Was vom Leben übrig bleibt:  
  Monster  
  Regisseurin Patty Jenkins porträtiert in ihrem preisgekrönten Film Monster die amerikanische Serienmörderin Aileen Wournos und zeichnet das Psychogramm einer verhängnisvollen lesbischen Liebesgeschichte.

Sie ist erdrückend. Kaum auszuhalten. Diese Frau mit ihrem angespannten Mund, dem unruhigen Blick, der aggressiven Sprache. Sie bannt dich in den Kinosessel, drückt dich platt hinein, nimmt dir den Atem zum Luftholen. Charlize Theronsí Meisterleistung, die Darstellung der Serienmörderin Aileen Wournos, geht fast an die Schmerzgrenze des Erträglichen und ist gerade deswegen zu Recht sowohl mit dem Silbernen Bären der Berlinale, einem Golden Globe und dem Oskar ausgezeichnet worden.

Ihr hartes, zur Schau gestelltes Verhalten vermag kaum zu vertuschen wie es hinter der Fassade dieser großen, unflätigen Frau aussieht: Verletzlichkeit, Verletztheit und ein großes Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung. Gründlich hat Charlize Theron die Rolle der Aileen Wournos studiert. In Gesprächen mit der Verurteilten und durch das Studium der Briefe, die sie, aus dem Todestrakt, über 12 Jahre an ihre beste Freundin schrieb. Bis sie am 9. Oktober 2002 wegen Mordes an sechs Männern durch eine Giftspritze hingerichtet wurde. Es sind Briefe, in denen sie von ihrer Kindheit erzählt, über Missbrauch, Prostitution und ihrer Liebe zu Tyria Moore. Einige Passagen dieser Briefe werden als Voice-Over im Film zitiert.
Charlize Theron eignete sich die Sprachmuster von Aileen Wournos an, kopierte ihre Gestik und Mimik und futterte sich zusätzlich 14 Kilogramm Körpergewicht an. Die Ähnlichkeit zwischen Original und Fälschung ist frappierend. Doch das allein macht nicht Charlize Theronsí Authentizität in der Rolle aus. Ihre Überzeugungskraft speist sich aus einem tiefen Verständnis für die Tragik und persönlichen Facetten dieser Frau.

Aileen Wournos ist Prostituierte, hat ihr Leben lang nichts anderes gemacht als ihren Körper zu verkaufen. In ihrer Jugend immerhin noch, um irgendwann für etwas Größeres entdeckt zu werden. Doch nichts passiert außer Missbrauch und Prostitution. An einem besonders schwarzen Tag, an dem Wournos mit dem Gedanken spielt, sich das Leben zu nehmen, trifft sie einer schwul-lesbischen Bar auf Selby. Christina Ricci hat als Selby den Part von Wournos Echtzeit-Geliebten Tyria Moore übernommen. In Selby findet Aileen die Frau, die sie lieben und auf Händen tragen kann. Doch gleich ihr erstes Date geht gründlich daneben. Während Selby auf ihre Geliebte in spe wartet, wird die von einem Freier misshandelt und vergewaltigt. Aileen wehrt sich, erschießt ihren Peiniger. Danach will sie aufhören mit der Prostitution, ein bürgerliches, neues Leben mit ihrer Geliebten führen. All ihre Versuche gehen schief, das Geld geht aus und Selby erwartet mehr von ihrem gemeinsamen Leben als dreckige Motelzimmer und drängt Aileen dazu, sich wieder zu prostituieren.

Geschah Aileens erster Mord noch aus reiner Notwehr, begeht sie die weiteren aus Rache. Vielleicht stellvertretend für alle Misshandlungen, die ihr im Leben durch Männer widerfahren sind. Vielleicht in eingebildeter göttlicher Mission, um die Menschheit von ihren vermeintlichen Peinigern zu befreien. Vielleicht, weil sie die Demütigungen der jahrelangen Prostitution einfach nicht mehr ertragen kann. Bis zum Schluss sagt sie jedoch, sie hätte in Notwehr gehandelt. Sie mordet bis sie eines Tages einen Polizisten tötet. Der Countdown bis zu ihrer Festnahme und zum Ende ihrer Beziehung mit Selby läuft.

Das hört sich alles sehr brutal an, ist es auch, aber die größte Härte für die ZuschauerInnen ist es, die Leinwandpräsenz von Charlize Theron als Aileen Wournos zu ertragen, sie auszuhalten. Regisseurin Patty Jenkins hat ein ausgezeichnetes Porträt dieser Frau geschaffen, Charlize Theron hat es ausdrucksstark transportiert.
Christina Ricci hat es schwer, sich neben ihrer dominanten Filmpartnerin zu behaupten, aber gerade durch ihr ruhiges, subtiles Agieren ó ihre große Stärke liegt in der Ausdruckskraft ihrer Augen ó ist sie als Selby die ideale Liebespartnerin für Aileen Wournos. Im Gegensatz zu Aileen ist Selby klein und zierlich, ein Kind aus "gutem" Hause, das von den Eltern zu ihrer Tante geschickt wurde, um von ihrer Homosexualität geheilt zu werden. Mit Aileen erlebt sie nun ihr erstes großes Abenteuer. Christina Ricci ist hervorragend in ihrer Rolle als scheinbar harmloses Mäuschen mit einer ungeheuren Power, das zu bekommen, was sie will. Sie erkennt Aileensí grenzenlose Liebe für sie ó und nutzt sie schamlos aus. Nicht aus Bösartigkeit, sie kann nicht anders, denn das Verhalten der Beiden bedingt sich in einer tödlichen Beziehungsdynamik.

Die Filmfigur Aileen Wournos entspricht weitgehend ihrem Vorbild, ihre FilmpartnerInnen sind jedoch zusammengefügte Charaktere. Gewinnt man im Film den Eindruck, die Ereignisse würden sich überschlagen, dauerte die Beziehung zwischen Aileen Wournos und Tyria Moore vier Jahre lang. Wie im Film Selby, verschloss auch Tyria Moore die Augen vor dem Doppelleben ihrer Freundin.
Einige Situationen wurden original aus den Briefen in die Filmrealität übertragen, wie die Situation am Busbahnhof, als Aileen ihre Geliebte nach Hause schickt. Andere Szenen spielen an Originalschauplätzen ó die Biker-Kneipe "The Last Resort", die Arrestzelle ó, andere sind hinzuerfunden, um die Geschichte filmisch zu verdichten.
Aber Petty Jenkins ging es um anderes als eine kriminalwissenschaftliche Studie. Sie wollte und hat das eindrucksvolle Porträt einer als Monster verschrieenen Serienmörderin gezeichnet ó und entlässt die ZuschauerInnen mit einem tiefen Gefühl der Betroffenheit und dem Wissen, dass zwar viel dazu gehört ein "Monster" zu werden, aber dass der Grat schmal ist, auf dem man wandert. Und dass ein Schritt in eine Richtung schon der eine Schritt sein kann, mit dem man die Grenze zwischen Gut und Böse überschreitet.

Dagmar Trüpschuch
 
     
  Monster
Regie: Patty Jenkins
Mit Charlize Theron, Christina Ricci
Filmstart: 15. April 2004
 
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