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Im letzen
Jahr sind wir eigentlich verwöhnt worden in der bundesdeutschen Fernsehserienwelt:
Die Lesbe an und für sich war - zumindest quantitativ - nicht ganz unsichtbar.
Da waren Buffy, Emergency Room, Marienhof, Verbotene Liebe, Hinter Gittern und Lindenstraße.
Und da war "Berlin Berlin"! Und das war besser!
Knapp sechs Wochen lang mischte eine neue Lesbenfigur das Vorabendprogramm auf: Rosalie.
Eigentlich spielt sie in "Berlin Berlin" nicht die Hauptrolle, die übernimmt
Lolle - ein "Landei", das in die Großstadt und eine WG zieht. In
eben dieser WG wohnt auch Rosalie, und die ist eine Lesbe. Nach anfänglichen
Schwierigkeiten werden die beiden dicke Freundinnen, und Rosalie hilft Lolle beim
Überleben im Großstadt-Dschungel.
Rosalie ist eine Lesbe, wie sie das Serienpublikum bisher nicht gesehen hat. Denn
dass Rosalie auf Frauen steht, ist eben einfach so. Punkt. Nichts wird erklärt,
nichts psychologisiert und schon gar nichts dramatisiert. Rosalie geht damit völlig
selbstverständlich um, lernt Frauen kennen, verbringt die Nächte mit ihnen,
verliebt sich - genau wie Lolle, nur dass die eben Männer bevorzugt. Rosalie
wird nicht darauf reduziert, dass sie "die Lesbe" ist: Sie ist auch eine
aus dem Osten und eine, die tough sein will, aber verletzlich ist, und so weiter.
Was aber wirklich erstaunlich ist, dass es nicht Rosalie ist, die irgendwann ins
Schwanken gerät (wie so oft in deutschen Vorabendserien, in denen die Lesben
mir nichts dir nichts wieder hetero werden), sondern Lolle. Als ein hartnäckiger
Verehrer sie einfach nicht in Ruhe lassen will, erzählt ihm Lolle kurzerhand,
sie und Rosalie seien ein Paar. Die beiden knutschen und tanzen sehr, sehr eng -
und dann weiß Lolle plötzlich nicht mehr, ob sie nicht doch auf Rosalie
steht. Okay, nach einigem Hin und Her entscheidet sie sich für die Männerwelt,
aber es ist doch ganz anders als so oft in der Film- und Fernsehlandschaft. Denn
Rosalie ist nicht die Dumme, die trauernd und verlassen zurückbleibt, sie wollte
nämlich gar nichts von Lolle (außer sie vor dem Verehrer retten). Lesbischsein
ist hier eine unter anderen Möglichkeiten, eine ganz reale, ganz und gar kein
welterschütterndes Drama.
Die unterschwelligen Vorurteile, die die Hetero-Freunde der beiden trotz aller Toleranz
dennoch haben, werden liebenswert als solche entlarvt. Die beiden Herren sinnieren
über Rosalie und Lolle und darüber, dass sie als Männer ja nie andere
Männer knutschen würden - um dann am Morgen nach einer durchzechten Nacht
festzustellen, dass sie im gleichen Bett geschlafen haben und nicht mehr wissen,
was nun eigentlich passiert ist.
Rosalie, hinreißend gespielt von Sandra Borgmann, ist aber noch mehr: Sie ist
die Sympathiefigur der Serie, sie ist gewitzt, schräg und hat ein großes
Herz. Und sie hat offenbar etwas bewegt: Im Online-Forum zur Serie ist die Hälfte
aller Mädchen in Rosalie verknallt. Die Teenies sind sich dort einig: Lesbischsein
ist cool, Rosalie sowieso. Und 15-jährige Lesben erzählen den 14-jährigen
Hetero-Mädels im Chat, wie es so ist, wenn man sich in eine Frau verknallt.
Bei all dem darf nicht vergessen werden, dass "Berlin Berlin"
(leider nur) eine Vorabendserie für junge Erwachsene ist, die ein größeres
Publikum verdient hätte. Denn die Serie lebt nicht nur von der skurill-witzig-ernsthaften
Geschichte rund um Erwachsenwerden, Sinnsuche und Alltagskampf, sondern auch von
ihrer unkonventionellen und pointierten Erzählweise mit Trickfilmen und Voice-over-Sequenzen.
Umso trauriger, dass sie zwischen Marienhof und Quizshow versteckt und in der beinahe
täglichen Ausstrahlung verheizt wurde. Eine Wiederholung muss her, eine Fortsetzung
sowieso (die steht schon mehr oder weniger fest).
Für Sandra Borgmann ist es nicht das erste Mal, dass sie im deutschen Fernsehen
eine Frau küsste: Im Tatort "Fette Krieger" bändelte sie kurz
mit Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) an, musste dann aber leider den dramatischen
Filmtod sterben. Außerdem hat die 1974 in Mühlheim an der Ruhr geborene
Borgmann viel (experimentelles) Theater gemacht und im preisgekrönten "Oi!Warning"
die weibliche Hauptrolle gespielt. Während der Schauspielausbildung an der Essener
Folkwangschule gründete sie eine eigene Theatergruppe. Sandra Borgmann lebt
in Köln.
Lespress sprach mit Sandra Borgmann über "Berlin Berlin", Rosalie
und über TV-Lesben.
Wie fühlst Du Dich als neuer Star am Lesbenhimmel *g *?
Dass ich der neue "Star am Lesbenhimmel" bin, ist mir ehrlich gesagt
nicht so bewusst - was wahrscheinlich daran liegt - um Deine Frage vorwegzunehmen
- dass ich's (bin ich's? bin ich's nicht....?) nicht bin.
