Gayboren am 17. Mai - mit einer Seele aus Pink ....
Ein Portrait der "intuitiv Beauftragten für Kitsch & Pathos": Fräulein Kaiserin

 
 

 
  Nun hat sie also seit einem Jahr eine Residenz in Berlin und neustens auch im Internet.
"Fräulein Kaiserin, Jahrgang 1966, ca. 162 cm, Haarfarbe: Pink, besondere Fähigkeiten: -Stimmlage: Mezzo bis Sopran, kann Jodeln...." - so oder ähnlich sehen sie aus, die Bewerbungsbögen für Werbemodelagenturen und Künstler- & Komparsenvermittlungen, die sie gerade dutzendweise abschickt. "Jetzt helfen nur noch Verzweiflungstaten," sagt sie mit einem bitteren Lachen, "das kann nicht mehr so weiter gehen. Irgendwie muß ich berühmt werden." Ihr Diskant überschlägt sich bei dem Wort berühmt. Und das leicht satirische Kichern und das Kopfschütteln sagen mir, dass sie es doch ernst meint. "Ich schulde meinen Träumen noch Leben," antwortet sie mir auf die Frage, ob sie sich nicht zu schade wäre für solche 'kleinen Jobs'. "Die zahlen wenigstens, wenn `se dich nehmen, hier in Berlin kannst du dich zu Tode benefizen. Hier hat niemand Geld und wenn in der Szene Gagen gezahlt werden, dann kannnst Du davon vielleicht mit dem Taxi nach Hause fahren. - Aber ich will nicht motzen, wenigstens wird tunt hier engagiert und bekommt das Gayfühl* gaybraucht* zu werden". Ganz anders als im Ruhrgaybeat* oder ihren letzten Jahren in Düsseldorf. Dort war ich zwar so etwas wie eine "Institution" irgendwie bekannt, irgendwie wurde auch mein Fehlen auf Veranstaltungen bemerkt, aber engagiert wurde ich dort nicht.
Damals war ich oft in Hamburg, München und noch öfter in den Provinzen : Am Niederrhein, in Friedrichshafen und noch mehr Käffern, derern Namen ich schon nach der Begrüßung wieder vergessen hatte. Aber in der Heimat ein Engagement? Nie! Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht betteln kann. Ich bring´ es einfach nicht fertig, Veranstaltern solang auf die Nerven zu gehn, bis die mich nehmen. Und selbst mit gutem Management hat das bis heute nicht geklappt."
Ein anderes Problem: sie findet keine Live Piano-Begleitung. "In Düsseldorf wollten alle, die sich auf Anzeigen und Aushänge meldeten, gleich Probengeld. Konnt´ich zwar "fair"stehn´, aber nicht zahlen."
Hier in Berlin läuft es ähnlich."Ich brauch´ dummerweise Leute, die echt gut sind, die auch mal transponieren können. Und am besten auch Kompositionstalent haben. Aber solche Leute finden sich leider nur einmal in hundert Jahren. Georgette Dee hat im letzten Jahrhundert ihren kongenialen Terry Truck gefunden und in diesen Jahrhundert bin ich dran!", rettet sie sich aus der bisher doch eher depressiven Stimmung. Also blicken wir auf ihre Erfolgsbilanz : Herbst 1999, kaum in Berlin angekommen, gewinnt sie bei einem Quizspiel auf der IFA ein Dualband-Handy und eine quittengelbe Designer-Luftmatratze im stolzen Werte von 759,-DM. Dann bekam sie Zuschauer-Freikarten für 'Vera am Mittag' - sie konnte die Klappe mal wieder nicht halten und landete so im Februar im Fernsehen. "U.Z.m.W", witzelt Sie :"Unbezahlte Zuschauerin mit Wortbeitrag. Das kannst du hier an jeder Ecke werden. Ich muss mit meiner Mediengeilheit ein bißchen aufpassen, sie gut dosieren, nicht dass die Kamerateams gleich abschieben - nach dem Motto: "nicht DIE schon wieder". Jetzt bei der Berlinale war es schwer. Da könnte ich leicht etwas überpräsent gewesen sein, aber ich muss beruflich auf so viele Empfänge und Parties, wie ich kann." Bei dem genüßlich ausgesprochenen Wort "beruflich" lacht sie sich wieder halbtot.
