Gita Tost  
 
"Ich bin dem Tod begegnet und habe von ihm die Neugier auf's Leben gelernt." Gita Tost ist gestorben.

Nein, sie ist nicht "von uns gegangen" oder "friedlich entschlafen". Sie hat sich auch nicht einfach "freigeschwommenî, wie es eine Literaturfrau am Telefon wollte und sie hat auch nicht "ihre häßliche Larve von sich geworfen und ist jetzt überall", wie es eine Grabrede bei der Trauerfeier wunderschön reden musste.

Gita hat in ihrem Leben nicht beschönigt. Sie hat deutlich geschrieben:
"Heute morgen habe ich mich umgebracht. Wieder einmal. Hat niemand gemerkt."
Ihr Leben lang hat sie geschrieben, getextet, gesungen, gelesen, Kabarett - Makabarett - gemacht: Über das Überleben von sexualisierter Gewalt, über Leben und Tod, um Leben und Tod.
"Ich bin dem Tod begegnet und habe von ihm die Neugier auf's Leben gelernt.", diese Worte hatte sie sich in ihr Zimmer gehängt.
Sie hat das gewagt und getan, was andere für kaum möglich gehalten haben. Sie hat gelebt, immer wieder versucht zu leben, nachdem sie am Anfang ihres Lebens erlebt hat, wie Gewalt tötet. In ihrem ersten veröffentlichten Buch, dem Kinderbuch "Wen, Do und der Dieb" irrt die Prinzessin durch die Welt. Die Seele ist ihr gestohlen worden. Sie trifft eine Freundin und gemeinsam machen sie sich auf den Weg, die Seele wieder zu finden. Der Vater und König hat die Seele gestohlen. Die Mädchen entreissen ihm die Seele. Er muss fliehen - und Wen und Do können endlich mit der wiederbefreiten Seele leben.
Im Kindermärchen ist das Ende gut. In der Wirklichkeit mussten Väter und Ehemänner und Könige niemals fliehen. Sie sind an ihrem Platz geblieben, als angesehene Mitglieder dieser Gesellschaft. Keiner der Männer, die Gita vergewaltigt haben, seit sie sich erinnern konnte, hat jemals Folgen von dem spüren müssen, was er getan hat. Nichts. Sie kämpfte dagegen ein Leben lang mit den Folgen.
Sie ist mit ihren Erfahrungen, die soviele haben, nach außen gegangen. "Genuss auf eigene Gefahr" nannte sie ihr Konzertprogramm. In ihrer Kunst und ihrem Schreiben ging es um sexualisierte Gewalt - und gleichzeitig um lustvolle Sexualität, um Lachen, um Liebe, um Zusammenleben. Der Untertitel ihres Buches, die FreiSchwimmerin, das ihr erster großer Erfolg war, und mit dem sie auf Lesungen durch ganz Deutschland reiste, heißt: "Lust und Grau(s)zonen lesbischer Sexualität."
Lust und Graus.

"Meine Geschichte. Nein, ich bin keine 'Sexpertin'. Wenn ich überhaupt von etwas eine Ahnung habe, dann von den Dingen, die jede Lust vergraulen und Spaß an Sex im Keim ersticken. Fast jeden denkbaren Mist habe ich erlebt: Sexuelle und psychische Folter durch den Vater von klein auf, eine Mutter, die - noch nicht volljährig - von ihren Eltern verheiratet wurde (...); isoliertes und einsames Aufwachsen in einer miefigen Kleinstadt in Niederbayern; die Verlogenheit einer ÇHeilen Mittelschichtswelt' (...), einen vergewaltigenden Ehemann; psychosomatische Schmerzen beim Sex; Flashbacks und Panikattacken...
Wie komme also ausgerechnet ich dazu, ein Buch über Lust zu schreiben? (...) Da muss der Göttin wohl ein Schuss zuviel Granatapfelsaft in den Sud geraten sein, als sie mich in ihrem großen Kessel zusammengebraut hat. Oder so (...) Na, jedenfalls hat sich mein Wille zu echten Sinnenfreuden durch all den Müll und Mist hindurchgebuddelt, den alle möglichen Scheißkerle über mir ausgeschüttet haben. (...) Meine Neugierde und Sehnsucht ruhen und rasten nicht, bis sie herausgefunden haben, was hinter dem Horizont liegt. Meine Lust ist eine Delphinin. Sie sucht das Weite Meer.
(Freischwimmerin S.254f)

