Claudia Rath  
 
Interview mit der Autorin Claudia Rath,
von Mirjam Müntefering

Bloß keine Zierkettenhemdchen!

Wir schreiben das Jahr 5139 nAZ, nach Zeitrechnung der Großen Drachin Ahrgte im Lande Nordwestmidland. Die gemütliche Welt des kleinen Dorfes Gundelberg steht binnen weniger Stunden Kopf, als eine mysteriöse Fürstin zwei Dorfbewohnerinnen mit sich durch ein Zeittor zieht. Die abenteuerliche Reise durch die Dimensionen nimmt ihren Anfang...
Eine spannende und magische Geschichte um Reisen und Zeitreisen in einem fantastischen Frauenland.


? Claudia, im letzten Monat erschien im MILENA-Verlag dein erster Roman "Die Midlandprophezeiung" -ein Fantasy-Roman wie herbeigezaubert! Midland ist ein reines Frauenland. Und außer Männern ist dort alles geboten: Monster und Zauberinnen, Zeitreisen und Drachinnen. Fantasy war lange Zeit megaout. Warum dieses Genre?
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Ob megaout und megain, das spielte überhaupt keine Rolle bei der Entstehung von Midland. Ich habe mich auch nicht hingesetzt und überlegt: Was könnte ich jetzt wohl mal schreiben? Was passt gerade ins Konzept, zum Zeitgeist oder so. Die meisten Erzählungen meiner Kindheit und Jugend und auch die Geschichten, die ich als Erwachsene gelesen habe, gingen mir einfach nie weit genug. Ich wollte meine eigenen Märchen und Geschichten, in denen ich als Mädchen nicht automatisch dazu verurteilt wurde, mich mit einer blassen Nebenrolle zu identifizieren.
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Also, war es mehr oder weniger Zufall, dass Du einen "lesbischen Fantasy-Roman" geschrieben hast?
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Zufall sicher nicht. Immerhin lebe ich ja in lesbischen Zusammenhängen. Es war eben nur nicht durchgeplant. Ich habe diese Geschichten einfach in mir entdeckt und aufgeschrieben. Sie wurden immer größer, bunter, vollständiger. Da war noch nicht mal mehr die Frage, ob es Männer gibt oder nicht. Sie waren schlicht und ergreifend in meiner Phantasie nicht vorhanden. Punkt.
Ich denke, ich habe diese Welt hauptsächlich erdacht, weil ich immer der Meinung war, es fehlte mir hier in meiner realen Welt etwas, ein Teil meiner Vergangenheit oder eine Tradition, mit der ich mich identifizieren konnte. Ich glaube, ich war auf der Suche nach einer Art innerer Vollständigkeit. Und dann kam mir Midland in den Kopf und all die Geschichten, in denen Frauen alles sein können, alles werden dürfen und immer schon alles waren. Sie sind Heldinnen und Kämpferinnen gegen das Übel, sie sind aber auch Schmiedinnen, Jägerinnen, Künstlerinnen, Räuberinnen, Philosophinnen, Erzmagierinnen und sie haben ihre Welt nach ihren Bildern entworfen. Sie haben, um das jetzt mal sehr flapsig zu sagen, eben nicht nur Beeren eingesammelt und verschwanden anschließend für tausende von Jahren mehr oder minder von der Bildfläche einer patriarchalen Geschichtsschreibung.
