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Der Grad an
Geborgenheit, den ein Zelt auslösen kann, muß ein Rudiment aus der Zeit
sein, in der die Menschen noch in Höhlen lebten. Man kriecht einfach in eine
Höhle, die zwei Bahnen Stoff unter sich bilden, und alles ist gut. Der Tag war
wunderbar, mein Kopf glüht ein bißchen von der vielen Sonne und dem Wind,
und der kleine Scout neben mir kuschelt sich noch einmal so richtig in den Schlafsack.
Die entfernten Stimmen am Lagerfeuer sind langsam verebbt und ein leises Zischen
kündete vom Löschen der Flammen; jetzt ist es ganz still im Camp, nur der
Wind rauscht ein wenig durch die Blätter. Es ist ganz still. Bis ó auf dieses
ó Rascheln. Da raschelt doch was...

Es ist mitten
in der Nacht, und es raschelt. Man könnte es auch als Schaben bezeichnen. Möglicherweise
ein Kratzen, oder eher ein Graben. Es kann ja schon mal rascheln, wenn der Wind
die Felsen hinauffährt. Aber "es" gräbt nicht. "Etwas"
gräbt. Es ist mitten in der Nacht mitten im Wald auf einer kleinen Insel inmitten
eines dunkel daliegenden Sees mitten in Schweden, und etwas gräbt, unmittelbar
vor unserem Zelt.
"Hörst Du das?"
"Hm."
Der kleine Scout heißt in diesem Jahr der kleine Scout, weil sie zwar auch
alles hier schon kennt, aber jetzt das erste Mal einer Gruppe von Städterinnen
erklärt, wie das hier so ist in der Wildnis; wo die schönsten Lagerplätze
sind, wie frau den Canadier bei Wind senkrecht zu den Wellen stellen muß, wie
zu dritt mit Hilfe zweier Stöckchen 20 Liter kochendes Nudelwasser vom Feuer
genommen und abgegossen werden, wie man im Regen noch trockenes Holz findet. Diesmal
haben wir zu zweit demonstriert, wie nach dem Zähneputzen ökologisch auf
den Boden gespautzt wird und wie es sich auf dem Kloloch einigermaßen knieschonend
aushalten läßt. Ich habe das alles schon ein Dutzend Mal getan und sage
deshalb jetzt auch nur "hm". Was soll da schon graben.
Hört sich an wie ein Eichhörnchen. Aber schlafen Eichhörnchen nicht
nachts? Könnte auch ein Spatz sein. Aber Spatzen so laut? Das trapst auch irgendwie.
Hat also große Füße. Mal lieber genauer hinhören. Und Horchen
paßt ja auch zu den Aufgaben eines Scouts.
"Jetzt hat es aufgehört. Oder?"
In einem Zelt ist es leicht, so zu tun, als sei niemand zu Hause. Einem Zelt sieht
man nie an, was darin passiert, außer die nachgebenden Wände beulen sich
aus, und dann versucht meist nur jemand, die Hosen im Hocken anzuziehen. Eigentlich
ist es momentan auch ganz gut, daß niemand sehen kann, wie wir zwei hier schreckensstarr
mit flachem Atem daliegen und so tun, als seien wir nicht da. Schließlich sind
wir die Scouts. Leider sieht man auch in einem Zelt nichts, vor allem nicht,
was draußen passiert. Aber wenn man rausguckt, ist ja dann auch immer gleich
die Tür offen, und zwei von Reißverschlüssen zusammengehaltene Stoffbahnen
sind im Moment noch besser als gar nichts.
"Können Elche eigentlich wild werden?"
"ELCHE?"
Eigentlich finde ich Elche ja nicht weiter bedrohlich. Elche werden nie wild, andererseits
sind sie fast blind und groß. Sehr groß. Zu groß, um sich von besagten
Stoffbahnen abhalten zu lassen. Das Graben hält inne.
"Psst, sei mal still."
"Gibt es hier eigentlich Wölfe?"
