lespress 0498  

Interview

  Pionierarbeit  
  Ihre Doktorarbeit trägt den Titel "Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualitätė, zu ihren Veröffentlichungen gehören Werke wie "Zeit der Maskierungė und "Im Fluchtgepäck die Spracheė. Wahlberlinerin Claudia Schoppmann ist bis heute eine der wenigen Lesben in Deutschland, die sich der Aufbereitung der Vergangenheit verschrieben haben.
     

  Wie bist du dazu gekommen, dich mit homosexueller Geschichte zu beschäftigen?





















Ganz banal durch das Studium ( Deutsch und Geschichte), erst in Münster und später ab 1979 in Westberlin. Damals gab es in Berlin ein Seminar am soziologischen Institut, das in etlichen Biographien lesbischer Frauen auftaucht: nämlich das berühmte "Lesben-Seminarė, das von Gudrun Schwarz abgehalten wurde; ein Sammelbecken für alle möglichen Lesben. Über das Interesse an lesbischer Literatur und Geschichte bin ich dazu gekommen, mich ab 1980 mit historischer Homosexualitätsforschung zu beschäftigen. Meine Magisterarbeit im Fach Germanistik behandelte denėSkorpionė von Anna Elisabet Weihrauch. Das war schon in den 20ern eine Art Kultbuch und wird von älteren Frauen dieser Generation gerne als Coming-out-Hilfe bezeichnet. Die Beschäftigung mit dem "Skorpionė führte dazu, daß ich mich auch intensiv mit dem historischen Hintergrund befaßt habe, also zunächstvor allem mit den 20er Jahren, die relativ gut dokumentiert sind. Nach der Examensarbeit, 1984, habe ich mich gefragt, was mit der Zeit danach war. Das Thema reizte mich ungemein, nicht zuletzt deshalb, weil die Nazizeit während meiner Schulzeit kaum behandelt wurde Als ich dann begann, mich damit auseinanderzusetzen, habe ich festgestellt, zu dem Thema Nazizeit und Lesben, bzw. weibliche Homosexualität gab es gar nichts!
Ich bin davon ausgegangen, daß eine solche Recherche ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen würde, und so kam ich auf die Idee, ein Stipendium zu beantragen. Damals hatte das Hamburger Institut für Sozialforschung, unter Leitung von Jan Philipp Reemtsma die Arbeit aufgenommen, und dort habe ich mich einfach frech beworben mit einem Antrag zu dem Thema. Zu meiner Überraschung bekam ich tatsächlich ein Stipendium, für mich eine große Chance. Zunächst hatte ich das Ziel, eine Untersuchung zu machen und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Im Laufe der Jahre hat sich das weiter ausgeweitet, so daß ich schließlich 1990 eine Dissertation daraus gemacht habe.
     
  Hattest du auch ein Aha-Erlebnis?






















Ja, doch, eine ganze Menge sogar. Ich habe mich erstmal auf die Spur lesbischer Frauen begeben und habe gemerkt, ich kann mich nicht damit beschäftigen, wenn ich nicht untersuche, - das war damals im Grunde auch unbearbeitet - wie war das mit der männlichen Homosexualität, wie gingen die Nazis mit Schwulen um. Ich mußte feststellen, daß ich das eine nicht ohne das andere darstellen konnte. Während der Nazizeit hat es ja eine geschlechtsspezifische Bekämpfung der Homosexualität gegeben. Frauen wurden eben nicht in gleichem Maße verfolgt wie Männer. Trotz einiger Übereinstimmungen gab es hier auch wesentliche Unterschiede.
Ein anderes Aha-Erlebnis waren die Begegnungen mit Zeitzeugen. Es gab so wenig Material zu dem Thema, Dokumente oder Akten, daß ich dachte, "Jetzt mußt du mal sehen, daß du die letzten Zeitzeugen vor das Mikrophon bekommst.ė Es erwies sich dann als sehr schwierig, Gesprächspartnerinnen zu finden, das war ja vor zehn Jahren, damals lebten schon sehr viele Frauen nicht mehr. Aber es hat mich eben unglaublich gereizt, die Biographien zu rekonstruieren und die Frauen zu Wort kommen zu lassen, denn außer der Biographie von Charlotte Wolff "Augenblicke verändern uns mehr als die Zeitė gibt es überhaupt keine autobiographischen Berichte von Zeitzeugen, wo das Lesbischsein thematisiert wird. Inzwischen leben auch nur noch zwei von den Frauen, die ich interviewt habe, was auf banale Weise zeigt, daß das wirklich auf den letzten Drücker war.
     
