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Christa Winsloe

und die MÄDCHEN IN UNIFORM

Ein Lesbenklassiker, den viele nur vom Hörensagen kennen, aber nicht vom Lesensehen - denn sowohl Buch als auch Film sind vor allen Dingen eines: schwer zugänglich.


ÑUnser aller Geliebte, unsere Heilige, unsere Gute - unser einziges, herrliches Fräulein von Bernburg soll leben... Alle sollen es wissen - sie, sie ist das Wun der - sie ist die Liebe, die höher ist als alle Vernunft...ì Trunken von Liebe und Schwedenpunsch ruft die Internatsschülerin Manuela von Meinhardis vor allen Schülerinnen und Lehrerinnen diese skandalträchtige Liebeserklärung aus.

Unvergessen ist die Schlüsselszene der allseits bekannten Geschichte um die Mädchen in Uniform. Sie ist zu einem wahren Lesbenklassiker geworden.

Weniger bekannt ist heutzutage die Autorin der Geschichte: Christa Winsloe.


Keines ihrer Bücher ist auf dem aktuellen Buchmarkt lieferbar, noch nicht ein mal die Mädchen in Uniform, die ihren Weltruhm begründeten. Die letzte Auf lage dieses Buches gab es 1983 - sie ist natürlich längst vergriffen. Ebenso ver geblich sucht man in Programmkinos (oder entsprechenden TV-Sendern) nach der hervorragenden Verfilmung von 1931. Und das, obwohl Winsloe zu ihrer Zeit eine sehr erfolgreiche Schriftstellerin war und der Film von 1931 aufgrund seiner Qualitäten aus der Weltproduktion des Jahres hervorstach. Er wurde au ßer in Europa auch in USA und Japan gezeigt. Das Buch, in mehrere Sprachen übersetzt, wurde zum Bestseller.

Ebenso spannend wie dieses Buch liest sich die Biografie seiner Autorin.Christa Winsloe wurde am 23.12.1888 als Offizierstochter in Darmstadt geboren. Auch sie kam (ähnlich wie ihre Heldin Manuela von Meinhardis) nach dem frühen Tod ihrer Mutter in ein Stift und zwar in das Potsdamer ÑKaiserin-Au gusta-Stiftì. Dessen vorrangiges Ziel war es, die Mädchen auf ihre künftige Rolle als Soldatenfrau und Mutter vorzubereiten. Danach erfuhr Christa Winsloe in einem Schweizer Internat eine sogenannte ÑHöhere-Töchter-Ausbil dungì. Den Zielen dieser Erziehungseinrichtungen zum trotz wählte sie einen völlig anderen Lebensweg und studierte ab 1909 an der Münchner Kunstgewerbeschule ein für ihr Geschlecht untypisches Fach, die Bildhauerei.Vier Jahre später heiratete Winsloe den ungarischen Zuckerfabrikanten Baron Ludwig Hatvany (1880 - 1961). Die Ehe hielt nicht lange. Winsloe ging zurück nach München, und arbeitete dort als Tierbildhauerin. Aber nicht nur als bildende Künstlerin war sie tätig, auch als Schriftstellerin fand sie ihren Ausdruck.

Während ihrer Ehe schrieb sie den Roman Das schwarze Schaf der allerdings unveröffentlicht blieb. Die Novelle Männer kehren heim handelt von einem Mädchen, das von heimkehrenden Soldaten vergewaltigt wird. Durch die Veröffentlichungen in den Feuilletons mehrerer Zeitschriften (u.a. in ÑQuerschnittì) erlangte Winsloe eine gewisse Berühmtheit, die ihr auch den Weg nach Berlin erleichterte, wo sie schnell Kontakt zu anderen Bildhauerinnen fand. Als eine der wenigen Frauen ihrer Zeit schrieb Winsloe auch für das dramatische Fach. Ihr wohl wichtigstes und folgenreichstes Stück, wurde 1930 in Leipzig uraufgeführt: ÑDer Ritter Nerestanì. Für die Berliner Bühne hieß es dann ÑGestern und heuteì und der Roman, der später dazu entsteht, hieß ÑDas Mädchen Manuelaì. Der Film aber, dessen Drehbuch auf dem Stück basiert, trug dann den Titel, unter dem der Stoff weltberühmt wurde: ÑMädchen in Uniformì. Mit diesem Erfolg schien Christa Winsloe auf das Mädchen-Thema festgelegt zu sein. Sie schrieb das Drehbuch zu dem Film Jeune filles en détresse, und auch ihr letztes Stück Aiono (1943) handelt von einem (finnischen Flüchtlings-)Mädchen. Eine Festle gung, die für sie auch eine Einschränkung bedeutete und sie später gar ver zweifelt von den Ñverreckten Mädchen in Uniformì reden ließ.

