Der dunkle Spiegel der Seele: Anne Clark  
  Einer ihrer Songs heißt "Weltschmerz". Treffender könnte man die 43-jährige Anne Clark nicht charakterisieren. Mit ihren tiefdunklen, melancholischen Gedichten, hinrezitiert über Klangcollagen, die in den verschiedensten Genres wurzeln, schuf Anne Clark den Typus der Spoken Word-Künstlerin, lange bevor HipHop salonfähig war und noch länger vor inflationären Poetry Slams. Amelie Zapf traf die britische Songpoetin in Berlin.

lespress:
Als in Berlin die Mauer fiel, überraschte mich, dass sehr viele Menschen im damaligen Osten Deine Musik kannten. Das war nicht selbstverständlich, da viele Künstler, die im Westen große Namen hatten, im Osten so gut wie unbekannt waren. Wie kam das?
Anne Clark:
Ja, das war kaum zu glauben! Ich erinnere mich noch, als wir vor etlichen Jahren, es muß 1986 oder 87 gewesen sein, einen Auftritt im Tempodrom hatten. Das war hart an der damaligen Grenze, und die Menschen im Osten kamen so nah an die Mauer, wie sie konnten, damit sie mithören konnten. Und als die Mauer dann fiel, erhielt ich eine Menge Post aus den neuen Bundesländern, aus Polen, aus Russland... unglaublich!
lespress:
Um so bemerkenswerter, weil Du ja keinen Vertrieb dort hattest...
Anne Clark:
Nein... Ich erfuhr erst später von den wunderbar ausgefeilten Methoden, die die Menschen dort entwickelten, um Dinge über die Grenze zu schmuggeln.
lespress:
Dem menschlichen Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt...
Anne Clark:
In Deutschland gab es einen Radiosender, der das Problem hervorragend gelöst hatte: Wenn in den Siebzigern oder Achtzigern eine neue Platte herauskam, spielten sie einfach eine ganze Seite ohne Unterbrechung, damit man mitschneiden konnte. Großartig!
lespress:
Aber zurück zu Deiner Musik. Manchmal frage ich mich, ist die Anne Clark, die wir von den CDs kennen, die wirkliche Anne Clark?
Anne Clark:
Soweit möglich... (lacht)
lespress:
Deine Texte sind ja doch recht melancholisch. Ist die Person hinter den Lyrics auch...
Anne Clark:
Klar habe ich meine düsteren Momente, wie wir alle. Dafür braucht man nicht Schriftstellerin oder Musikerin zu sein. Mit manchen Aspekten in unserem Leben ist einfach sehr schwer umzugehen. Und für viele von uns sind Musik oder Literatur, Dichtung oder Malerei eben ein Ort, eine Möglichkeit, um damit fertigzuwerden. Und wenn ich nicht gerade eben das tue, lebe ich mein Leben so positiv wie möglich, hoffe ich. Ja, die dunklen Zeiten gibt es. Aber die gibt es für uns alle.
lespress:
Deine Musik in eine Schublade zu tun, ist beliebig schwierig; sie ist ja doch ein Genre für sich. Gab es irgendwelche Menschen oder Stilistiken, die Du als direkte Einflüsse bezeichnen würdest?
Anne Clark:
Sicher! Als ich erwachsen wurde, kam der Punk auf, mit einer ziemlichen Explosion. Wunderbar! Jeder und jede konnte das machen, was er oder sie für richtig hielt. Die Szene war schon unglaublich, da gab es Bands wie die Sex Pistols und Menschen wie Patti Smith zum Beispiel, die mich wirklich beeinflußt hat, und David Bowie und, naja, so ziemlich alle, die damals angesagt waren. Es gab auch noch eine Masse anderes Zeug, das damals passierte. Und mich hat es immer zu Dingen hingezogen, die sich nicht kategorisieren lassen - das sind die interessantesten.
lespress:
Und mit Deiner Musik hast Du ja diesen Punkt erreicht. Sie polarisiert auch. Entweder liebt man Deine Musik oder...
Anne Clark:
Man hasst sie! (lacht)
lespress:
In jedem Fall ist es eine leidenschaftliche Reaktion. Mir erscheint Deine Musik immer eher dafür prädestiniert, auf Platten aufgenommen und gehört zu werden. Es ist überraschend, dass Dein Erfolg als Liveact dem Deiner CDs in nichts nachsteht.
Anne Clark:
"Live", "lebendig" ist das Stichwort... Etwas erleben. Und deshalb liebe ich es, live zu spielen; da sind nur der Moment und das Material, die Musiker und die Zuhörer. Und es funktioniert. Und manchmal auch nicht. Und das kriegst Du mit, sobald Du auf die Bühne kommst, hoppla, da geht was schief. Aber manchmal hast Du diese wunderbare Verbindung mit den Menschen, mit den Musikern, dem Publikum... Und dann klappt es.
lespress:
Du bist ja eine Frau, die sich selbständig durch das Dickicht der Musikindustrie geschlagen hat. Wie siehst Du die Situation von Frauen in der Musikszene heute?
Anne Clark:
Das kommt wirklich darauf an, aus welcher Ecke sie stammen und ob sie bereit sind das Dummchen zu spielen und, naja, dann mag es gehen...
lespress:
Ich meinte die Independent-Szene...
Anne Clark:
Das steht auf einem anderen Blatt. In den späten Siebzigern, frühen Achtzigern war es machbar. Aber heute ist es, glaube ich, wieder relativ schwer, sich als Frau Gehör zu verschaffen. Wie auch immer. Von einer Frau wird erwartet, dass sie so und so aussieht, sich so und so benimmt, und es ist einfach doppelt, dreifach und vierfach schwierig.
lespress:
Die meisten denken an "Sleeper in Metropolis", wenn sie "Anne Clark" hören. Das wurde ja ein Discohit ohne die obligatorische Flachheit eines Discohits. Und manchmal frage ich mich, hören die Leute, die dazu rumhüpfen, überhaupt auf den Text?
Anne Clark:
Die meisten, ja. Sie kommen wegen der Texte. Zum Beispiel in den neuen Bundesländern kommen Kids auf mich zu und erzählen mir, dass sie mit meinen Texten Englisch gelernt haben. Ich finde das toll, das zu hören.
lespress:
Deine Lyrik schreit ja nicht nach Vertonung, sie könnte ebensogut auf Papier stehen. Was war der Auslöser für Dich, die Gedichte in Plattenrillen zu tun statt zwischen Buchdeckel?
Anne Clark:
Wenn man in Großbritannien etwas veröffentlichen wollte, mußte man einen gewissen Background haben, auf bestimmte Unis gegangen sein, und Dein Vater oder deine Mutter mußten das-und-das gewesen sein... Dieses ganze Klassendenken eben. Aber als Punk aufkam, konnte man einfach machen, was man verdammtnochmal gut fand. Und Musik war mir eben einfach immer sehr wichtig. In der Schule fand ich Lyrik immer schrecklich langweilig. Und das wollte ich versuchen zu ändern, die Hemmschwelle zu senken.
lespress:
In England und Deutschland kennt man Dich. Wie ist es für Dich in anderen europäischen Ländern?
Anne Clark:
Deutschland ist richtig groß... und seit ungefähr fünfzehn Jahren ist es noch größer. Und deshalb haben wir das Buch auch in Deutschland produziert, als Dankeschön an das Publikum hier. Letztes Jahr haben wir auch in Griechenland, Polen und Belgien getourt, und dieses Jahr stehen noch Portugal und Spanien auf dem Programm. Sogar jetzt noch versuche ich aber, meine Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben, das Geschäft ist eben doch recht unbeständig. Ich lasse es einfach Projekt für Projekt auf mich zukommen.
 
