Punk And Poetesse: Aphra Behn  
  Aphra Behn brach die Tabus ihrer Zeit: Sie war Geheimagentin der englischen Krone in Belgien und polarisierte nach ihrer Rückkehr mit einer beispiellosen Karriere als Schriftstellerin die englische Gesellschaft. Sie liebte Männer und Frauen, schrieb darüber und gab offen zu, nach Ruhm und Einfluss zu streben.

Die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts war eine turbulente Zeit. Die erbitterten Machtkämpfe zwischen König und Parlament eskalierten im Ausbruch des englischen Bürgerkrieges 1642, aus dem 1649 die Parlamentarierfraktion siegreich hervorging, deren Anführer, Oliver Cromwell, sich zum Despoten aufschwang, König Charles I. für abgesetzt erklärte und ihm am Whitehall Gate in London den Kopf abschlagen ließ. Nach der Abdankung Cromwells 1659 kehrte Charles II., der Sohn des Geköpften, aus seinem holländischen Exil zurück und bestieg den britischen Thron, der Beginn des "Restoration Age".
Doch weitere Unbill sollte folgen: 1664 wurde England von der Pest heimgesucht und der große Brand von London 1666 legte 15000 Häuser in Schutt und Asche. Begierig nach Zerstreuung und kulturell ausgehungert durch das Tanz- und Theaterverbot von Cromwells Puritanern wandten sich die Überlebenden nach den nötigsten Wiederaufbaumaßnahmen bald der Musik, der Literatur und dem Theater zu, in dem nun zum ersten Mal in der Geschichte Englands auch Frauen den Schauspielerberuf ausüben durften. In diese Zeit fällt die fruchtbarste Schaffensperiode der ersten Frau der Neuzeit, die sich ihren Lebensunterhalt durch die Feder verdiente: Aphra Behn.
Wenig Gesichertes ist über ihre frühen Jahre bekannt; vermutlich wurde sie jedoch am 10. Juli 1640 als Tochter des Baders Bartholomew Johnson in Harbledown bei Canterbury geboren und am 14. Dezember dort getauft. Ihre Kindheit und Schulbildung liegt völlig im Dunklen, in Aufzeichnungen begegnet sie uns erst wieder als Dreiundzwanzigjährige, die einen Verwandten, der mittlerweile als Generalleutnant in Diensten der Regierung stand, bei seiner Versetzung in die damals britische Südamerikakolonie Surinam begleitete. Nach dem Tod dieses Verwandten 1664 kehrte sie nach London zurück und heiratete einen holländischen Kaufmann namens Behn, der jedoch bereits 1665 verstarb und sie ohne finanzielle Versorgung hinterließ.

Die Etikette der damaligen Zeit hätte nun eigentlich von ihr gefordert, wieder zu heiraten, alternativ ins Kloster zu gehen oder Kurtisane zu werden. Aphra, die offen die Ansicht vertrat, eine Ehe aus finanziellen Gründen sei "eine Form der Prostitution", wählte das Berufsleben und verdingte sich auf Anraten ihres Freundes, des Schriftstellers Thomas Killigrew, bei der englischen Krone als Geheimagentin unter den Codenamen "Astrea" und "Agent 160" und wurde nach Antwerpen entsandt. Mit der Zahlungsmoral für ihre Dienste jedoch hielt es der englische Staat nicht so genau, so dass sie bei ihrer Rückkehr 1668 wegen ihrer in Antwerpen angehäuften Schulden verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.

Nach ihrer Entlassung im selben Jahr nahm sie erneut zu einem alten Bekannten Kontakt auf, dem Schauspieler Thomas Betterton, der gerade ein Engagement am Lincoln's Inn Fields Theater absolvierte. Diese Begegnung sollte ihr Leben verändern. Betterton erkannte Aphras schriftstellerisches Talent und verschaffte ihr beim Theater einen Auftrag für ein Bühnenwerk. 1670 kam es zur Uraufführung, und The Forced Marriage war ein Überraschungserfolg. Von da an ging es bergauf. In den folgenden zehn Jahren schrieb sie eine stattliche Anzahl kommerziell höchst erfolgreicher Komödien, u.a. "The Rover" von 1677, sowie die Tragödie "Abdelazer" von 1676. Ihre wachsende Bekanntheit als Autorin - damals unerhört - rief sofort ihre Kritiker auf den Plan. So unterstellte ihr Alexander Radcliffe: "Die Stücke, die sie verkauft, hat sie nie geschrieben, sie läßt sie sich von einem Anwalt in Grey's Inn machen"
(1) - dass eine Frau Barockwerke schreibt mit all der Sprachdrastik, derben Komik und sexuellen Anspielungen, die dazugehören, war undenkbar. Aphra setzt diesen Vorwürfen entgegen: "Daß [das Stück] zotig ist, [wäre] der kleinste und entschuldbarste Fehler für einen männlichen Autor [...]: für eine Frau aber gilt es als widernatürlich"(2).

Privat war Aphra ebenso unkonventionell: statt wieder zu heiraten, lebte sie jahrelang mit Radcliffes "Grey's Inn Lawyer", einem gewissen John Hoyle zusammen, dessen sexuelle Vorliebe für das männliche Geschlecht nicht nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert wurde. Dieses Arrangement gab Aphra die Freiheit, ebenfalls Affären mit Liebhabern männlichen und weiblichen Geschlechts zu haben, was ihr den wenig schmeichelhaften Beinamen "punk and poetesse" eintrug ("punk" bedeutete im Englisch der Zeit "Hure").