Die halbe Welt hier war mir also nie genug. Ich wollte die Chance, alles zu sein, was ich mir wünschte, zu sein. Was bietet da mehr Raum, als eine komplette eigene Fantasywelt?
Mit anderen Worten und sehr kurz: Es war mir einfach ein Bedürfnis, diese Geschichten zu schreiben.
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Was mich erstaunt hat: Der MILENA-Verlag hat nicht einmal das Erscheinen des ersten Midlandromans abgewartet - im Herbst ist bereits der zweite Roman aus deiner Reihe geplant. Ist das nicht ziemlich mutig?
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Die LeserInnen werden letztendlich entscheiden, ob Midland ihnen das bedeuten wird, was es mir bedeutet. Aber es macht mich schon sehr stolz, daß der MILENA-Verlag sofort im Herbst mit dem nächsten Midland Buch nachziehen wird. Obwohl es sich um abgeschlossene Geschichten handelt, entsteht da ein gewisser Fortsetzungseffekt. Zum Beispiel gibt es Protagonistinnen, denen die Leserin im nächsten Buch wiederbegegnet. Auch für mich als Autorin ist es schön, diese Figuren in einer neuen Geschichte zu treffen. Meist haben sie sich verändert, zeigen ganz neue Merkmale und ich habe selbst das Gefühl, sie wie eine Freundin, erst nach und nach richtig kennenzulernen.
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Spannend, wie du es schaffst, deinen Figuren so viel alltägliches Leben einzuhauchen. Die Probleme deiner Protagonistin Andronja kreisen meist um ihr eigenes kleines Universum - ganz so, wie wir es von uns selbst ja kennen. Am meisten hat mich persönlich aber die Figur der Ibak fasziniert, eine androgyne Kämpferin mit butterweichem Kern. So wie Andronja geradezu alltäglich daher kommt, so fremdartig und wundervoll altmodisch erscheint mir Ibak. Woher nimmst du solche Gestalten?
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Also, rund die Hälfte der Midland-Frauen könnte in deiner Nachbarschaft wohnen, die anderen leben in meiner Phantasie.
Ibak beispielsweise ist eine Heldin durch und durch. Klar, sie hat auch menschlichen Schwächen, aber trotzdem: Sie ist die, die nachts in dunklen Unterführungen neben dir geht, sie ist imstande, deine Alpträume abzuwenden und gibt dir den Glauben an deine Stärke zurück, den sie dir als Kind vielleicht versucht haben, auszutreiben. Dabei entspricht sie als Heldin eben nicht den gängigen Klischees einer so oft in unserer Welt beschworenen Fantasyheldin. Ihre Kleidung erinnert zum Beispiel nicht an ein Dominakostüm. Denn mit einem bauchfreien Zier-Kettenhemdchen zu kämpfen ist nicht nur gefährlich, sondern obendrein auch ziemlich dämlich. Aber so wird es in der einschlägigen Fantasylandschaft oft dargestellt. Ibak hat auch keine langen, selbst beim Kampf noch perfekt frisierten Haare nötig. Sie muß eben der geneigten LeserInnenschaft nicht ständig verdeutlichen: ŃJaja, sie ist und bleibt ëtrotz allemí eine Frau!" Trotz WAS? Sie muss ihre Weiblichkeit in Midland nicht beweisen. In Midland hat Frausein ganz viele Gesichter.

