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Die meisten werden
sich noch an die Debatte um Judith Butlers Buch "Gender Trouble" und die
(De-) konstruktion von Geschlecht erinnern. Ihr Buch brachte den Begriff "gender"
von der Subkultur bis hinein ins schwullesbische Wohnzimmer. Als ich 1997 erste Versuche
unternahm, diese Thematik unter dem Namen "Gender Training" in die Erwachsenenbildung
zu transportieren, konnte ich mir allerdings nicht vorstellen, daß fünf
Jahre später "Gender" den "Mainstream" erreichen würde,
und ich Gender Trainings für Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, für
Bürgermeister und Kirchenleute leiten würde...
Dem politischen Konzept des Gender Mainstreaming ist in Szene-Kreisen bislang wenig
Aufmerksamkeit zuteil geworden. Allenfalls die frauenpolitische Szene gab und gibt
ihren Unmut über das als Konkurrenzprodukt zur Frauenförderung empfundene
Gender Mainstreaming kund. Was ist dran an den Befürchtungen einerseits und
den Versprechungen für eine wirkliche gesellschaftliche Veränderung im
Geschlechterverhältnis andererseits? Und wie ist diese Strategie für lesben-
und schwulenpolitische Anliegen zu nutzen?
Wie hat man sich die Umsetzung eines solch ambitionierten Reformprojekts vorzustellen?
Die europäische Staatengemeinschaft hat 1999 den verbindlichen Schritt getan:
Gender Mainstreaming ist (mit der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrags) verpflichtende
Politik für alle EU-Mitgliedsstaaten. Für Subventionsprogramme wird die
Einhaltung des GM-Prinzips zu einem Förderkriterium. Für ein Projekt, das
mit EU-Geldern gefördert wird, um Menschenrechtsarbeit in Rumänien zu betreiben,
bedeutet das z.B. daß es daraufhin geprüft wird, welche Wirkungen das
Projekt im Hinblick auf die Geschlechtergerechtigkeit beabsichtigt. Wirkt sich die
Arbeit auf Frauen und Männer unterschiedlich aus? Das ist die zentrale Frage,
die es fortan systematisch zu berücksichtigen gilt. Gender Mainstreaming greift
dann in der Förderpolitik lenkend ein, wenn eines der beiden Geschlechter benachteiligt
wird.
Die Ausrichtung an beiden Geschlechtern bedeutet dabei längst nicht, daß
die Frauen- und Mädchenpolitik überflüssig würde. Die EU macht
klare Angaben für ein Weiterführen der Frauenförderung neben dem Gender
Mainstreaming ñ Prinzip, welches selbst mehr Strategie denn konkrete Maßnahme
ist.
Gender Trainings
Ein Umsetzungsinstrument dieser Politik stellen die eingangs erwähnten Gender
Trainings dar. Hier wird neben Sensibilierung und Wissensvermittlung über Gender-Zusammenhänge
auch die Umsetzung in die eigene Facharbeit der Teilnehmenden geprobt. Sei dies die
Überprüfung eines Entwurfs zur Telearbeit im Innenministerium, oder wie
gender bei der Modernisierung landwirtschaftlicher Betriebe berücksichtigt wird.
In den Gender Trainings, die ich z.B. für die öffentliche Verwaltung durchführe
treffe ich auf sehr unterschiedliche Interessens- und Vorurteilslagen bezüglich
der Gender-Thematik. Somit spielt sich in den Trainings immer auch konkret ein Gender-Prozess
ab, der Einfluß auf die Teilnehmenden hat.
Bei einer Gruppengröße von meist 12-18 Teilnehmenden ist ein Durchschnitt
durch alle Hierarchiestufen, Alter und Geschlechter vertreten. Manche der TeilnehmerInnen
haben das Wort "gender" nie gehört, andere kennen es nur unter größtem
Vorbehalt, wieder andere betonen, daß sie sich offenen Herzens damit auseinandersetzen
wollen.
Positiv wirkt sich die GM-Strategie auf jeden Fall aus, indem das Thema einer breiten
Schicht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Führungskräften
nähergebracht wird. Diese Menschen wären sonst meiner Einschätzung
nach niemals von der Geschlechterproblematik in einer Fortbildung erreicht worden.
Für mich ist jeder - insbesondere
männliche - Teilnehmer eines Gender Trainings ein Multiplikator. Ich freue mich
besonders, wenn am Ende eines Trainings männliche Teilnehmer von der Notwendigkeit
der gender-spezifischen Bestandsaufnahme ihres Arbeitsbereichs überzeugt sind.
Positiv ist auch, daß Gender Mainstreaming Männer erstmals in größerer
Zahl in Seminare zur Chancengleichheit führt, in denen bis dato Vertreterinnen
aus der Frauenpolitik unter sich waren.
Tatsächlich hat sich das Thema auf EU-Ebene also etabliert, es wird wahrgenommen.
Es wird als Top-Down-Prinzip (also von der Führungsetage bis zur Mitarbeiterebene
herunter) nachdrücklich auf die Mitgliedsstaaten übertragen. Um politische
Kraft entwickeln zu können, muß es allerdings von Projektträgern
und auch den MitarbeiterInnen angefragt werden.