In ihrem letzten Lebensjahrzehnt wandte sich Aphra neben dem Drama auch der Lyrik und Prosa zu. Vor allem in der Prosa waren ihre Leistungen bahnbrechend, wenngleich sie erst im 20. Jahrhundert Anerkennung dafür erfuhr; sie erschloss der englischen Sprache nicht weniger als drei literarische Gattungen: den Entwicklungs- und Briefroman sowie die Novelle und kam so dem Werk, das traditionell als erster englischer Roman angegeben wird, Daniel Defoes "Robinson Crusoe" von 1719, um rund ein Vierteljahrhundert zuvor. Indem sie den schwarzen Sklaven Oroonoko zum tragischen Helden ihrer gleichnamigen Novelle von 1688 machte, worin sie ihre Erfahrungen in Surinam aufarbeitete, schuf sie ein erstes, wenngleich in Teilen unentschlossenes und widersprüchliches literarisches Werk, das gegen Sklaverei und Kolonialismus in der Neuen Welt Stellung nahm und auf das sich die Abolitionisten in den USA des 19. Jahrhunderts häufig bezogen.

Ihr "männlicher Anteil"
(3), wie sie es nannte - heute würde man sagen, ihr lesbischer - kam in ihrer Lyrik am unverhülltesten zum Vorschein. In mehreren Gedichten "beschreibt sie offen weiblich-weibliche Lust"(4) und auch die Liebe zweier Männer (A Farewel to Celladon, On his Going into Ireland). Das Besondere daran ist jedoch nicht, daß sie das Thema der damals sogenannten "romantischen Freundschaften" aufgriff, die zu der Zeit sowohl zwischen Männern als auch zwischen Frauen weit weniger tabuisiert waren als im 19. und frühen 20. Jahrhundert(5), sondern dass sie es als Frau und in der ersten Person tat.

Aphra Behn verstarb gutsituiert am 16. April 1689 und wurde in der Westminster Abbey beigesetzt. Von den Literaturhistorikern der folgenden Jahrhunderte verteufelt und schließlich vergessen, wurden ihre Werke erst in den Zwanziger Jahren von Virginia Woolf und Vita Sackville-West ins Blickfeld nun feministischer Literaturgeschichte gerückt.
"Ich bin nicht damit zufrieden, nur für mein Angedenken an einem fernen Tag zu schreiben. Mir bedeutet Ruhm genausoviel wie einem geborenen Helden"
(6): diese nach dem Selbstbewusstsein der Frauenbewegung der Zwanziger und Dreißiger Jahre klingenden Worte schrieb Aphra Behn 1686.

Amelie Zapf
 
 

To the Fair Clarinda
Who made love to me, Imagin'd more than woma
n
Fair lovely maid, or if that title be
Too weak, too Feminine for nobler thee,
Permit a name that more approaches truth:
And let me call thee, lovely charming youth.
This last will justify my soft complaint,
While that may serve to lessen my constraint;
And without blushes I the youth pursue,
When so much beauteous Woman is in view.
Against thy charms we struggle but in vain
With thy deluding form thou giv'st us pain,
While the bright nymph betrays us to the swain.
In pity to our sex sure thou wer't sent,
That we might love, and yet be innocent:
For sure no crime with thee we can commit;
Or if we should - thy form excuses it.
For who, that gathers fairest flowers believes
A snake lies hid beneath the fragrant leaves.
Though beauteous wonder of a different kind,
Soft Cloris with the dear Alexis join'd;
When e'er the manly part of thee, would plead
Though tempts us with the image of the maid,
While we the noblest passions do extend
The love to Hermes, Aphrodite the friend.

 
  Lesetipps/Querverweise

ïBehn, Aphra:Oroonoko, The Rover, and Other Works, ed. Janet Todd, Penguin Classics, London 1993 (Abb.
1)
ïSackville-West, Vita:Aphra Behn: The Incomparable Astrea, Howe, London 1927, repr. Russell & Russell, New York 1970
ïTodd, Janet:The Secret Life Of Aphra Behn, Pandora Press, London 2000


1
Radcliffe, Alexander:The Ramble: An Anti-Heroick Poem, aus M.A. O'Donnel: Aphra Behn: An Annotated Bibiography of Primary and Secondary Sources, Garland, New York/London 1986
2
Behn, Aphra:Vorwort zu Sir Patient Fancy, aus M. Summers, ed.: The Works of Aphra Behn, Vol. IV, Phaeton, New York 1967.
3
Behn, Aphra:Vorwort zu The Lucky Chance; or, An Alderman's Bargain, aus M. Duffy, ed.: Five Plays, Methuen, London 1990
4
Whal, E.S.:Unvisible Relations: Representations of Female Intimacy in the Age of Enlightenment, Stanford University Press, Stanford 1999
5
vgl. Faderman, Lillian: Köstlicher als die Liebe der Männer, eco, Zürich 1990
6
Behn, Aphra:Vorwort zu The Lucky Chance; or, An Alderman's Bargain, aus M. Duffy, ed.: Five Plays, Methuen, London 1990
 
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