Lesben bleiben unsichtbar in Russland

 
   
 

Die Gesetze in Russland haben sich zwar zugunsten von Lesben verändert, doch die unsichere politische und wirtschaftliche Situation hält viele davon ab, sich in die Öffentlichkeit zu wagen.

Lena und Sveta haben keine Probleme, sich in der Moskauer U-Bahn küssen - die eine Butch, die andere Femme - nehmen sie die anderen Fahrgäste doch als Mann und Frau wahr. Werden zwei Lesben allerdings als solche erkannt, müssen sie mit homophoben Anfeindungen rechnen. Die meisten Lesben wagen es deshalb nicht, sich zu outen. Sehr wahrscheinlich würden sie als Perverse beschimpft oder sogar körperlich angegriffen werden.

Photo: Inga Karbstein

Lesben sind immer noch weitgehend unsichtbar in der russischen Gesellschaft, obwohl die staatlichen Repressionen Anfang der 90er Jahre abgeschafft wurden. Zumindest dem Gesetz nach müssen sie seit 1992 nicht mehr - wie bis dahin - mit einer Einweisung in die Psychiatrie gegen ihren Willen rechnen. Auch die Abschaffung des Paragraphen 121.1, der "Mannlager" (gemeint sind sexuelle Kontakte zwischen zwei Männern) mit bis zu 5 Jahren Lagerhaft bestrafte, war ein positives Signal für Lesben: Homosexualität war fortan auch in den Augen des Staates kein Verbrechen mehr. Für die Abschaffung des §121.1 organisierten sich Lesben und Schwule seit Ende der 80er Jahre gemeinsam. In Moskau nahm die Bewegung ihren Anfang. Evgenija Debranskaja, die später in der russischen Presse als "erste russische Lesbe" bezeichnet wurde, gründete zusammen mit Roman Kalinin die 'Moskauer Assoziation für sexuelle Minderheiten'. Bereits 1990 startete die Moskauer Gruppe ihr erstes öffentliches Auftreten in Form einer Pressekonferenz, wo sie die Herausgabe der ersten russischen lesbisch-schwulen Zeitschrift tema bekannt gab, die bis 1993 immerhin in 12 Ausgaben erschien. Andere Organisationen wie beispielsweise die ARGO-RISK Vereinigung (Associacija za rovnopravie gomoseksualistov, Vereinigung für gleiche Rechte für Homosexuelle) und MOLLI (Moskovskoe ob'edinenie lesbiskoi literatury i iskusstva, das Moskauer Bündnis für lesbische Literatur und Kunst) wurden Anfang der 90er Jahre ins Leben gerufen. In Petersburg gründeten sich etwa zeitgleich der Èaikovskij-Fond und die Organisation Kryl'ja.

Den meisten Lesben war es jedoch nach einem Leben im Verborgenen erst einmal wichtiger, andere Lesben zu treffen als sich politisch zu engagieren. Seit 1993 öffneten in St. Petersburg und Moskau zumindest einmal wöchentlich eine Diskothek und ein Cafe ihre Türen für Lesben. Über Telefonketten und Anzeigen in Zeitungen erfährt Frau, wo was los ist. "Man kann sich das kaum vorstellen, wenn man nicht selber dabei gewesen ist. Zum ersten Mal konnten wir uns an einem Ort treffen, der nicht geheim war. Wir feierten und tanzten die ganze Nacht. Kaum eine blieb lange allein", schwärmt Lena.
Eine Petersburger Cafebetreiberin, selbst Lesbe, willigte ein, ihr Cafe einmal in der Woche für Lesben zu öffnen. "Bald wurde der Lesbenabend wieder abgeschafft, da niemand im Cafe etwas zu Trinken bestellte. Wegen der Geldnot brachten die Frauen ihren Wodka lieber selber mit, und so gab es kaum Umsatz an den Abenden", berichtet Sveta. "Die Diskothek Kapris kann sich halten, weil dort Eintritt genommen wird und Taschenkontrollen durchgeführt werden".

