Various Voices

 
   
  Das 10. Europäische Lesbisch-Schwule Chöre-Festival VARIOUS VOICES findet vom 20. bis zum 26. Mai 2001 statt, diesmal in Berlin.
Bis jetzt haben sich etwa 1.400 SängerInnen aus 70 Chören aus acht verschiedenen Ländern angemeldet. Der Lesbenanteil steigt unaufhaltsam und beträgt in diesem Jahr über vierzig Prozent.
Das Repertoire der verschiedenen Chöre ist beinahe grenzenlos: von klassischem Gesang über Gospel und Soul, Jazz, Chansons, Musical, Schlager und Popmusik bis hin zum Kabarett ist alles dabei.

Das lesbisch-schwule Chöre-Festival VARIOUS VOICES kann auf eine 16jährige Geschichte zurückblicken. Erstmals trafen sich 1985 in Köln vier schwule Chöre. Daraus entwickelte sich langsam aber sicher ein lesbisch-schwules Großereignis der Spitzenklasse - vom Spaßfaktor, aber auch von der musikalischen Qualität her. Europaweit konnten bereits u.a. Amsterdam, Stockholm, London, Hamburg, Zürich und Groningen das Spektakel erleben. In Osteuropa jedoch konnten die OrganisatorInnen keine nennenswerte lesbische oder schwule Chorkultur entdecken. Aus Leipzig kommt immerhin ein schwuler Chor, die "Kirschblüten".

Seit sich vor acht Jahren der erste lesbische Chor beteiligte, steigt der Lesbenanteil immer weiter - auf inzwischen über dreißig Prozent, nämlich 22 von den insgesamt 70 angemeldeten Chören. Gemessen an den Anmeldungen der Einzelpersonen sind es sogar über vierzig Prozent Lesben.
Das letzte und mit 54 teilnehmenden Chören bisher größte Festival fand 1997 in München statt. Die Berliner Vorbereitungsgruppe tritt nun an, einen neuen Teilnahme-Rekord aufzustellen. Neu ist auch, daß das Treffen in Berlin eine ganze Woche dauern wird statt nur einem verlängerten Wochenende. Realisiert wurde das auf ausdrücklichen Wunsch vieler Chöre, die im europaweiten lesbisch-schwulen Chöreverband Legato e.V. organisiert sind. Viel Zeit also in Berlin, um Erfahrungen und Chor-Notensätze auszutauschen, neue Kontakte zu knüpfen und bestehende wiederzubeleben. Und natürlich: sich von anderen Chören inspirieren zu lassen.

Andrea vom Heartchor war von Anfang an bei der Vorbereitung dabei. Sie reiste vor drei Jahren für ihren damaligen Chor zum Delegiertentreffen nach Frankfurt und fand die Atmosphäre dort "sagenhaft nett". Der Zusammenarbeit mit den Schwulen stand sie damals noch, wie sie zugibt, vorurteilsbeladen gegenüber. Heute kann sie sagen, daß es in der Orga keine der befürchteten typischen Männer-Frauen-Konflikte gegeben habe. Einzige Ausnahme, aber von ihr eher am Feierabend beobachtet: der für sie völlig ungewohnte sexualisierte Umgangston voller Anspielungen der Schwulen untereinander.
In dem zwölfköpfigen "inneren Kreis" der Orga sind vier Lesben, die wie alle anderen einen großen Teil ihrer Zeit dem Festival widmen. Sonja empfindet es als Bereicherung, daß sich der Männeranteil in ihrem Bekanntenkreis "verzweihundertfacht" habe. Sozusagen ein Nebenprodukt der Orga-Arbeit ist ein neuer lesbisch-schwuler Chor: die Kleine Berliner Chorversuchung. Sonja: "Insgesamt bewegt sich da etwas. Unsere gelungene lesbisch-schwule Zusammenarbeit werte ich als Erfolg."

Doch Kritik gibt es auch:


Der TeilnehmerInnen-Beitrag beträgt pro Nase bzw. Kehle DM 250,-.
Die Classical Lesbians aus Berlin sind etwa dreißig Sängerinnen, auch wenn zu den Proben und den Auftritten nicht immer alle vollzählig sind. Die Taschenrechnerin ermittelt für sie einen Gesamtbeitrag von DM 7500 - eine für sie unvorstellbare Summe. Nicht nur auf ihren Wunsch hin ließ sich die Orga zur Einführung von Tageskarten erweichen.
Hauptkritikpunkt, über den in der Szene gestritten wird, ist jedoch der gleich hohe Preis für alle. Am äußersten Rand steht die einigermaßen absurde Forderung, grundsätzlich alle Frauen (!) müßten eine Ermäßigung bekommen. Realistischer - und bei vergleichbaren Veranstaltungen durchaus üblich - wäre ein Beitrag gestaffelt nach Einkommen. Martin, Teilhaber einer Werbeagentur, in deren Räumen das Büro von VARIOUS VOICES Untermieter ist, ist einer der Schwulen vom "inneren Kreis" der Orga. Er betont: "Wir haben auch öffentliche Gelder beantragt, um finanzschwächeren Leuten die Teilnahme zu ermöglichen, haben aber dafür nichts bekommen können."
Pech - dann müssen die eben zu Hause bleiben! Aus diesem Grund nimmt der Friedrichshainer FrauenLesben-Chor am Festival nicht teil und fordert "Various Prices statt Various Voices". Geli: "Hier werden über den hohen Einheitspreis welche von vornherein ausgeschlossen. Das machen wir nicht mit - auch die nicht, die es sich leisten könnten." Andrea vom Heartchor, eine der Lesben aus der Orga, findet dagegen, es sei Sache der Chöre, ein Einkommensgefälle auszugleichen. Die Classical Lesbians beispielsweise hätten dafür einen Benefizball veranstaltet.