Freuen tut mich natürlich, dass ich als Rosalie und auch als Lesbe rüberkomme,
was mir einige Lesben in sehr netten E-Mails bestätigt haben; dass sich da also
keine Lesbe - soweit ich das mitbekomme - verraten fühlt. Das habe ich mir sehr
gewünscht.
Die Figur der Rosalie ist sehr beliebt - fast noch mehr als Lolle. Das ist zumindest
der Eindruck, wenn man ins Forum zu "Berlin Berlin" schaut. Was glaubst
Du, warum Rosalie von den Zuschauer/innen so gemocht wird?
Ich glaube, was Rosalie so greifbar macht ist ihre "Geerdetheit" und
Direktheit. Sie kümmert sich nicht viel darum, wer was von ihr erwartet und
lebt das, was sie für richtig hält. Wobei sie natürlich auch einiges
verbirgt hinter ihrer Rauheit - wenn sie dann aber mal ihr "Plattenbauten"-Herz
öffnet, kann das umso mehr berühren.
Sie ist sehr anarchistisch, und das ist das, was ich an ihr sehr liebe. Und vermutlich
einige Zuschauer auch.
Rosalie ist anders als andere Lesbenfiguren im deutschen Fernsehen? Was ist Deiner
Meinung nach das Neue / Besondere an ihr?
Ich muss gestehen, ich weiß gar nicht, wie andere Lesbenfiguren in unserer
holden Fernsehlandschaft dargestellt werden. Vielleicht ist das Besondere an Rosalie,
dass sie sich nicht zuordnen lässt? Sie bleibt eine Art Punk und ist eben auch
lesbisch, aber so ist es eben. Die sexuelle Identität wird nicht ewig und aufdrückend
thematisiert. Rosalie ist keine Quoten-Lesbe, die beweisen muss, wie immens integriert
Homosexuelle in unserer offenen Gesellschaft sind.
Hast Du irgendwas mit Rosalie gemeinsam, oder ist sie für Dich "nur"
eine Rolle?
"Nur eine Rolle" ist sowieso nix. Zumindest da, wo Figuren
Menschen sind und nicht nur eine Funktion in einer Geschichte zu erfüllen haben.
Eine Rolle bleibt Annäherung und Arbeit, sie existiert ja nur auf dem Papier,
sie ist kein Kleidungsstück, in das mann/frau hineinschlüpfen könnte.
Natürlich ist Rosalie auch erstmal der totale Gegenentwurf zu Lolle, worüber
Lolle wie auch Rosalie ein Stück ihrer Kontur erhalten. Soweit zur Dramaturgie,
der Rest bleibt in diesem Fall mir überlassen.
Und was ich dann aus Rosalie mache, kann ich ja nur aus mir nehmen, aus dem, was
mir einfällt, was sich mir ergibt - und das hat natürlich sehr direkt mit
mir zu tun.
Ob ich das konkret so lebe oder erlebt habe wie Rosalie, ist nicht wichtig. Ihre
Einsamkeit kenne ich und ihre Angst sich zu binden, ihre etwas verhärtete konsequente
Haltung.
Sie kommt aus Hohenschönhausen/Berlin, ich aus dem Ruhrpott (schön ist
es da auch nicht und mann/frau ist auch nicht auf den Mund gefallen.)
Rosalie ist mit 17, ich mit 16 von zu Hause weg.
Nur bemühe ich mich wahrscheinlich mehr um Verständigung als Rosalie -
wobei ich auch ein ziemliches Sensibelchen sein kann, und das ist sie nicht. Sie
ist viel tougher als ich. Was auch schön war! Als Rosalie könnte mir nix
passieren.
"Berlin Berlin" ist jung, neu, anders, frech - was würdest Du sagen,
was macht das Besondere an der Serie aus?
Die Serie ist weder Abklatsch von Realität noch naturrealistische Sozialstudie
und kommt doch - gerade weil die Figuren und teilweise auch Geschichten überzogen/überspitzt
erzählt werden - der Realität sehr nahe.
In der Comedy wird oft Gefühlen abgesprochen, sich darüber lustig gemacht,
in "Berlin Berlin" nicht. Und auch dem Bild vom "jungen Menschen"
im TV - entweder dynamisch und erfolgreich, banal und teenielastig oder am Rande
und verdrängt - entsprechen wir nicht.
Die Figuren haben echte Gefühle und reelle Probleme und die Figuren-Konstellation
ist nicht beliebig: Jede lebt erst über die andere.
Du hast ja viel Theater gemacht, in "Oi! Warning" und im Tatort mitgespielt.
Was war bisher die Rolle, die Dir am meisten bedeutet hat?
Auf der Bühne waren's "Fräulein Julie" und zwei Arbeiten
der "Wildelife Group" ("Crash" und "Wilde in Parts");
vor der Kamera die Sandra in "Oi! Warning", die Mona im "Tatort -
Fette Krieger" und die Rosalie.
Die Serie endet ja relativ offen - gibt es eine Fortsetzung?
Die Fortsetzung ist natürlich geplant (angedachter Drehbeginn Juli 2002),
von offizieller Seite aber noch nicht unterschreiben, die müssen die Quoten
bis Ende der Ausstrahlung dieser Staffel abwarten.
Hast Du derzeit neue Projekte? Hoffnungen und Pläne für die Zukunft?
Mal schauen was kommt. Ich möchte gern wieder mehr Theater machen. Im Herbst
diesen Jahres fange ich eine Ausbildung zur Alexandertechnik-Lehrerin* an - weniger
um zu lehren, mehr um zu lernen.
Und ansonsten freue ich mich auf neue mutige Projekte.
(* im Theater eine Technik der Körpergrundarbeit)
Claudia Frickel |
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