bin eben ein echter Woody-Allen-Typ."
Sarah Schulman eine Literatin, eine die was zu sagen hat. Ihre bildgewaltige Sprache
ist direkt, wütend und kompromisslos, ihr Blick auf das Leben distanzlos. Und
das ist auch ihr großes Thema: Das Leben an und für sich, das Dasein in
New York im speziellen. Allein vier ihrer Romane thematisieren den Einfluss von AIDS
auf die Schwulen- und Lesbenszene, nicht unbedingt ein verbreitetes Thema in Lesbenbüchern.
Schulman richtet ihren scharfen Blick aber auch auf die politische Lage, die Suche
nach individuellem Lebensglück und die soziale Verelendung. Das ist auch in
ihrem aktuellen Roman "Schimmer" nicht anders - und doch unterscheidet
dieses Werk sich völlig von ihren anderen sechs in Deutschland veröffentlichten
Büchern.
Denn "Schimmer" geht einen Schritt zurück, in die USA der 50er, mitten
hinein in die erzkonservative Zeit der Kommunisten- und Intellektuellenhatz unter
Joseph McCarthy. Der führte einen hysterischen Feldzug gegen eine angebliche
kommunistische Unterwanderung von Staatsämtern, Kultur, Medien und Film. Die
Besinnung auf die Vergangenheit ist eigentlich erstaunlich für eine Autorin,
die ihren Finger bislang so schonungslos in die Wunden der Gegenwart legte. Warum
also der Rückgriff? "Ich musste einfach der Aids-Krise entkommen, also
ging ich in die Vergangenheit", erzählt Schulman: "Und mein nächstes
Buch "The Mere Future", wird in der Zukunft spielen". Trotzdem soll
"Schimmer" alles andere sein als eine bloß historische Rückschau.
Denn die damalige Verfolgung von Minderheiten wirkt heute nach. "Man darf nicht
vergessen, dass McCarthy und seine Anhänger erfolgreich waren", gibt Schulman
zu bedenken. Das begründet sie sowohl politisch als auch künstlerisch und
sozial. "Politisch ist eine sozialistische Stimme aus der amerikanischen Diskussion
verschwunden. Die Arbeiterbewegung wurde dauerhaft von ihrer größten Vision
getrennt: Dass Klassenschranken abgebaut werden können", so die Autorin.
Doch die McCarthy-Ära hat noch mehr Spuren hinterlassen. Schulman, die 1958
selbst kurz nach dieser Zeit geboren wurde, erklärt: "Künstlerische
Arbeit, die ihren Blick auch auf das Soziale richtet, gilt seitdem als Nicht-Kunst."
Und die Amerikaner? Die akzeptieren seit dieser Zeit, meint Schulman, dass sie offen
und offiziell legitimiert lügen und ihre Mitmenschen betrügen und tyrannisieren.
Harte und bittere Worte aus dem Mund ausgerechnet einer Amerikanerin. Aber Schulman
geht noch drastischer mit ihrem Land ins Gericht: "Du darfst auch nicht vergessen,
dass die USA das einzige Land sind, die jemals Atomwaffen gegen andere Menschen eingesetzt
hat. Ich fürchte, das Vermächtnis von McCarthy ist eine Nation voller ignoranter
Dominanz."
So wie Schulman auf die McCarthy-Ära zurückblickt, so lässt sie auch
die drei Hauptpersonen ihre jeweilige Geschichte aus heutiger Sicht rückblickend
erzählen. Sylvia Golubowsky, Tochter jüdischer Emigranten und College-Dozentin,
berichtet von ihrer Jugend als Sekretärin bei einer Zeitung. Während sie
hofft, Journalistin werden zu können, schnappt ihr ihr eigentlich unbegabter
Bruder - weil männlich - den erhofften Job vor der Nase weg. Der zweite Protagonist,
Austin van Cleeve, erzählt von seiner Arbeit als Klatschkolumnist bei der Zeitung
seines Vaters. Er ist ungeheuer einflussreich mit seinen intriganten und hinterhältigen
Gerüchten und Klatschgeschichten, mit denen er andere erpressen kann.