? Ibak und Andronja sind nur einige Deiner amüsanten, bösartigen und bezaubernden Figuren...
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Moment bitte! Andronja und Ibak sind nicht bösartig! Und wer weiß, ob aus ihnen nicht doch noch ein Liebespaar wird...
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Das müßtest Du doch wissen!
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Aber ich verrate es nicht!
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Jedenfalls hatte ich beim Lesen immer das Gefühl, ich würde gerne in die Geschichte eintauchen, um mitzumischen...
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Genau darum ging es mir auch. Jede, die sich dazu berufen fühlt, darf in Midland eine Heldin sein, aber sie darf auch schwach und ängstlich sein, ohne dass sie damit qua Geschlechterrolle auf immer und alle Zeiten festgelegt wird.
Ich selbst hatte das Gefühl beim Schreiben jedes Abenteuer mitzuerleben.
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Und für diejenigen, die sich gern mit der schwarzen Seite der Macht indentifizieren, gibt es auch ein paar echte Leckerbissen?!
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Oh, ja! Denn unter Umständen können die Midland-Frauen ganz schön unangenehm sein und dann fehlt ihnen wirklich jede Spur von Harmlosigkeit.
Manchmal erschrecke ich mich beim Schreiben selbst, weil sie derartig fies sein können. Nimm zum Beispiel die korrupte Lanice Lofort - vollkommen besessen von Geld und Macht.
Du siehst: nicht alle Frauen in Midland müssen Heldinnen wie Ibak sein, um ein spannendes, abenteuerliches Leben zu führen.
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Als ich "Die Midlandprophezeiung" zum ersten Mal las, hatte ich das Gefühl süchtig zu werden. Glaubst Du, daß Midland mit seiner Vielfalt ein Ersatz für all das sein könnte, was in unserem Lesben-Alltag fehlt?
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Ersatz? Nein, eine fiktive Welt kann niemals ein vollwertiger Ersatz für etwas sein, das uns im realen Leben fehlt. Eher würde ich es eine bisweilen tröstliche Ergänzungswelt nennen, in die ich reisen kann. Nun ja, für mich als Autorin ist es jedenfalls so. Mir fehlt hier, in unserer realen Umgebung oft das Gefühl für Zuhausesein, Sichersein.
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Aber es gibt doch in Deiner fiktiven Welt reichlich Gefahrenmomente!
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Ja, klar! Und die Midlandwelt ist, wie gesagt, auch alles andere als eine heile, streichelfrohe Wir-haben-uns-alle-lieb-Frauenwelt. Meiner Meinung nach wäre das ein arg unrealistisches Bild. Was ich mit der erwähnten Sicherheit meine, ist das Gefühl des Aufgehobenseins und die Selbstverständlichkeit einer über die Jahrhunderte gewachsenen Frauentradition, Frauengeschichte, und einer Welt, die grenzenlos in ihren fiktiven Möglichkeiten ist.
Midland kann also kein Ersatz sein, nur ein Ort, an den frau sich hoffentlich gerne ab und an zurückzieht, um zu träumen oder Kraft zu schöpfen.
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Und dann gibt es ja auch noch die Worraks. Da muss ja wohl jede Leserin schlucken. Die kommen gar nicht nett rüber. Und ein kleines bisschen hatte ich den Verdacht, dass mit diesen ekligen Monstern vielleicht einige Männer gemeint sein könnten-als Metapher?
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Nein, das ist falsch. Die Worraks sind keine Menschen. Sie sind Ungeheuer, monströse, weißschleimige Gestalten mit vielen Zahnreihen. Ungeheuer gehören in die Märchen- und Fantasygeschichte wie das Salz in die Suppe. Sie sind nicht das Synonym für Männer. Denn ich bin ja gerade froh, dass Männer mir in den Midlandgeschichten einmal nicht im Weg rumstehen. Ich kann im Guten wie im Bösen recht gut auf sie verzichten. Es gibt also weder tolle männliche Helden, die den Ungeheuern den Kampf ansagen, noch irgendwelche Fieslinge, die mit ihnen paktieren.
Und doch stehen die Worraks für etwas. Wahrscheinlich sieht sie jede Leserin anders. Und so soll das auch sein. Für mich sind sie zum Beispiel die Alpträume und Ängste in meiner Seele. Ich denke aber, das Wichtigste ist, dass die Frauen den Kampf gegen diese Ungeheuer gewinnen. Sie gewinnen damit den Kampf gegen ihre eigenen Ängste. Sie sind nicht hilflos. Sie sind stark, mächtig und sie kämpfen bedingungslos für den Erhalt ihrer Welt. Sie begehen nicht den Fehler, ihre Kraft zu vergeuden, sie schließen sich nach Zeiten der Uneinigkeit zusammen. Eine wunderbare Vorstellung.
? Was wünscht du dir für deine Zukunft?
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Ich wünsche mir, dass meine Phantasie mich nicht verlässt. Ich brauche sie ganz dringend, weil sie mich an Orte führt, an denen ich mich daheim fühle.
Ach und: Hab ich nur den einen oder ganz stilecht drei Wünsche?
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Wo wir schon bei Fantasy sind: Natürlich DREI!
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Also dann wünsche ich mir noch, dass mich mein Humor nicht verläßt, denn die Midlandgeschichten stecken voll davon. Und den letzten freien Wunsch lasse ich sozusagen als unbenannten Joker stehen. Wenn ich ihn dann mal brauche, kann ich ihn immer noch in Anspruch nehmen. Ich hab immer gerne eine offene Tür im Rücken.
? Dann wünsche ich Dir, dass Dich diese Tür immer wieder nach Midland führt!
! Danke!
 
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