  Wie bist du an Gesprächs- partnerinnen gekommen?









Es ging im Grunde nur über Mundpropaganda. Ich habe auch Hilfe von Ilse Kokula bekommen, die schon Mitte der 70er angefangen hatte, Gespräche mit lesbischen Frauen zu führen, und hatte selbst ein paar Kontakte: So kam ich an meine ersten Gesprächspartnerinnen. Am Ende eines Interviews habe ich immer gefragt, ob sie mich noch weiterempfehlen können, an Freundinnen und Bekannte, und so ging es dann weiter. Vieles konnte ich leider nicht realisieren. Einige interessante Persönlichkeiten, wie die legendäre Kati Reinhardt, die schon in den 20er Jahren große Bälle veranstaltete und Clubs bis Anfang der 80er Jahre führte, war so ein Fall. Als ich anfing mit meiner Arbeit, war sie leider schon zu senil, um noch was auszusagen. Alles in allem war es schon fünf vor zwölf, als ich mit den Gesprächen anfing. Dabei sind zum Teil auch Freundschaften entstanden, das hat mich bewegt und auch mein Leben dahingehend geprägt, die geschichtliche Dimension in den Blick zu bekommen.
     
  Denkst du, daß du hier auch eine Aufgabe hast
In gewisser Weise schon. Zum einen reizt es mich einfach, mich immer wieder mit Themen zu befassen, die noch nicht behandelt oder dargestellt worden sind. Vor allem geht es aber darum, den Frauen eine Stimme zu geben, sie zu Wort kommen zu lassen. Keine von den Frauen, die ich für das Buch portraitiert habe, hätte von sich aus selbst über ihr Leben geschrieben. Es war ja auch alles andere als einfach. Ich mußte immer wieder nachfragen "Wollen Sie nicht? Machen Sie doch. Es ist doch wichtig. Manche haben mir auch abgesagt, weil ihnen das zu schmerzlich war, z.B.ist es mir nicht gelungen, mit einer jüdischen Kommunistin, die in Ravensbrück inhaftiert war, ein Gespräch zu führen; ich konnte sie nicht überreden. Natürlich war das ungeheuer schade, sie hätte sicher viel zu erzählen gehabt, aber irgendwann gibt man dann auf, man muß die Entscheidung der anderen schließlich respektieren. Andererseits bin ich ja vielleicht gerade bekannt dafür, daß ich auch unbequeme Wahrheiten darstelle.
     
  Das kommt in "Zeit der Maskierungė ja auch ganz gut raus... Ich sehe Lesben nicht nur als Opfer, möchte sie auch nicht nur als Opfer darstellen, sondern als Menschen wie du und ich mit Schwächen und Stärken, na ja, auch abhängig von gewissen Zeitumständen und persönlichen Faktoren.
     
  Du bist bis heute die einzige, die zu diesem speziellen Thema arbeitet?










Kontinuierlich, ja, jedenfalls, soweit ich weiß. Auch Ilse Kokula hat sich mit dem Thema beschäftigt, vor allem über ihre Gespräche mit Zeitzeugen. Von dahe, fühlte ich mich quasi zur Veröffentlichung meiner Recherchen verpflichtet. Die Interviews hatte ich ja ursprünglich im Zusammenhang mit meiner Dissertation geführt. Aber nachdem ich die Arbeit dann abgegeben und erst noch ein anderes Buch gemacht hatte, habe ich mir gedacht, "Du hast das ganze Material in deinem Schlafzimmer, die Tonbänder sind zum Teil schon abgetippt: Du kannst das nicht vergammeln lassen, das wäre ja eine Schande!ė
Eigentlich hatte ich von dem Thema erstmal genug, aber ich habe dann noch einmal ein neues Stipendium bekommen, vom Forderprogramm Frauenforschung des Beliner Senats. Mit dem zweiten Stipendium konnte ich die Interviews zu Portraits ausarbeiten, die ich dann in dem Buch "Zeit der Maskierungė veröffentlich habe. Es war natürlich sicher nicht immer bequem, was ich da gemacht habe: nächtelang am Computer zu sitzen und Tonbänder abzutippen und zu recherchieren. Ich hätte mir ein einfacheres Thema aussuchen können.
     
  Wie sieht eine Recherche denn konkret aus?