Der dritte, Cal Byfield, ein afroamerikanischer Dramatiker, arbeitet als Koch und
träumt vom eigenen Theater. Seine Geschichte wird von seiner Enkelin aus seinen
unveröffentlichen Memoiren rezipiert. Diese drei erleben die McCarthy-Ära
aus unterschiedlichen Blickwinkeln, und doch werden ihre Geschichten im Verlauf des
Buches kunstvoll verwoben - eine Collage entsteht. Die hat mit seiner eindringlichen
Darstellung von Rassismus, Intoleranz und unerfüllten Träumen sowie der
Medien-, Gesellschafts- und Politikkritik nichts an Aktualität verloren. Mit
dem Kunstgriff - die Vergangenheit aus der Zukunft der Personen zu erzählen,
gelingt es Schulman schließlich auch, die Einflüsse und Auswirkungen der
erlebten Geschichte auf die Gegenwart zu beschreiben. Die Akteure bekommen Gelegenheit
zur Abrechnung mit der Vergangenheit, auch mit ihrer eigenen.
Lesben kommen in dem Roman zwar vor (Sylvia verliebt sich in Cals Frau), aber wie
immer bei Schulman steht das Lesbischsein an und für sich nicht im Mittelpunkt
ihres Interesses. In diesem Buch vielleicht noch weniger als in ihren früheren
Werken. Ist das noch ein Lesbenbuch, mag sich da manche fragen. Doch, das ist es
- und mehr. Es geht um Emanzipation, um Minderheiten, um Rebellion und um Unterdrückung
nicht nur der lesbischen Frauen in den 50er Jahren, sondern auch um die von anderen
Minderheiten.
Schulman selbst wehrt sich kategorisch gegen Schubladen, in die sie gesteckt werden
könnte. "Ich bin eine sehr interessierte Person", erklärt sie.
"Ich bin fasziniert. In meinen 43 Lebensjahren habe ich eine Art kumulatives
Wissen angesammelt und ich verstehe die gegenseitigen Zusammenhänge zwischen
Kunst, Politik und Psychologie. Das bedeutet auch, dass mir die Themen nie ausgehen,
die ich verstehen und erforschen will."
Das Anhäufen von Wissen, das Sammeln von Informationen ist diesem Buch deutlich
anzumerken: Es lebt von den detailreichen Schilderungen der Zeit zwischen 1948 und
1951, es ist ein Zeitgemälde. "Ich habe für dieses Buch sehr genau
recherchiert", erzählt Schulman. "Außerdem bin ich in der Nachbarschaft
und in dem Milieu aufgewachsen, in dem der Roman spielt. Ich wurde 1958 geboren und
habe deshalb sehr viele Geschichten über die Nachkriegszeit gehört. Ich
habe mit ihren Überresten gelebt."
Für eine New Yorker Autorin bleibt in diesen Tagen natürlich die Frage
nach dem 11. September und seinen Folgen nicht aus. Auch hier hat Schulman keine
- für die Amerikaner - bequeme Antwort parat: "Es gibt einfach keine ausbalancierte
Diskussion über die Rolle der USA in meinem Land. Die meisten Amerikaner haben
keine Idee, warum der 11. September passiert ist. Sie können sich nicht vorstellen,
dass wir diese Art von Gewalt oder Schmerz immer anderen Ländern aufgezwungen
haben. Sie wissen nicht, dass amerikanische Militär-Gewalt überall auf
der Welt vorkommt und dass die Leute, die darunter leiden, genauso menschlich sind
wie sie. Und sie können sich nicht vorstellen, dass diese Menschen genauso viel
leiden wie die 3.000 New Yorker, die im World Trade Center brutal ermordet wurden."
Die Frage, wie sich das Leben in New York im vergangenen halben Jahr verändert
hat, will Schulman hier und jetzt nicht beantworten: "Das ist zu komplex. Ich
hoffe, ich kann darüber ausführlich spreche, wenn ich im Juni nach Deutschland
und Österreich komme." Bei dieser Gelegenheit wird sie natürlich auch
aus "Schimmer" lesen. Und gern auch kontrovers über ihr Werk diskutieren.
Claudia Frickel |
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