Natürlich trafen sich Lesben auch schon vorher. Damals machte die Not erfinderisch. Vor der Legalisierung von Homosexualität gaben Lesben verschlüsselte Kontaktanzeigen auf, sofern sich keine Kontakte in der Schule, an der Uni oder am Arbeitsplatz ergaben. "Frau sucht Freundin für gemeinsame Unternehmungen" oder ähnlich lauteten die mehrdeutigen Nachrichten. Wer Pech hatte, bei der meldete sich eine Hetera, die nicht zwischen den Zeilen die eigentliche Botschaft dechiffrierte. Dann hieß es, irgendwie den langweiligen Tag zu überstehen und auf die nächste Antwort zu hoffen. Schlimmer allerdings war, wenn der sowjetische Geheimdienst KGB zwischen den Zeilen las und eine Agentin vorbeischickte. Wen der KGB auf lesbischer Tat ertappte, wurde erpressbar. Außerdem liefen Lesben auch immer Gefahr, in die Psychiatrie eingewiesen zu werden. Dort bekamen die ursprünglich wegen ihres Lesbischseins eingelieferten Frauen Diagnosen wie "schwere Persönlichkeitsstörung" verpasst. Auch Eltern und Pädagogen verwiesen nicht selten lesbische Mädchen an psychiatrische Einrichtungen - neben den Folgen von der Einnahme von Psychopharmaka bedeutete dies auch eine lebenslange Stigmatisierung und Einschränkung bei der Berufswahl. "Persönlich kenne ich keine Lesbe, die in die Psychiatrie zwangseingewiesen wurde", sagt die 28jährige Sveta. "Aber ältere Lesben berichten öfter von Freundinnen, denen das passiert ist." MenschenrechtlerInnen bezweifeln auch heute noch, dass sich durch die Verabschiedung eines neuen Psychiatriegesetzes die Praxis der Zwangspsychiatrisierung geändert hat. Gegen eine missbräuchliche Psychiatrieeinweisung kann man in jüngster Zeit aber zumindest theoretisch rechtlich vorgehen, da nach dem neuen Gesetz hierfür eine persönliche Einwilligung erforderlich ist.
"Die Angst, als Lesbe enttarnt zu werden, ist aber auch heute trotz besserer Gesetzeslage noch groß. Schikanen am Arbeitsplatz oder bei Behörden sind dann meist vorprogrammiert. Manche heiraten und führen ein Doppelleben, um all den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen", ergänzt Lena.

Aber auch das Wohnungsproblem in russischen Städten macht das lesbische Leben nicht einfacher. Die Wenigsten haben eine Wohnung, in der sie ungestört sein können. Aufgrund der Wohnungsnot wohnen sie entweder, wie Sveta, bei ihren Eltern, oder, wie Lena, in so genannten Kommunalkas, Gemeinschaftswohnungen, in denen sich mehrere, oftmals kaum miteinander bekannte Menschen Bad und Küche teilen. Deshalb beschränkt sich das lesbische Leben häufig auf wenige Privatwohnungen und Treffpunkte. Einer davon ist in St. Petersburg das Gender-Zentrum. Hier sind noch einige wenige Lesben der 1996 gegründeten Gruppe Labrys (Doppelaxt) aktiv, die unregelmäßig eine kleine Zeitschrift herausgeben und diese unter Freundinnen verteilen. Bücher zu feministischen und lesbischen Themen können in der Bibliothek des Zentrums, die von der transsexuellen Lesbe Galja geführt wird, entliehen werden. Eine ähnliche Funktion hat auch das lesbisch-schwule Archiv in Moskau. Viele Lesben nutzen die in einer Moskauer Privatwohnung untergebrachte Bibliothek aber auch, um Kontakte mit Gleichgesinnten zu pflegen. Hier werden Lesungen und Videoabende organisiert. Denn selbst in der Metropole Moskau ist das Angebot für Lesben alles andere als üppig. Der in der Szene bekannte Gay-Club "Die drei Affen" öffnet zum Beispiel nur einmal wöchentlich am frühen Abend für Lesben. Sonst treffen sich dort Schwule, die sich die hohen Eintrittspreise leisten können.
Außerhalb der russischen Metropolen ist es viel schwieriger, in Kontakt mit anderen Lesben zu kommen. Deshalb kam Olga Krause, der Gründerin des "Clubs der unabhängigen Frauen", die Idee, diese Frauen mittels eines Postfachs miteinander zu vernetzen. Über Zeitungsanzeigen in überregionalen Zeitungen wurden Frauen aus der Provinz ermutigt, an die angegebene Kontaktadresse zu schreiben und sich zu informieren, ob sich schon Gleichgesinnte aus ihrer Umgebung gemeldet hatten.
Wie schwierig das Leben für Lesben in der russischen Provinz ist, schildert Lena: "Das krasseste Beispiel, das ich jemals gehört habe, war das einer Lesbe aus Murmansk. Sie wollte eine Frau - zu - Mann Geschlechtsumwandlung einzig und allein deshalb an sich vornehmen lassen, um mit ihrer Freundin zusammen leben zu können. Was aus den beiden geworden ist, weiß ich nicht. Bestenfalls sind sie nach Petersburg oder Moskau gezogen".