Das ist unterschiedlich. Z.B. erfuhr ich von einer gewissen Henny Schermann. Es gab einen Hinweis darauf, daß sie in Ravensbrück gewesen sein soll, vermutlich, weil sie bei einer Razzia in einem lesbischen Lokal überprüft und festgenommen wurde. Das konnte ich einem Häftlingsfoto entnehmen, wo Frauen-KZ Ravensbrück drunter stand. Aber es war völlig unklar, inwieweit das tatsächlich stimmte. 1986 bin ich das erste Mal nach Ravensbrück in die Gedenkstätte gefahren.. Damals habe ich den damaligen Leiter der Gedenkstätte das Foto gezeigt, er hat gesagt: nein, nein, gibtës nicht, lesbisch und so.
     
  Er meinte, daß Frauen nicht inhaftiert wurden, weil sie lesbisch waren?



Ja, er hat aber auch die Existenz dieser Frau bestritten, obwohl auf dem Foto Ravensbrück stand. Ich habe versucht, diesem Schicksal nachzugehen. Meine Angaben waren spärlich: Ich wußte, wo sie geboren wurde und wo sie gelebt hatte, in Frankfurt. Ich habe mich dort an die Einwohnermeldeämter gewandt und herausgefunden, wie die Familienzusammenhänge waren und so erfahren, daß sie tatächlich 1940 nach Ravensbrück kam. Das war, bevor die Deportationen der Juden anfingen, so daß ich annehmen konnte, daß sie aufgrund ihrer Anwesenheit in einem einschlägigen Lokal verhaftet wurde (ob sie lesbisch war, kann man natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen). Weil sie Jüdin war, ist sie später selektiert und umgebracht worden.
     
  Kannst du das noch etwas konkretisieren, wie du all diese Dinge herausgefunden hast?

Ich habe mich ans Einwohnermeldeamt gewendet und diverse Archive in Frankfurt angeschrieben, die sich mit jüdischer Geschichte beschäftigen, das führte allerdings nicht weiter. Dann habe ich an das Hessische Amt für Wiedergutmachung geschrieben, und tatsächlich - was mehr war, als ich zu hoffen wagte - einen überlebenden Neffen von dieser Frau gefunden, der mir mitteilte, daß die ganze Familie in Kzs umgebracht wurde. Er hat überlebt, weil er emigrieren konnte, er war aber zum Zeitpunkt, als seine Tante ins KZ kam, erst 6 Jahre alt, so daß er nicht sagen konnte, was es mit dieser Verhaftung auf sich hatte. So lagen viele Fälle.
     
  Hingehen und Akten wälzen durftest du nicht?

























































Nach der Wende zeigten sich die Mitarbeiter in der Gedenkstätte aufgeschlossen, ich habe Auskünfte bekommen und mir wurde gezeigt, daß der Name der Frau in den Transportlisten war. So wußte ich, sie war tatsächlich in diesem KZ gewesen. Damit war es dann zu Ende. D.h. nicht ganz zu Ende. Zwar konnte ich in ihrem Fall nicht mehr weiter recherchieren, aber mittlerweile ist in der Ausstellung, die es in der Gedenkstätte gibt, das Schicksal dieser Frau, soweit ich es rekonstruieren konnte, dargestellt. Es gab also durchaus eine Entwicklung.
Alles in allem war es eher eine Ausnahme, wenn ich noch eine Gesprächspartnerin finden konnte. Es ist natürlich ungleich ergiebiger, als wenn man nur einen Namen, nur einen winzigen Hinweis hat und sucht und sucht. Das ist zum Teil sehr mühsam.
Ein anderes Beispiel, an dem ich seit über eineinhalb Jahren sitze: Es geht um eine Frau namens Elsa Conrad, die als Clubführerin in den 20er Jahren sehr bekannt war. Elsa Conrad führte mit ihrer Freundin im Berliner Westen einen Club unter dem Namen "Mali und Igelė. Mali war ihr Spitzname und Igel, die Freundin, die hatte einen Bürstenhaarschnitt. Diese Clubführerin wird öfters genannt, das Lokal war bekannt, auch unter dem Namen "Monbijou des Westensė. Hilde Radusch hatte mir davon erzählt, die war ganz hin und weg von dieser Mali.

Ich habe von einem Forscher, der in der Gedenkstätte in Moringen arbeitet (wo sich das erte Frauenlager in Preußen befand), auf einer Tagung einen Hinweis bekommen. Er hat von ihr eine Personalakte gefunden, so erfuhr ich von ihrer Inhaftierung. Ihr wurden verschiedene Sachen vorgeworfen, z.B. daß sie den "Führerė beleidigt hätte, weil sie behauptet hat, er hätte ein Verhältnis mit Rudolf Hess; sie hätte BBC gehört (was verboten war). Elsa Conrad wurde vor einem Sondergericht verurteilt. Nachdem sie ihre Haftstrafe von über einem Jahr abgesessen hatte, kam die Gestapo an: "Was machen wir mit der Frau? Weisen wir sie doch am besten nach Moringen ein.ė Anhand der Personalakte, die durch Zufall noch existiert, konnte ich feststellen, daß sie von einer Untermieterin denunziert wurde.