Bemerkenswert ist, daß viele am Umsetzungsprozess Beteiligte durchaus an neuen
Lösungen interessiert sind, statt sich in alten Grabenkämpfen zu verstricken.
Daß die gemeinsame Arbeit beider Geschlechter ñ unter gender-sensibler Leitung
- in Gender Trainings in manchen Fällen tatsächlich individuelle Lösungen
für ganz alte Probleme aufzeigt, spricht für diese Strategie der Einbeziehung
von Männern und der Ansiedlung als Organisationsprozess.
Dennoch, als lesbische Gendertrainerin greift mir die noch junge Praxis des Gender
Mainstreaming zu kurz. Offiziell werden in Dokumenten, Statistiken und Zielsetzungen
nur Maßnahmen erwähnt und verbreitet, die die Heteronormativität
voraussetzen, ja diese sogar stützen. So fallen z.B. homosexuelle Kleinfamilien
mit all ihren steuerlichen und rechtlichen Nachteilen nicht unter das Gender-Raster.
Der Platz für Minderheiten muß von ExpertInnen und AkteurInnen erst in
die Diskussion eingebracht werden.
Was kann Gender Mainstreaming der Gay Community bringen?
Den Bezug zwischen Gender Mainstreaming und Lesben/Schwulen herzustellen hieße
etwa, die Subkultur "Gay Community" unter die Gender-Lupe zu fassen. Hier
gälte es, mittels bewährter Gender-Instrumente wie der Gender-Analyse herauszuarbeiten,
ob und wie Schwule und Lesben unterschiedlichen Zugang zu relevanten Ressourcen haben
und wer beispielsweise an Entscheidungsprozessen teilhat. Diese Analyse gibt Aufschluß
über subgesellschaftliche Strukturen, und sensibilisiert für ungleiche
Verteilungsverfahren der bestehenden sozialen und kulturellen Ressourcen. Die Ergebnisse
könnten längst notwendige Impulse zur Umstrukturierung innerhalb der Vereine
und Verbände der Gay Community, aber auch des staatlichen Einsatzes von Fördermitteln
liefern. Wer verfügt über Ressourcen wie Räume, Zeitschriften, und
wer nutzt sie? In welchem Umfang werden Landesmittel auf schwule, lesbische oder
gemischten Projekte verteilt und inwieweit kommen sie einer lesbischen bzw. schwulen
Zielgruppe zugute? Projektverantwortliche sollten beispielsweise fragen: welche Auswirkungen
hat unser Projekt auf die in der Szene gegebenen Geschlechterverhältnisse?
Profitieren können von einer Ausrichtung auf Gender Mainstreaming alle soziale
Einrichtungen, politische und kulturelle Verbände und Vereine, Freizeiteinrichtungen
und Medien, genauso wie Einzelprojekte mit ihrer Projektplanung. Ob LSVD, KluST,
Queer oder SchuLZ, Homostudien oder SC Janus, schwullesbische Gewerkschaftsvertretungen
oder Parteiverbände, die Gender Mainstreaming ñ Strategie ist es wert, genauer
unter die Lupe genommen zu werden. Besonders relevant wird sie für Projekte,
die sich im Wettbewerb um staatliche Fördergelder befinden.
Nicht zuletzt eignet sich GM auch auf der individuellen Ebene: ein Team für
die Gender-Aspekte zu sensibilisieren trägt dabei einerseits zu mehr Qualität
in der Zielgruppenarbeit bei, egal ob im sozialen, politischen oder privatwirtschaftlichen
Bereich. Andererseits, würde hier im Vorfeld die Gender-Thematik effektiv genutzt,
um gemeinsame Ziele zu erreichen, so gäbe es zukünftig in der Gay Community
einen stärkeren inneren Konsens und Zusammenhalt, der auch bei kontroversen
Themen wie der Homo-Ehe oder der CSD-Politik positiv zu Buche schlagen würde.
Daß hier beispielsweise die Interessen und Bedürfnisse von Lesben oftmals
noch zu wenig Einfluß haben, ist ein Resultat aus ungleicher Teilhabe an der
"Verbandsressource" und dem "Zugang zu informellen Informationen".
Es geht bei der Analyse dabei nicht darum, die Verantwortung für diese Strukturen
zuzuschreiben, sondern um die Wahrnehmung des Status Quo. Das heißt, erst wenn
klar geworden ist, was einschränkt, können Maßnahmen gefunden werden,
um diese Strukturen für alle gewinnbringend zu verändern.
Ob schwullesbisch oder "Normalbürger": Der Ansatz und seine Instrumente
sind nützlich. Allerdings wird er sich von alleine nicht entfalten können.
Erst mit breiter Motivation und entsprechendem Optimismus kann Gender Mainstreaming
eine echte Chance sein, verkrustete Geschlechter-Strukturen zu verändern. Gerade
jetzt, wo die Umsetzung noch in den Kinderschuhen steckt, wäre es daher wünschenswert,
wenn mitgestaltet wird, solange es noch zu gestalten gibt.
Zur Autorin:
Saskia Morell, Gendertrainerin, Jahrgang 1969, Studium der Kulturwissenschaften und
Kommunikationspsychologie. Freiberuflich tätig als Trainerin und Beraterin für
Nonprofit- Organisationen und öffentliche Verwaltungen |
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