Im Jahr 1933 begann Christa Winsloe eine Liebesbeziehung mit der amerikanischen Journalistin Dorothy Thompson. Diese hatte 1930 ein Interview mit Hitler geführt und als eine der ersten in den USA vor ihm gewarnt. Doch das wollten in ihrem Heimatland die wenigsten hören - stattdessen wurde ihre Weitsicht belächelt. Der Satz ÑDorothy Thompson saysì wurde gar zu einem spöttischen, geflügelten Wort. Winsloe folgt der Geliebten in die USA, wo ihr der Erfolg als Schriftstellerin allerdings ver sagt blieb. Hollywood war nicht an ihren Drehbüchern interessiert, die sie in ei ner ihr fremd bleibenden Sprache schreiben mußte. Die Beziehung mit Dorothy Thompson fand ein Ende nach dem diese sich für eine heterosexuelle Lebensweise entschieden hatte. Winsloe kehrte daraufhin 1935 nach Europa zurück. Die Erfahrungen ihrer Schiffsreise wurden Teil des Romans Passaggiera.

Noch im selben Jahr ihrer Rückkehr nach Europa er schien in London der Roman um das beginnende Leben einer lesbische Bildhauerin und zwar gleich in der englischen Übersetzung: Life begins. In dieser produktiven Zeit entstand auch der (unveröffentlichte) Roman Die halbe Geige, der sich der schwulen Emanzipation widmet. Wieder in Europa folgten für Winsloe Aufenthalte in Italien, Ungarn, Österreich und Deutschland bevor sie sich in Südfrankreich niederließ. Dort lebte sie zusa men mit Simone Gentet, einer Schweizer Schriftstellerin. Als 1944 ein Evakuierungsbefehl drohte, planten die beiden die Flucht über Deutschland nach Ungarn. Bei dem Versuch, in Cluny eine Einreisegenehmigung für Deutschland zu erhalten, wurden Christa Winsloe und ihre Lebensgefährtin Gentet am 10. Juni 1944 in einem Wald von fünf Franzosen erschossen. Das Motiv war unklar, 1948 gaben die Täter in ei nem Prozeß vor, im Auftrage der Résistance gehandelt zu haben. Aus Mangel an Beweisen wurden die fünf freigesprochen. Winsloe wurde der Kollaboration mit der deutschen Besatzung bezichtigt. Ein Vorwurf, der nicht nur jeder Grundlage entbehrte, sondern angesichts ihrer anti faschistischen Überzeugung und ihres wiederholten Engagements für Flüchtlinge geradezu absurd wirken mußte. Ihre Bücher waren in Deutschland nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zum sogenannten Ñunerwünschten Schrifttumì erklärt worden, der Film Mädchen in Uniform war verboten.

1931 entstand dieser Film unter Bedingungen, die auch für heutige Verhältnisse noch außergewöhnlich sind: es wurde eine eigene Produktionsgesellschaft gegründet, an der alle, die in und an dem Film mitwirken, beteiligtwaren. Dazu gehörten neben den Schauspielerinnen die Drehbuchautorin Christa Winsloe und auch die (vermutlich lesbische) Regisseurin Leontine Sagan. Auch wenn die Ñkünstlerische Oberleitungì ein Mann, Carl Froelich, innehatte, so war es doch erstaunlich, daß so viele Frauen im Filmteam waren. Eine wahre Rarität ist die Tatsache, daß vor der Kamera ausschließlich Frauen standen! Darunter auch Hedwig Schlichter (Fräulein von Bernburg), Hertha Thiele (Manuela von Meinhardis), Emilia Unda (Heimleiterin) und in einer Nebenrolle, als Deutschlehrerin, Erika Mann.

