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Die amerikanische Erfolgsautorin
Patricia Highsmith ("Der talentierte Mr. Ripley", "Ediths Tagebuch")
mochte Katzen und Schnecken lieber als Menschen und fühlte sich nach einem Interview
laut eigener Aussage "wie nach einem Autounfall". Trotzdem und gerade wegen
dieser Menschenscheu zeichnete sie in ihren etwa 20 Romanen und einigen Kurzgeschichten
in Vollendung die menschliche Psyche in ihrer ganzen Ambivalenz und Abgründigkeit.
Erst im Alter von zehn Jahren erfuhr Patricia Highsmith, dass ihr Vater Stanley Highsmith
gar nicht ihr biologischer Vater war. Ihr tatsächlicher Erzeuger Jay B. Plangman
und ihre Mutter Mary, beide als Illustratoren in der Werbebranche tätig, hatten
eine nur sehr kurze Ehe geführt und sich wenige Monate vor der Geburt ihres
einzigen Kindes scheiden lassen. So kam Mary Patricia Plangman am 19. Februar 1921
in Fort Worth, Texas, als "illegitimes" Kind zur Welt. Erst im Alter von
zwölf Jahren sollte sie ihrem "Bio-Papa" von Angesicht zu Angesicht
gegenüber stehen. Das kleine Mädchen war wohl erstaunt, aber nicht allzu
verstört angesichts dieser Enthüllung. Denn zu ihrem Adoptivvater, dem
neuen Mann ihrer Mutter, hatte sie im Grunde keine tiefere emotionale Beziehung.
Die meiste Zeit verbrachte die kleine Patricia bei ihrer Großmutter mütterlicherseits
- zusammen mit ihrem Vetter Dan, der zu ihrem "großen Bruder" wurde.
Die Familie Highsmith war 1927 von Texas nach New York gezogen und Patricia begann
in der aufregenden neuen Umgebung, sich für Malerei zu interessieren und selbst
das Zeichnen zu lernen. Auch entdeckte sie früh die elterliche Bibliothek als
neues Universum: Meiningers "The Human Mind" mit seinen Fallstudien von
Serienmördern, Pyromanen und Kleptomanen verschlang sie ebenso wie Literatur
von Charles Dickens, Hugh Walpole und Edgar E. Poe. Ihr erklärtes Lieblingsbuch
jedoch, das sie gleich mehrfach verschlang, wurde Dostojevskijs großes Epos
"Schuld und Sühne. Eigene literarische Neigungen zeigten sich bald: Zu
dem immer gleichen schulischen Vortragsthema "Wie ich meine Sommerferien verbrachte"
bastelte sie die fiktive Geschichte einer angeblich real existierenden, unterirdischen
Welt ... und die ganze Klasse lauschte gebannt.
Auf der Highschool veröffentlichte sie erste Kurzgeschichten im Schülermagazin,
so wie ab 1938 auch im Magazin des Barnard College der New Yorker Columbia Universität,
wo sie Englisch, Latein und für ein Jahr auch Zoologie studierte. Eine abgelehnte
Kurzgeschichte verschafft ihr den ersten literarischen Erfolg: "The Heroine"
glorifiziert ein Au-Pair-Mädchen, das die Wohnung ihrer Gasteltern abbrennt,
um die schändlich behandelten Kinder zu schützen. Was das Barnard College
für skandalös und gefährlich hielt, gefiel der großen Zeitschrift
"Harperís Bazaar", wo die Kurzgeschichte schließlich 1944
erschien. Der Grundstein zu einer schriftstellerischen Karriere schien gelegt, allerdings
war sich Patricia selbst nicht sicher, welchen Weg es einzuschlagen galt: Sollte
sie nicht besser Kunstmalerin werden? Mit dem Uniabschluss in der Tasche verdiente
sie sich ihr erstes Geld mit dem Texten von Comics. "Superman" und "Captain
America" widersprachen anscheinend auch nicht ihrer inzwischen deutlich linken
Geisteshaltung. Der Bürgerkrieg in Spanien und der Zweite Weltkrieg hatten sie
politisiert und nachhaltig beeinflusst " sie selbst bezeichnete sich später
durchaus als "kommunistischen". Jenes Freidenkertum brachte sie auch in
Kontakt mit der Greenwich-Village-Szene um Truman Capote, John Bowles und Carson
McCullers. Auf Capotes Fürsprechen hin fand sie Aufnahme in der Künstlerkolonie
Yaddo in Saratoga, wo sie endlich dazu kam, ihren ersten Roman zu vollenden: "Strangers
on the Train" ("Zwei Fremde im Zug") wurde von dem renommierten Verlagshaus
Harper & Sons gekauft und zwei Jahre später veröffentlicht. Die zunächst
nur als banale "Kriminalliteratur" eingestufte Geschichte um die zufällige
Begegnung zweier Männer in einem Zug, die verabreden, gegenseitig ihre Ehefrauen
umzubringen, fand sofort Aufmerksamkeit beim großen Meister des "Suspense"
Alfred Hitchcock, der die Verfilmungsrechte für 6.800 Dollar erwarb. Als der
gleichnamige Film 1951 nach einem Drehbuch von Raymond Chandler in die Kinos kam,
wurde er zu einem Kassenrenner und Patricia Highsmith unvermittelt zu einem Star.
