Gendermainstreaming, Teil 2  
  Was ist "gender"? englischer Begriff für das von der Gesellschaft geprägte Geschlecht / die Geschlechtsidentität, auch die Geschlechtsrolle. Gegenstück dazu ist "sex", englischer Begriff für das biologische Geschlecht / den Geschlechtskörper. Beide Kategorien sind in Diskussionen um die Veränderung des hierarchischen Geschlechterverhältnisses relevant. "Gender" ist in jedem Fall veränderbar; in welchem Maße "sex" ebenso veränderbar ñ weil auch sozial konstruiert - ist, wird derzeit noch diskutiert.
Was ist "Gender Mainstreaming" (GM)? "Mainstreaming" beschreibt die politische Strategie, diese Kategorie als selbstverständlichen Blickwinkel in alle gesellschaftlichen Bereiche einzubringen. GM ist damit v.a. ein Organisationsentwicklungsprozess, der darauf zielt, Strukturen zu verändern, die das Geschlechterverhältnis als ungleich zementiert haben. Die Entwicklung von GM beruht auf Erfahrungen und Konzepten der Frauenbewegung und greift über konkrete Frauenpolitik hinaus, indem Frauen und Männer in den Fokus kommen und beide Geschlechter systematisch an der Umsetzung beteiligt sind.
 
  Die meisten werden sich noch an die Debatte um Judith Butlers Buch "Gender Trouble" und die (De-) konstruktion von Geschlecht erinnern. Ihr Buch brachte den Begriff "gender" von der Subkultur bis hinein ins schwullesbische Wohnzimmer. Als ich 1997 erste Versuche unternahm, diese Thematik unter dem Namen "Gender Training" in die Erwachsenenbildung zu transportieren, konnte ich mir allerdings nicht vorstellen, daß fünf Jahre später "Gender" den "Mainstream" erreichen würde, und ich Gender Trainings für Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, für Bürgermeister und Kirchenleute leiten würde...

Dem politischen Konzept des Gender Mainstreaming ist in Szene-Kreisen bislang wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden. Allenfalls die frauenpolitische Szene gab und gibt ihren Unmut über das als Konkurrenzprodukt zur Frauenförderung empfundene Gender Mainstreaming kund. Was ist dran an den Befürchtungen einerseits und den Versprechungen für eine wirkliche gesellschaftliche Veränderung im Geschlechterverhältnis andererseits? Und wie ist diese Strategie für lesben- und schwulenpolitische Anliegen zu nutzen?

Wie hat man sich die Umsetzung eines solch ambitionierten Reformprojekts vorzustellen
?
Die europäische Staatengemeinschaft hat 1999 den verbindlichen Schritt getan: Gender Mainstreaming ist (mit der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrags) verpflichtende Politik für alle EU-Mitgliedsstaaten. Für Subventionsprogramme wird die Einhaltung des GM-Prinzips zu einem Förderkriterium. Für ein Projekt, das mit EU-Geldern gefördert wird, um Menschenrechtsarbeit in Rumänien zu betreiben, bedeutet das z.B. daß es daraufhin geprüft wird, welche Wirkungen das Projekt im Hinblick auf die Geschlechtergerechtigkeit beabsichtigt. Wirkt sich die Arbeit auf Frauen und Männer unterschiedlich aus? Das ist die zentrale Frage, die es fortan systematisch zu berücksichtigen gilt. Gender Mainstreaming greift dann in der Förderpolitik lenkend ein, wenn eines der beiden Geschlechter benachteiligt wird.
Die Ausrichtung an beiden Geschlechtern bedeutet dabei längst nicht, daß die Frauen- und Mädchenpolitik überflüssig würde. Die EU macht klare Angaben für ein Weiterführen der Frauenförderung neben dem Gender Mainstreaming ñ Prinzip, welches selbst mehr Strategie denn konkrete Maßnahme ist.

Gender Trainings

Ein Umsetzungsinstrument dieser Politik stellen die eingangs erwähnten Gender Trainings dar. Hier wird neben Sensibilierung und Wissensvermittlung über Gender-Zusammenhänge auch die Umsetzung in die eigene Facharbeit der Teilnehmenden geprobt. Sei dies die Überprüfung eines Entwurfs zur Telearbeit im Innenministerium, oder wie gender bei der Modernisierung landwirtschaftlicher Betriebe berücksichtigt wird.
In den Gender Trainings, die ich z.B. für die öffentliche Verwaltung durchführe treffe ich auf sehr unterschiedliche Interessens- und Vorurteilslagen bezüglich der Gender-Thematik. Somit spielt sich in den Trainings immer auch konkret ein Gender-Prozess ab, der Einfluß auf die Teilnehmenden hat.
Bei einer Gruppengröße von meist 12-18 Teilnehmenden ist ein Durchschnitt durch alle Hierarchiestufen, Alter und Geschlechter vertreten. Manche der TeilnehmerInnen haben das Wort "gender" nie gehört, andere kennen es nur unter größtem Vorbehalt, wieder andere betonen, daß sie sich offenen Herzens damit auseinandersetzen wollen.
Positiv wirkt sich die GM-Strategie auf jeden Fall aus, indem das Thema einer breiten Schicht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Führungskräften nähergebracht wird. Diese Menschen wären sonst meiner Einschätzung nach niemals von der Geschlechterproblematik in einer Fortbildung erreicht worden. Für mich ist jeder - insbesondere
männliche - Teilnehmer eines Gender Trainings ein Multiplikator. Ich freue mich besonders, wenn am Ende eines Trainings männliche Teilnehmer von der Notwendigkeit der gender-spezifischen Bestandsaufnahme ihres Arbeitsbereichs überzeugt sind. Positiv ist auch, daß Gender Mainstreaming Männer erstmals in größerer Zahl in Seminare zur Chancengleichheit führt, in denen bis dato Vertreterinnen aus der Frauenpolitik unter sich waren.