Trotz aller Hürden hat sich die Lesbenszene zumindest in den Städten St. Petersburg und Moskau seit Anfang der 90er Jahre kontinuierlich vergrößert. Immer mehr junge Frauen füllen die Treffpunkte - eine Generation, die mit deutlich mehr Selbstbewusstsein ihr Lesbischsein lebt. Sie hat weit weniger mit verinnerlichter Homophobie zu kämpfen, als die Generation der heute über Dreißigjährigen, die mit staatlicher Repression und extremer gesellschaftlicher Ächtung aufwuchs.
Die Liberalisierung der Presse seit Beginn der Perestrojka dürfte wohl auch zur Stärkung des Selbstbewusstseins beigetragen haben. Seit Ende der 80er Jahre griffen Medien verstärkt das Tabuthema Homosexualität auf. Auch wenn die Berichte überwiegend mit homophoben Klischees gefüllt waren, entließen sie Lesben und Schwule aus der gesellschaftlichen Isolation. Über lesbisch-schwule Kongresse, die in Moskau stattfanden, wurde zumindest mit Verständnis für die Situation der Lesben und Schwulen berichtet. Diese Artikel ließen das Selbstbewusstsein der Community wachsen. "Es gab sogar schon einen positiven Artikel über lesbische Elternschaft" freut sich Sveta. Ein positives Signal!

Eine Lesbenbewegung wie in Deutschland oder anderen westlichen Ländern gibt es in Russland nicht. Zu groß ist der wirtschaftliche Überlebenskampf vor allem auch für Frauen, die nicht von einem besserverdienenden Ehemann profitieren können. Nicht wenige sind alleinerziehende Mütter. Staatliche Unterstützung existiert im ökonomisch maroden Russland kaum. Aber auch die politisch instabile Situation, die in Russland herrscht, schreckt viele vor politischen Aktionen, die mit einem Gang in die Öffentlichkeit und damit mit einem Outing verbunden sind, ab. "Selbst 1996, als wir noch größere Erwartungen in den Demokratisierungsprozeß in Russland setzten, traute sich keine von uns, ihren Namen für die Registrierung der Lesbenorganisation Labrys herzugeben. Wir einigten uns darauf, Labrys als eine Frauenorganisation zu tarnen, aus Furcht vor einem Rückfall in alte Zeiten. Vor allem das patriotisch-nationalistische Lager hat in den letzten Jahren wieder großen Zulauf bekommen, deren Politik homophob, antisemitisch und rassistisch ist", berichtet Tanja.
Natascha, eine Petersburger Lesbe, fühlt sich von der Politik unter Präsident Wladimir Putin an die "Gehirnwäsche, die in der Sowjetunion praktiziert wurde, erinnert". Auf die anfängliche Euphorie, politisch auf die Demokratisierung Russlands nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Einfluss nehmen zu können, folgte die Frustration. Vetternwirtschaft und mafiose Strukturen hindern die Entwicklung. Die wenigen politisch aktiven Lesben haben sich mittlerweile aus der Politik zurückgezogen.

Svetas Zukunftsprognose fällt vor diesem Hintergrund nüchtern aus: "Die Lesben in Russland werden wohl auch in Zukunft weitgehend unsichtbar bleiben."

Inga Karbstein

 
   
   
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