Es handelte sich offenbar um eine Bekannte, die Elsa Conrad vorwarf, ihr verschwiegen zu haben, daß sie - nach den Begriffen der Nazis - Halbjüdin und lesbisch war. Nun war sie also in Moringen, konnte aber nach einigen Monaten durch die Hilfe ihrer Freundin Igel - die keine Jüdin war - ihre Freilassung erwirken, unter der Voraussetzung, daß sie sofort auswandern müsse. Das hat sie auch tatsächlich gemacht - es blieb ihr ja gar nichts anderes übrig. Einfach kann das auf gar keinen Fall gewesen sein. Irgendwie ist es Elsa Conrad jedenfalls gelungen, sich eine Schiffspassage nach Nairobi zu verschaffen. Jetzt recherchiere ich seit über eineinhalb Jahren, was aus ihr geworden ist. Ich weiß, wann sie Deutschland verlassen hat, in der Pogromnacht im November 38, und habe bereits einen dicken Briefwechsel mit jüdischen Organisationen, in Afrika. Jetzt habe ich von einer Frau gehört, die Elsa Conrad in den 40er Jahren in einem Coffeeshop in Nairobi gesehen haben will. Diese Frau, die auch bereits um die 80 sein dürfte, habe ich angeschrieben. Auf die Antwort warte ich noch. Irgendwann kann ich vielleicht sagen, wo und wann Mali gestorben ist. Das ist eigentlich ein ganz typisches Schicksal. Bisher hatte man nur den Hinweis von einer Zeitzeugin, wie in diesem Fall Hilde Radusch, die fälschlicherweise behauptet hat, Elsa Conrad sei nach Amerika emigriert. Vermutlich ist sie nie nach Deutschland zurückgekommen. Nach Kriegsende war das nicht so ohne weiteres möglich, und Mali war damals ja auch schon über 60.
     
  Das klingt nach unglaublich viel Arbeit für unglaublich wenig Ergebnisse. Möchtest du manchmal nicht alles hinschmeißen? Es ist natürlich sehr mühsam. Vieles geht nur,weil ich das in meiner Freizeit mache und weil es mich einfach gepackt hat. Ich bin "besessenė davon, heruaszufinden, was aus dieser Frau geworden ist. Sehr oft endet es in einer Sackgasse, das ist schon frustrierend. In einem Buch oder Text ist das dann vielleicht eine Fußnote: "sie verstarb da und daė und man ahnt als Außenstehender nicht, welche Mühe dahintersteckt. Das ist aber auch ein Teil der Forschung.
     
  Letztes Jahr hast du den Rosa Courage-Preis bekommen. War das die erste offizielle Anerkennung deiner Arbeit?







Es war mein erster offizieller Preis. Eine Frau, die meine Bücher kannte, hat mich der Veranstaltungsgruppe "Gay in Mayė in Osnabrück vorgeschlagen, die seit ein paar Jahren den Rosa Courage-Preis vergibt, um den Einsatz von Schwulen und Lesben und auch Heteros für unsere Sache zu würdigen. Ich war doch sehr gerührt und überrascht über den großartigen Rahmen. Daß ich vorgeschlagen worden war, wußte ich, aber man hat mir verheimlicht, wie das ganze vonstatten gehen würde: Im Saal des Rathauses der Stadt Osnabrück, wo der Frieden nach dem 30jährigen Krieg geschlossen wurde, also in einem ganz altehrwürdigen Rahmen. Es gab Ansprachen der stellvertretenden Bürgermeisterin, von Stellvertretern der Gruppe Gay in May, von Hans Hengelein als Vertreter des niedersächsischen Ministeriums, und Gabriele Mittag, die Berliner Journalistin, hat eine so wunderbare Laudatio gehalten, so daß ich schon fast den Tränen nah war. Es war eine öffentliche Anerkennung, wie ich sie bisher in dieser Form nicht erfahren hatte, das war schon etwas Besonderes. Ich denke, so ein Preis zeigt gerade, daß eine offizielle Anerkennung Lesben und Schwulen hierzulande doch fehlt.
  Das Interview führte Monika Richrath  
   
    zurück