Seit zwei Jahren schreibt sie für die österreichische Homogazette Lambda-Nachrichten ein Berlinale -Tagebuch und Filmberichte. "Natürlich unbezahlt, aber dafür habe ich eine Presseakkreditierung und kann mich mal zwölf Tage wichtig fühlen. Auch Kleinigkeiten streicheln das Ego!" Weiter Erfolge: im März & April `99 war sie als Demonstrantin im Regional-Programm. Im Mai erschien ein kleines Tratschportrait im neugegründeten Szeneblättchen Gay-Press.de und zu Pfingsten trieb sie sich beim Drachenboot-Rennen in Bad Saarow herum, wo sie sich als rosa Wattebausch der gesamten Medienaufmerksamkeit sicher sein konnte. "Ich wollte eigentlich nur einen Bekannten besuchen, der dort arbeiten mußte - und landete als 'Trommelneger' im Boot von Antenne Brandenburg!" prustet es aus ihr heraus. (Ich wurde vor diesem Interview gewarnt, ihr bloß keine Gelegenheit zu geben, die Gayschichten hinter den Geschichten zu erzählen. Erstens seien sie meist sehr verwickelt, und zweitens dauern sie sehr lang. Dies stimmt zwar, aber hinzuzufügen ist, sie sind auch meist sehr komisch.) Kurz gesagt, das Ergebnis war ein kleines Fernsehfeature, gesendet einen Tag vor dem Berliner CSD. Juni `99 : Fräulein Kaiserin sang auf dem berüchtigten Straßenfest (kleine Bühne) im Rahmen und zu Gunsten von Wigstöckel. Auf dem CSD war sie plötzlich mit drei Schaltungen in der Live -Übertragung und in der Abendschau. Seitdem gilt sie auch in Berlin als berühmt. Im Juli war sie auf "Heimaturlaub" beim Kölner CSD. Und bekam bei Ovo & Tima in der Goldmund-Lounge ihre erste Gage. "Hundert Mark, ganz ohne betteln und sogar unabgesprochen. Ovo Maltine hatte mich um den Auftritt kurzfristig gebeten, nix war ausgemacht. Ich war der Ansicht, ich bin hier so wie immer. Steh´ in keinem Programm und krieg keine Gage. Recht hatte ich nur mit dem ersten Teil." Im August begann der Presserummel fürs Friedrichshainer Parkfest und für Wigstöckel - DEM Transgender-Event in Deutschland. "Ich war so stolz, dass sie mich baten mitzumachen. Für mich ist es selten, dass ich als Gleiche unter Gleichen mit anderen Tunten und Drags zusammmenarbeiten kann." Ein Hauch Gerührtheit schwebt in ihrer Stimme, als sie von Wigstöckel spricht - als Tunte anerkannt werden bedeutet ihr sehr viel. Darüber später mehr. Im Oktober hostet sie ein paar Parties, fertigt Tratsch-Reportagen für Radio Knackpunkt und singt auf einem Kleinkunst-Benefiz außerhalb der Sub. Im November floppte ihre Personalityshow "Kaiserschnittchen". Und im Dezember gönnte sie sich - wie heißt es doch so schön - eine "schöpferische Pause". Das Jahr 2oo1 begann mit einen Portrait in der Porträtiert / Malträtiert-Spalte der Szene-Gazette "Sergej".
"Oh, da mußt du dir Einiges gayfallenlassen. Die schreiben da nur liebevoll gaymeine Sachen über Tunten und Drags." Und wieder schwingt dieser kleine Stolz und die Gaynugtuung mit als "Tunte" wahrgenommen zu werden.