Gita hat sich ihren Beruf erfunden: Kreativfeministin. In ihrem letzten Interview in der UKZ hat sie dazu gesagt: "Meine Berufung ist Feministin. Kreativ muss ich sein, um damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen.î
Ein langer kreativer Kampf. Um Gigs und Lesungseinladungen, um den Druck ihrer Bücher (ihr Gedichtband ist immer noch ungedruckt) und um die Zusammenarbeit mit anderen Frauen. Im letzten Jahr war sie in ganz Deutschland für Lesungen, Vorträge und Konzerte unterwegs.
Sie hat versucht, lieben, leben und arbeiten miteinander kreativ zu verbinden. Probiert hat sie, wie tragfähig Utopien sein können. Für ein Stipendium hat sie sich beworben für ihr Forschungs- und Lebensprojekt "Ganztags leben statt halbtags arbeiten". Und an Themen, die der Utopie immer wieder im Wege standen, hat sie sich getraut. Wir haben oft davon geredet, über Gewalt zwischen Frauen zu schreiben.
Dem Leben standen für sie Beziehungszwänge, Gewalt und Konventionen entgegen. Im Zuge der Debatte um die Ehe für Homosexuelle hat sie die Schlampagne (http:// www.schlampage.de »www.womyn/ schlampagne.de) mit ins Leben gerufen, die sich für die Gleichstellung aller Lebensweisen und die Abschaffung aller Eheprivilegien einsetzt.

"Trotz aller Schwierigkeiten, trotz des deprimierenden Zusammenbruchs meines ersten Netzes und der langen, manchmal schwierigen Arbeit an meinem heutigen, würde ich mich wieder und immer wieder für das Schlampenleben entscheiden. Aus Natur und Neigung, aus Idealismus, als Widerstand gegen des Patriarchat, wegen des Abenteuers Neuland und wegen der wahnsinnig beeindruckenden und bereichernden Erfahrung, viele zu lieben und von vielen geliebt zu werden. Um mit Ellen Halpern zu schließen: "If love is so wonderful, what's so scary about MORE?" Wenn die Liebe so wundervoll ist, warum jagt uns MEHR davon solche Angst ein? Oder noch besser: Die Liebe ist so wunderbar, darum gönne ich mir mehr davon, und immer mehr..."
Mit diesen Worten endet der Text "Lesbische L(i)ebensweisen. Von Risiken und Nebenwirkungen der Zweierkiste und real-utopischen Alternativen.", der in einem Sammelband zu Lebensweisen des Querverlages erscheinen wird. Sie hat den Text im Januar fertiggeschrieben, noch an ihre Freundinnen gemailt und zwei Tage später hat sie sich ein Essen aus Knollenblätterpilzen gekocht. Und zwölf Stunden später Passanten im Wald angesprochen, sie ins Krankenhaus zu bringen.

"Heute morgen habe ich mich umgebracht. Wieder einmal. Hat niemand gemerkt."
Hat's niemand gemerkt?
Schöne unschöne Worte werden gemacht.
Sich umgebracht? Die Familie soll geschont werden. Familie und Ehe, Vergewaltigung, sexualisierte Gewalt und Lügen und Schweigen, seit sie denken und fühlen konnte. Sie ist nicht verschont worden.
Sie ist nicht einfach so gestorben. Es war kein tragischer Unfall, kein unglücklicher Zufall und erst recht kein einfacher Schnupfen, woran Gita gestorben ist.
"Gesänge für Überlebende" ist der Untertitel ihrer CD "Bittersüß". Sie hat überlebt und sie hat gelebt und geschrieben und verzweifelt gehofft, daß Leben mehr ist als Überleben -
34 Jahre lang.

Nachrufe schreiben. Ihr nachrufen, und sie kann doch nicht mehr antworten, widersprechen, bissig sein, zustimmen oder den Kopf schütteln. Als ich den Nachruf fertig geschrieben hatte, blieb das Gefühl, das etwas fehlt.

So stimmt es einfach nicht. Ja, klar, ich sollte Gita fragen, was sie darüber denkt. Gita selber fragen? Geht doch nicht. Sie ist tot.

Esther Burkert
 
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