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Cássia Eller |
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![]() Cássia Eller gehörte zur neuen Musikgeneration Brasiliens, die zunächst die "musica popular brasileira" (MPB) verschmähte. MPB war in den 60er und 70er Jahren, den Jahren der Militärdiktatur, die Musik der Intellektuellen. Heute spielt diese anspruchsvollen Songs jeder Radiosender. Übrigens sind US-amerikanische oder englischsprachige Lieder in brasilianischen Radios weit seltener zu hören als hierzulande. MPB ist vielfältig und versucht alte, halbverschollene Musikrichtungen dieses musikalisch reichen Landes neu aufzubereiten. So könnte MPB als ein Mischmasch aus Samba, Bossa Nova, afro-brasilianischen Rhythmen und vielen anderen Stilen beschrieben werden. Brasilien hat seinen MusikliebhaberInnen, und eigentlich ist das fast die gesamte Bevölkerung von 170 Millionen, musikalisch Unmengen zu bieten. Selbst der schmalzigste Chansonier des Landes (Roberto Carlos) hat in den letzten 30 Jahren viele wunderschöne Texte und Melodien gesungen. Heute übernehmen sogar MPB-Stars von ihm immer wieder Lieder. ![]() Cássia wusste schon mit 14 Jahren, als sie eine Gitarre bekam, dass sie Musikerin werden wollte. Sie versuchte sich an Liedern einiger Berühmtheiten, später u.a. auch an Liedern des legendären an Aids verstorbenen Cazuza. Seitdem tendiert ihre Musik auch in den Blues-Bereich, und nicht wenige nannten sie hinfort die brasilianische Bluesinterpretin. Dem harten Rock-Immage entkam sie also relativ schnell. In einer US-amerikanischen Lesbenzeitung wurde sie vor ein paar Jahren gar als Melissa Etheridge Südamerikas bezeichnet. Dabei, so gab sie in dieser Zeitung kund, kannte sie die Musik Etheridges kaum. Ellers tiefe Stimme hebt sich von den klaren, oftmals extrem hohen Stimmen brasilianischer SängerInnen wie Gal Costa, Marisa Monte, Leila Pinheiro, Edson Cordeiro ab, wobei tiefe Stimmen in Brasilien bei Sängerinnen nicht ungewöhnlich sind (Simone, Marina, Zélia Duncan, Ana Carolina, Maria Bethania). Aber Cássias Stimme war anders, ein wenig rauchig vielleicht. Ungewöhnlich war auch, wie sie an dieser Stimme seit ihrer ersten CD herumfeilte. Sie schien nun, nach elf Jahren Karriere, ihre ideal-Musik in der zu ihr passenden Stimmlage getroffen zu haben. Sie hat dem Publikum acht CDs geliefert, die insgesamt bis zu ihrem Tod 700.000 Male verkauft wurden. Die letzte, jene mit dem Barhocker, war bis zum Tag ihres Todes, am 29. Dezember 2001, 400.000 Male über den Tresen gegangen. Am 31.12 hätte Eller in einer der größten Konzerthallen Rios eine Show gegeben. Nicht, dass sie in Rio nicht schon öfters vor ihrem Publikum gestanden hätte. Rio war ihre Geburtsstadt und ihr Wohnort und Rio war auch der Ort, an dem sie starb. ![]() Die Medien beschäftigten sich in den nächsten Tagen nicht nur mit der Frage der Todesursache. Sehr intensiv ñ und positiv ñ wurde die Frage erörtert, wer nun für den Sohn Cássia Ellers sorgen sollte. Die Co-Mutter Eugenia, die von Chicao seit Jahren "Mutter" genannt wurde? Cássia hatte in einem Interview einst gesagt, sie hätte das Kind auf die Welt gebracht, aufgezogen würde es aber nun weit mehr von der Co-Mutter Eugenia. ![]() ![]() Die Lesben- und Schwulenszene Brasiliens trauert um Cássia Eller. Obwohl sie extrem schüchtern gewesen sein soll, war sie, gerade was ihr Lesbischsein anging, außerordentlich offen. Sie stand immer zu ihrer Homosexualität und zu ihrer Beziehung mit Eugenia. Sie erklärte öffentlich, sie sei ein "sapatao" (großer Schuh, negativer Ausdruck für Lesbe in Brasilien). Sie gab in der Lesben- und Schwulenpresse Interviews, genauso wie sie auch in den mainstream Medien kein Blatt vor den Mund nahm. Um die Öffentlichkeit zu schockieren, hob sie bei unzähligen Konzerten ihr T-Shirt und zeigte ihre Brüste. Und das ist in dem prüden Brasilien, wo weibliche nackte Oberkörper an den Stränden polizeilich verfolgt werden, ein Skandal. Und trotzdem wirkte diese Geste bei ihr natürlich. Eine einzige gute Seite hat dieser frühe Tod der Sängerin Cássia Eller: In Brasilien kam in den letzten Monaten eine Diskussion über die Rechte von Lesben und Schwulen in Gang, die sogar zu Unterschriftslisten für das Sorgerecht für die Lebensgefährtin Cássias führte. Auch berühmte PolitikerInnen unterschrieben diese Liste. Vielleicht ist der Zeitpunkt jetzt gekommen, das in einer Schublade liegende brasilianische Partnerschaftsgesetz für Lesben und Schwule wieder hervor zu holen, das auf Druck der Kirche immer wieder in der Versenkung verschwand. Gudrun Fischer Internetseiten: http://www.mpbnet.com.br/musicos/cassia.eller/index.html http://www.musicalango.com.br/cassia_eller.htm http://ireicham.tripod.com.br/cassiaeller/index.html http://www.item.com.br/uol/CassiaEller2001.htm Cássia Ellers Musikverlag: Polygram/Universal |
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