Also nun komme ich nicht drum herum, auch wenn mir jetzt ein langes, verworrenes Elaborat als Antwort sicher ist. Was ist eine Drag Queen? Worin unterscheidet sie sich von anderen "Weiblichkeiten"? Was ist eine Tunte? Und was unterscheidet "eine Tunte geboren im Körper einer lesbischen Frau" (so Frl. Kaiserins Selbstdefinition) von anderen Tunten / Drags / Lesben? - Die Kürze einiger Antworten verblüfft mich dann doch: "Erstens ist Drag die Abkürzung für: dressed as girl (gekleidet als Mädchen). Queen soll wahrscheinlich den Hang zu Glamour darstellen. Daher ist übrigens das Wort Drag King vollständiger Quatsch, denn die kleiden sich ja als Jungs - das müsste wohl eher Drab : dressed as boy oder Dram : dressed as man heißen. Nun, so sind die Amis eben und wir Blöden übernehmen einfach alles unhinterfragt. Aber bevor ich mich aufrege - lies meinen Beitrag : "The Igel hääs biien läändet !" in ' Toll!Toll!Toll! das Berliner Tuntenbuch', da erkläre ich alles genau. Aber weiter: Junge gekleidet als Mädchen, Drags - um die Indikationsgruppe ranken sich deine Definitionsfragen - kleiden sich heute modisch. Und die Mode wird durch die Musikvideo -Idole & Stars wie Madonna und Co. geprägt. Diese kleiden sich seit Jahren im lasziven Schick zu teuren Edelnutten, der Trend bei den Stars geht weg von luxuriös geschneiderten Roben (50er - 70er Jahre) hin zu luxuriös geschneiderten Körpern wie bei Cher. Das ganze gepaart mit dem kollektiven Drang zur "Übertreibung". Was als Hommage oder Lookalike anfing, hat sich verselbstständigt, auch durch den Drang, sich ständig inden Mittelpunkt zu rücken. Sei es als Hackordnung untereinander oder als gayschlossene Front gegen die "Spießer".
Es gibt auch in Deutschland biologische Frauen, die dieses Verständnis von Drag (vielleicht unbewusst) leben. Die Berühmtesten sind : Desirée Nick & Sissi Perlinger. Ich glaub, sie sind kaum zu erkennen ohne Fummel & Schminke. Sich zu schminken bedeuten in diesem Fall nicht, eine Maske aufzulegen, um sich zu verstecken, wie uns Hobbypsychologinnen gerne erzählen. Sich zu schminken ist vielmehr die Offenlegung eines verborgenen Selbst, das Eingeständnis, nicht von Anfang an vollkommen zu sein. Als Crossdressing bezeichnet sich das Anlegen/Leben in der Kleidung des "anderen Geschlechts". Travestie ist die Bezeichnung der reinen Bühnenform des Crossdressens (Fummel als Arbeitskleidung). Als Transvestismus wird im medizinischen Sinne die Fetischisierung des Crossdressing (auch) zur sexuellen Stimulanz verstanden.
All diese Definitionen fuktionieren nur, wenn du ernsthaft glaubst, dass es nur zwei Geschlechter gibt und diese sich grundlegend durch gegensätzliche Verhaltensmerkmale auszeichnen!", bricht sie schelmisch lachend hervor. "Weiter! Kurz!", ruft sie sich zur Ordnung. "Tunte sein ist eigentlich mehr ein Relikt aus den Siebzigern. Damals legten die Tunten gewollt provokant, effeminiertes Verhalten an den Tag, um zu zeigen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Da wurde auch schon mal Fummel und Make up zu wallenden Öko-Vollbärten gaytragen. Tuntigsein ging meist auch mit politischem (meist linkem) Engagement einher. Den Drag Queens heute würde so etwas nicht passieren, die sterben schon kleine Tode, wenn sie morgens ihren Bartschatten im Spiegel sehen. Ich selbst bin eine drag (s.o.), aber zu einer Drag Queen fehlt mir der Wille, mich diesem ästhetischen Ideal zu unterwerfen. Und wenn: wäre ich ich eine Drag Empress!!! - Warum müssen eigentlich Dinge anders heißen, nur weil Frauen sie tun? Mir sind Femisprachschöpfungen wie Clownfrau oder DJane eine Grausin. Ganz davon abgesehen, das Djane eigentlich ein Name einer Einzelnen war, ohne Vornamensnennung und durch ein nicht vorhandenes Copyright plötzlich zum Gattungsbegriff mutierte."
Sie zeige und lebe die Verhaltensmuster der Tunten, darum würde sie es auch so nennen. Das Mobbing der Lesben- und sonstigen Frauenszene führte zwansläufig zu verstärktem Kontakt mit der Schwulenszene, in der sie dann auch - eher zufällig - ihre Tuntenidentität entdeckte.