Die junge Autorin hatte in der Zwischenzeit nichts publiziert und jobbte für
ihren Lebensunterhalt " einer dieser Jobs jedoch sollte zur Entstehung von "The
Price of Salt" führen, einem der in Lesbenkreisen wohl bekanntesten Bücher
überhaupt. Highsmith arbeitete während der Weihnachtszeit als Aushilfsverkäuferin
im New Yorker Kaufhaus Bloomingdaleís und erspähte mitten im Getümmel
eine blonde Frau im Pelzmantel. Ihr bloßer Anblick berührte die Autorin
tief und wirkte auf sie wie eine Erscheinung " die Idee für die Protagonistinnen
eines neuen Romans war geboren. Die bis dahin einzigartige Geschichte einer Liebe
zwischen Frauen " einzigartig vor allem aufgrund des Happy Ends - wollte ihr
bisheriger Verlag "natürlich" nicht veröffentlichen. Die Lesbizität
war zu explizit. Und auch Patricia Highsmith war es wohl nicht ganz geheuer, als
Autorin eines lesbischen Buches geführt zu werden. "The Price of Saltì
erschien 1952 schließlich unter dem Pseudonym Claire Morgan in einer Reihe
von Pulp-Geschichten. Trotz einer Million verkaufter Exemplare und Hunderten von
Zuschriften und Liebesbriefen von Frauen erschien "Carol", so der ursprünglich
geplante Titel, erst 1991 unter Highsmiths Namen.
Aber auch anderweitig verkauften sich ihre Bücher rasant: Wieder hatte die "Vision"
eines Menschen, diesmal die Ansicht eines jungen Mannes am Strand von Positano (Italien),
ein Vorbild für eine Romanfigur geschaffen. "Der talentierte Mr. Ripley"
(1954) und die bis 1995 erschienenen vier Fortsetzungsbände zogen ihre Leserschaft
immer wieder auf die Seite des charmanten Mörders Tom Ripley, der von Episode
zu Episode tiefer in eine Spirale aus Lügen und Verbrechen gerät.
Mehr
als ein Dutzend weitere Romane und Anthologien von Kurzgeschichten wurden bis zu
Highsmiths Tod am 4. Februar 1995 veröffentlicht, darunter so erfolgreiche Titel
wie "Ediths Tagebuch", "Leise, leise im Wind" und "Kleine
Mordgeschichten für Tierfreunde".
Die eindeutig lesbische Liebschaft in "Carol" und die nicht nur unterschwellige
Homoerotik in den "Ripley"-Romanen sowie in "Strangers on the Train"
und anderen Werken haben Patricia Highsmith zu Recht zu einer Ikone der schwullesbischen
Literatur gemacht. Über ihr eigenes Privatleben und ihre sexuelle Orientierung
wurde deshalb natürlich viel gemunkelt; Highsmith wich jedoch schon früh
in ihrer Karriere jeder Art von Öffentlichkeit aus. Je bekannter sie wurde,
desto mehr zog sie sich zurück. "Die Zeit nach einem Interview", so
sagte sie, "erlebe ich wie die Genesungszeit nach einem Autounfall". Sie
war sich selbst meist genug, entwickelte im Alter ein Faible für Katzen - und
Schnecken. Beide Tiere bewunderte sie aufgrund ihrer nicht festgelegten Geschlechtlichkeit.
An nur sehr wenigen Stellen ihres Tagebuchs werden die Namen ihrer "Lebensabschnittsgefährten"
ausgeschrieben, doch wenn aus dem reinen Initial einmal ein voller Name wird, so
ist es meist ein weiblicher. Dorothy, Barbara und Ann durften der Einsiedlerin einige
Zeit nahe sein, doch erreicht haben sie die Psychologin, Existentialistin und "Schneckenforscherin"
Patricia Highsmith wohl nie. Das taten dagegen einzelne, fremde Personen in ganz
besonderen Augenblicken, und sie huldigte ihnen mit ihren Büchern.
Sabine König/ Anne-K. Jung
Buchtipp (für alle, die es tatsächlich noch nicht gelesen haben):
Patricia Highsmith: Carol. Roman einer ungewöhnlichen Liebe, 405 S. (verschiedene
Verlage)
(leider vergriffen und daher nur noch antiquarisch zu beziehen) |
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