Wölfe! Blödsinn. Letztes Jahr ist mal ein Bär aus Norwegen hierher
ausgebüchst, aber Wölfe... ó Daß diese Schlafsäcke auch immer
so rascheln müssen! Dabei bin ich dem kleinen Scout nur ein ganz kleines bißchen
nähergerückt. Gemeinsam sind Scouts doch viel stärker!
"Hör mal. Es kommt näher. Na hör doch. Es trapst immer näher
an unserem Zelt. Ob die da unten auch was hören?"
Wir haben uns ja so einen schönen lauschigen Platz weit ab vom Geschehen gesucht,
so, die Scouts gehen jetzt schlafen! Schön das Feuer hinterher ausmachen! Fröhlich
sind wir in den Wald gestapft, alles läuft gut, das Wetter spielt mit, und das
Quatschen abends im Zelt ist wie im Ferienlager.
"Ach hör auf, da ist nix. Höchstens 'n Vogel. Oder 'n Biber."
"Aber 'n Biber? So weit weg vom Wasser?"
"Na vielleicht isses ja auch 'n Fuchs."
"`N Fuchs? Aber wenn der ins Zelt kommt! Die ham doch alle Tollwut!"
"Quatsch." Pause.
"Sind die Tonnen alle zu?"
Die Erfahrung, daß der über Nacht einsetzende Sturzregen sechs Tonnen
voller Lebensmittel ó die Rationen für eine ganze Woche ó in ein schwimmendes
Inferno verwandelt hat, macht man in seinem Scoutleben nur einmal. Damals hatte jemand
sogar die Tüte mit dem Kaffee offen draußen rumliegen lassen, und obwohl
an jenem Morgen beim Aufwachen sogar eine ganze Pfütze voll Kaffee schon fertig
war ó die Marke war gut an der obenauf schwimmenden Tüte erkennbar ó hielt sich
die Begeisterung in Grenzen. Natürlich sind die Tonnen zu. Selbst wenn sie offen
wären ó für dieses Viech da draußen sind wir offenbar wesentlich
interessanter.
"Was machen wa'n jetzt? Soll'n wir die anderen holen?"
"Na, du bist doch der Scout! Was macht man denn bei Wildschweinen?"
"WILDWSCHWEINE?! Wir sind doch nicht bei Asterix und Obelix. Und außerdem
ist das hier 'ne Insel."
"Aber die eine hat doch vorhin gesagt, sie hätte Wildschweine gehört!"
"Mach mal Licht an."
"Bist du verrückt! Dann sieht's uns ja"
Inzwischen hat sich der kleine Scout schon in meinen Schlafsack gegraben. Das darf
man als kleiner Scout noch. Ich hingegen muß groß und stark sein. Normalerweise
kann man solche großen Tiere ja mit lauten Geräuschen vertreiben. Aber
was, wenn das Tier dann vor lauter Angst die anderen über'n Haufen rennt und
wir sind Schuld ó Es trappst immer noch. Es hat sich inzwischen einen Rhythmus angewöhnt.
Es nagt. Irgendwie. Vielleicht an der Zeltleine. Aber das macht doch nicht so ein
Geräusch!
Naja. Irgendwie hat uns das Geräusch dann doch in den Schlaf gewiegt, wobei
der kleine Scout beruhigenderweise in meinem Schlafsack vergraben BLIEB. Auf Panik
folgt tiefer, erschöpfter Schlaf.
"Na, gut geschlafen?" Simone ist wie immer als erste wach und pustet in
die Glut. "Habt ihr das auch gehört? Irgend so'n Tier wohl. Zuerst war
ich ja 'n bißchen erschrocken ó das war vielleicht teilweise laut! Aber ihr
habt ja gesagt, hier gibt's überhaupt keine gefährlichen Viecher."
Ich wedele wie wahnsinnig das Feuer mit dem Tonnendeckel an.
"Weißt Du", sagt Simone, "manchmal ist es echt gut, wenn man
jemanden dabei hat, die so was weiß. Das beruhigt ungeheuer."
"Hm", sage ich und sehe den kleinen Scout an. "Wahrscheinlich nur
'n Eichhörnchen." Und die Scouts haben schließlich immer recht.
Susanne Kaiser
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