  Anne Clark
Notes Taken, Traces Lef
t
Fotografien - Texte - Intervie
ws
Schwarzkopf & Schwarzkopf


Für Fans der britischen "Rocksprecherin" ist das Buch ein Muss - lückenlos dokumentiert es den künstlerischen Werdegang von Anne Clark, alle Plattenveröffentlichungen, Lyrics und die Geschichte(n) dahinter. Ansprechend auch die Gestaltung, mit der der Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf das Opus ausgestattet hat - als solides, schweres Edelpaperback; Layout, Papier und die Druckqualität der zahlreichen Photos sind vom Feinsten. Etwas getrübt wird der positive erste Eindruck jedoch zum einen durch die streckenweise etwas kruden deutschen Übertragungen der Songtexte, denen etwas mehr Feingefühl für die Subtilitäten des englischen Originals wohlangestanden hätte; zum anderen durch die Überladung des Bandes mit Bildmaterial: einige der Photos erreichen bestenfalls Schnappschussqualität und wirken so als Fremdkörper im ansonsten herrschenden Edeldesign, besonders zumal Anne Clarks Urlaubsfotos auch nicht kurzweiliger sind als die anderer Leute und nur für Hardcore-Fans von Interesse sein dürften. Ansonsten ist das Buch jedoch ein liebevoll zusammengestellter und gelungener Rückblick auf das Schaffen einer beeindruckenden Musikerin und verdient durchaus das Prädikat "empfehlenswert".

Amelie Zapf
 
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