"Es gab da eine echt unselige, um nicht zu sagen grottenschlechte Frauentagsveranstaltung. Ich war dort in Begleitung einer anderen Lesbe aus dem Umfeld der Chöre. Aufgrund meiner Jugend war ich noch sehr dezent gekleidet, sie trug Marlenehosen und wir bekamen von Autonomen Kampflesben den Spruch reingedrückt: "Guck Dir mal die beiden Tussen an, die machen ja nur ein langes Gesicht, weil keine Schwänze da sind." - - Ich muß dazusagen, ich trug einen kleinen Rosa Winkel - die Regenbogenfahne kam erst später auf. An dem Abend selbst bin ich der Clique noch drei Mal über den Weg gelaufen. Ab dann hatte ich Schwierigkeiten, bei Frauschwofs Einlass zu finden. Da bin ich halt bei den 'Jungs' gelandet und habe in der bunten Welt der Tunten meinen Heimat gayfunden."
Als Polit-Tunte macht sie weniger Schlagzeilen denn als bunter Vogel. Zur Zeit kümmert sie sich in Berlin um das CSD-Forum (das als kläglicher Rest versucht, einige politische Forderungen außer der Homo-Ehe in die CSD-Aufrufe zu bringen) und etwas um den ÖTV / Ver.di - Arbeitskreis Lesben/Schwule/Transidenten, der dies Jahr sein 25 jähriges Bestehen gefeiert. Aber Ihr Hauptaugenmerk liegt auf den zunehmenden Nazi-Aufmärschen in Berlin. Unter AugenAuf richtete sie bei www.uboot.com eine Nickpage ein, über die auch per SMS-Verteiler schnell auf Gegen-Demos hingewiesen werden kann. Auf Nazis ist sie garnicht gut zu sprechen. "Das einzig Braune, was ich in einem Kopf akzeptieren kann, sind braune Augen oder ein Stück Schokolade." Wenn sie Zeit und etwas Geld hat, bewegt sie sich mit ihrem Plakat in der Aufmarschzone und verteilt an Passanten Schokolade. "Ich möchte etwas Positives, Witziges gegen diesen Terror setzen. Die Randale der Autonomen weckt doch nur Feindbilder von Linken. Ich pack die Leute bei ihrer Naschhaftigkeit und verwickle sie in ein Gespräch." Tuntentaktik eben.
Die Homepage ist leider noch nicht komplett: "Viele Texte fehlen noch", sagt sie leicht entschuldigend. "Sie müssen erst noch als Datei erstellt werden. Ich habe früher meine Notizen als Diktat aufbewahrt, bis zu dem ominösen Punkt, da ich sie brauche. Ich bin Legasthenikerin und schreiben ist nicht so meine Stärke. Formulieren ja, aber die Ausführung...- da sind viele gute Geister nötig, bis einer meiner Texte fertig ist. Eine große Hilfe sind mir Computer und das Internet. Per e-mail kann ich die lektorierbaren Fragmente in die Provinzen entsenden und bekomme teils sogar Übersetzungen zurück. Nicht alle Texte stelle ich ins Internet. Es ist mir zu öffentlich, jede/r kann sich unentgeltlich alles runterladen. Irgendwie hoffe ich noch auf ein Buchangebot - mit Lesereise. Schon seit 1992 belatschern mich gutmeinende Bekannte, ich solle meine Memoiren verfassen. Ich halte das eindeutig für zu früh. Aber so eine Homepage ist eine gute Zwischenlösung. Vielleicht meldet sich ja auch mal das Fernsehen, ich brauche dringend eine Talkshow - aber nicht sowas Billiges, wo das Publikum die Gäste fertig macht. Irgendein unverfängliches Thema ohne Sex : -Preiswert einkaufen oder Pechvogelgeschichten oder auch mal was Politisches......"
Sie schuldet ihren Träumen noch Leben. Und sie hat so furchtbar viele Träume.....

Claudia Malewski
Photos: Ulrike Anhamm


* Fräulein Kaiserin ersetzt bei "ge"-vorsilbige Wörter gerne das "ge" durch "gay", wenn die beschriebenen Ereignisse in schwul-/ tuntig dominiertem Umfeld / Zusammenhang stattfinden.
Kästchen :
Homepage www.tuntland.de, irgendwie immer noch in Arbeit, aber wenigstens schon einmal für Fräulein Kaiserin reserviert.
Da Fräulein Kaiserin keinen Computer ihr eigen nennt, ist der schnellste E-mail Kontakt unter
Tuntland@whopper.de (Hier hat sie die Möglichkkeit, anhanglose Texte auszudrucken).

Für den Berliner Lockruf gegen Rechts könnt Ihr Euch unter www.uboot.com unter Nicknames oder unter
AugenAuf@uboot.com oder per SMS registrieren lassen.
 
   
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