Die Aufnahme des Filmes ist bis heute von Mißverständnissen und Wider sprüchen geprägt. In Deutschland konnte der Film nach seiner Fertigstellung nicht nur ohne Beanstandungen, sondern auch mit großem Erfolg gezeigt wer den. Vielfach wurde nur die Kritik an dem preußischen Obrigkeitsstaat und dem militärischen Gepräge der Erziehung gesehen, der lesbische Gehalt aber ignoriert. Auch heute noch ist in namhaften Filmlexika von einer Ñals lesbisch miß verstandenen Beziehungì die Rede. Was jedoch Goebbels dazu verleitete, den Film als Ñfabelhaft gedrehtes, außerordentlich natürliches und mitreißendes filmisches Kunstwerkì zu loben, ist mehr als fraglich. Er muß sich entweder ausschließlich auf formale Aspekte beziehen oder die wesentlichen Aussagen des Films ignoriert oder falsch verstanden haben. Richtiger verstanden ihn da schon die US-Amerikaner, die immerhin siebzehn Ñanstößigeì lesbische Stellen fanden, die vor der Ausstrahlung rausgeschnitten wurden.

Ganz gleich wie frau den Film bewertet, ob als Plädoyer für eine lesbische Emanzipation oder als Kritik an preußischer Erziehung, der sich die lesbische Thematik unterordnen müsse, eines steht fest: das Werk von Leontine Sagan ist ungleich sehenswerter als das Remake von 1958 unter der Regie von Géza Radvanyi mit Romy Schneider und Lilli Palmer in den Hauptrollen und Therese Giehse als Heimleiterin. Die mexikanische Verfilmung von 1950 (Muchachas de Uniforme), inszeniert von Alfredo B. Crevenna, blieb in Deutschland weit gehend unbeachtet.

Auch wenn Winsloe den Roman ÑDas Mädchen Manuelaì nach der Verfilmung schrieb, so ist er doch nicht das Buch zum Film, sondern ein eigenständiges ästhetisches Werk. Es unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der Kinofassung. Während der Film mit Manuelas Eintritt in das Internat einsetzt, beginnt der Roman mit ihrer Geburt und schildert die Kindheit in der Offiziersfamilie, die intensive Beziehung zur Mutter, ihren schmerzlichen Verlust und dann schließlich erst die Internatserziehung der Halbwaisen. Desweiteren hat Fräulein von Bernburg eine andere Rolle. Den im Film geäußerten heroisch, emanzipatorischen Satz ÑWas sie Sünde nennen, nenne ich den großen Geist der Liebe, der tausend Formen hat.ì sucht frau im Roman vergeblich. Dort kämpft die von Bernburg mit der Macht preußischer Disziplin gegen ihre lesbischen Gefühle und rät Manuela, selbiges zu tun. Letztere bleibt damit unverstanden und von der geliebten Lehrerin verlassen. Konsequenterweise endet das Werk mit dem Tod Manuelas. (In den Verfilmungen von 1931 und 1958 wird Manuela gerettet.) Natürlich ist es nicht nur aufgrund dieser Abweichungen lohnenswert, das Buch zu lesen. Das Werk besticht ferner durch seine präzise, bilderreiche Sprache und durch die subtile Einfühlung in die kindliche und jugendliche Psyche. Es zeichnet das Bild einer Epoche, aus deren Geist schließlich auch jene Zeit erwuchs, die eine Nazi-Diktatur ermöglichte.

Die Diskrepanz zwischen der Bedeutung Christa Winsloes und der Mißach tung, die sie heute vielerorts erfährt, ist völlig unverständlich. Bleibt abschließend nur die Hoffnung, daß sich bald wieder ein Verlag ihres Werkes annimmt sowie der Gang in die Bibliothek (oder ins Antiquariat), wenn frau sie heute schon lesen will...


Sabine Tenta


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