1988 fand schon einmal ein lesbisch-schwules Chörefestival in Berlin statt. Seitdem ist die TeilnehmerInnenzahl und damit auch der Vorbereitungsaufwand enorm gestiegen. Der veranschlagte Finanzbedarf beträgt dieses Jahr eine Million D-Mark, wovon die TeilnehmerInnen die Hälfte aufbringen sollen. Aus dem Hauptstadt-Kulturfonds kam ein Zuschuß von 170.000 DM. Tagesmieten wie die für den Friedrichstadtpalast in fünfstelliger Höhe sowie die Wochenmiete für das Haus der Kulturen der Welt haben einen nicht unerheblichen Anteil am Gesamtetat. Dazu kommen Werbe- und Druckkosten, Büro und Technik, Versicherungen und vieles mehr. Doch die gesamte Vorbereitungsarbeit, von einigen Aufgaben für Fachleute abgesehen, erledigt die Orga ehrenamtlich, zum Teil schon seit fast drei Jahren. Erst seit März gibt es zwei 630-DM-Stellen. Martin: "Wir haben sogar ein Jahr lang darüber gestritten, ob wir selbst, die Dauerhelfer, den Wochenbeitrag zahlen müssen oder nicht." (Ergebnis: sie zahlen nicht.)

Kritik gibt es auch an der fehlenden politischen Ausrichtung. Manch einer Lesbe drängt sich der Eindruck auf, daß zwar an der Sichtbarkeit der Schwulen und Lesben gearbeitet wird, aber an einem weichgespülten Bild für die Öffentlichkeit und besonders an der Anbiederung an die Werbeindustrie. "Von politischen Inhalten keine Spur! Ich freue mich auf die internationale Begegnung, aber die steht gar nicht so sehr im Mittelpunkt. Das ganze wirkt wie eine Werbeveranstaltung für Lesben und Schwule" so Ulrike von den Classical Lesbians. Ute vom Friedrichshainer FrauenLesben-Chor meint dazu: "Unser Chor ist für mich ein politisches Instrument. Unsere Texte beziehen Stellung zu lesbischen und anderen politischen Themen." Ein Grund mehr, warum sich die Friedrichshainerinnen in dem Konzept von VARIOUS VOICES nicht wiederfinden können.

Dagegen sieht Sonja von der Orga durchaus auch eine politische Dimension des Festivals: "Der Berliner Sängerbund gibt gerade eine Empfehlung heraus an die 900 Chöre, die unter seinem Dach organisiert sind, sich die VARIOUS VOICES-Konzerte anzuhören. Wir haben hier natürlich den Weltoffene-Großstadt-Vorteil. In Baden-Württemberg mußten mehrere lesbische und schwule Chöre erst vor Gericht gehen, um überhaupt in den dortigen Sängerbund aufgenommen zu werden."

Trotz aller Kritik darf frau sich auf die eintausendvierhundert SängerInnen und die vielfältigen Chordarbietungen freuen - und das Echo der Öffentlichkeit auf das lesbisch-schwule Großereignis VARIOUS VOICES interessiert beobachten.

Irene Hummel



Liste der bei VARIOUS VOICES angemeldeten Lesben-Chöre

Cantate Zus & Co, Utrecht, NL
Classical Lesbians, Berlin
Deep C Divas, Sheffield, GB
Die Quintophonen Krähen, Basel, CH
Die Rheintöchter, Köln
DonnAcappella, Frankfurt
Femmes Majeures, Groningen, NL
Frauenchor Unerhört, Bern, CH
Gemengd Dameskoor, Groningen, NL (lesbisch-hetera)
Goed Gestemd, Melle, B
Heartchor, Berlin
Lady be Good, Utrecht, NL
Las Callas, Berlin
Lesbenchor Stuttgart
Liederliche Lesben, Frankfurt
Lilamunde Lesbenvocal, München
Melodiva, München
Melodykes, Düsseldorf
Miss Klang Hamburg (lesbisch-hetera)
Neuer Berliner Damenchor, Berlin
Schneeweißchen und Werde Rot, St. Gallen, CH
Sweet & Power, Bern, CH


Programm VARIOUS VOICES:

Montag, 21.Mai: grandiose Eröffnungsgala im Friedrichstadtpalast
Montag bis Freitag: von 12 bis 19 Uhr Pflicht-Chorpräsentationen, Workshops und die Möglichkeit zu Treffen im Haus der Kulturen der Welt (nicht-öffentlich)
Abends für die Öffentlichkeit: Chorkonzerte, Partys, eine Rauschende Ballnacht
Samstag, 26.Mai: Straßensingen in Berlin mit gemeinsamem Abschluß auf dem Marlene-Dietrich-Platz

Einzel-Anmeldungen werden gerne noch entgegengenommen.
Der TeilnehmerInnen-Beitrag beträgt DM 250,- und beinhaltet folgendes: Eintritt zur Eröffnungsgala und zur Abschiedsparty und einen Abschiedsbrunch am Sonntag, Teilnahme an den geplanten Workshops und Genuß sämtlicher 70 Chor-Pflicht-Präsentationen sowie eine Wochenkarte für die Berliner Verkehrsbetriebe, jedoch kein Essen.

Dringend werden HelferInnen aller Art für die ganze Woche sowie jede Menge Schlafplätze in Berlin gesucht.

Kontakt:
VARIOUS VOICES e.V., c/o fipps
Zossener Str. 55-58
10961 Berlin
Fon: 030 - 61 65 99 31
Fax: 030 - 61 50 73 71
www.various-voices.de
 
   
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