Tatsächlich hat sich das Thema auf EU-Ebene also etabliert, es wird wahrgenommen. Es wird als Top-Down-Prinzip (also von der Führungsetage bis zur Mitarbeiterebene herunter) nachdrücklich auf die Mitgliedsstaaten übertragen. Um politische Kraft entwickeln zu können, muß es allerdings von Projektträgern und auch den MitarbeiterInnen angefragt werden.
Bemerkenswert ist, daß viele am Umsetzungsprozess Beteiligte durchaus an neuen Lösungen interessiert sind, statt sich in alten Grabenkämpfen zu verstricken. Daß die gemeinsame Arbeit beider Geschlechter ñ unter gender-sensibler Leitung - in Gender Trainings in manchen Fällen tatsächlich individuelle Lösungen für ganz alte Probleme aufzeigt, spricht für diese Strategie der Einbeziehung von Männern und der Ansiedlung als Organisationsprozess.

Dennoch, als lesbische Gendertrainerin greift mir die noch junge Praxis des Gender Mainstreaming zu kurz. Offiziell werden in Dokumenten, Statistiken und Zielsetzungen nur Maßnahmen erwähnt und verbreitet, die die Heteronormativität voraussetzen, ja diese sogar stützen. So fallen z.B. homosexuelle Kleinfamilien mit all ihren steuerlichen und rechtlichen Nachteilen nicht unter das Gender-Raster. Der Platz für Minderheiten muß von ExpertInnen und AkteurInnen erst in die Diskussion eingebracht werden.

Was kann Gender Mainstreaming der Gay Community bringen?

Den Bezug zwischen Gender Mainstreaming und Lesben/Schwulen herzustellen hieße etwa, die Subkultur "Gay Community" unter die Gender-Lupe zu fassen. Hier gälte es, mittels bewährter Gender-Instrumente wie der Gender-Analyse herauszuarbeiten, ob und wie Schwule und Lesben unterschiedlichen Zugang zu relevanten Ressourcen haben und wer beispielsweise an Entscheidungsprozessen teilhat. Diese Analyse gibt Aufschluß über subgesellschaftliche Strukturen, und sensibilisiert für ungleiche Verteilungsverfahren der bestehenden sozialen und kulturellen Ressourcen. Die Ergebnisse könnten längst notwendige Impulse zur Umstrukturierung innerhalb der Vereine und Verbände der Gay Community, aber auch des staatlichen Einsatzes von Fördermitteln liefern. Wer verfügt über Ressourcen wie Räume, Zeitschriften, und wer nutzt sie? In welchem Umfang werden Landesmittel auf schwule, lesbische oder gemischten Projekte verteilt und inwieweit kommen sie einer lesbischen bzw. schwulen Zielgruppe zugute? Projektverantwortliche sollten beispielsweise fragen: welche Auswirkungen hat unser Projekt auf die in der Szene gegebenen Geschlechterverhältnisse?

Profitieren können von einer Ausrichtung auf Gender Mainstreaming alle soziale Einrichtungen, politische und kulturelle Verbände und Vereine, Freizeiteinrichtungen und Medien, genauso wie Einzelprojekte mit ihrer Projektplanung. Ob LSVD, KluST, Queer oder SchuLZ, Homostudien oder SC Janus, schwullesbische Gewerkschaftsvertretungen oder Parteiverbände, die Gender Mainstreaming ñ Strategie ist es wert, genauer unter die Lupe genommen zu werden. Besonders relevant wird sie für Projekte, die sich im Wettbewerb um staatliche Fördergelder befinden.

Nicht zuletzt eignet sich GM auch auf der individuellen Ebene: ein Team für die Gender-Aspekte zu sensibilisieren trägt dabei einerseits zu mehr Qualität in der Zielgruppenarbeit bei, egal ob im sozialen, politischen oder privatwirtschaftlichen Bereich. Andererseits, würde hier im Vorfeld die Gender-Thematik effektiv genutzt, um gemeinsame Ziele zu erreichen, so gäbe es zukünftig in der Gay Community einen stärkeren inneren Konsens und Zusammenhalt, der auch bei kontroversen Themen wie der Homo-Ehe oder der CSD-Politik positiv zu Buche schlagen würde. Daß hier beispielsweise die Interessen und Bedürfnisse von Lesben oftmals noch zu wenig Einfluß haben, ist ein Resultat aus ungleicher Teilhabe an der "Verbandsressource" und dem "Zugang zu informellen Informationen". Es geht bei der Analyse dabei nicht darum, die Verantwortung für diese Strukturen zuzuschreiben, sondern um die Wahrnehmung des Status Quo. Das heißt, erst wenn klar geworden ist, was einschränkt, können Maßnahmen gefunden werden, um diese Strukturen für alle gewinnbringend zu verändern.

Ob schwullesbisch oder "Normalbürger": Der Ansatz und seine Instrumente sind nützlich. Allerdings wird er sich von alleine nicht entfalten können. Erst mit breiter Motivation und entsprechendem Optimismus kann Gender Mainstreaming eine echte Chance sein, verkrustete Geschlechter-Strukturen zu verändern. Gerade jetzt, wo die Umsetzung noch in den Kinderschuhen steckt, wäre es daher wünschenswert, wenn mitgestaltet wird, solange es noch zu gestalten gibt.


Zur Autorin:
Saskia Morell, Gendertrainerin, Jahrgang 1969, Studium der Kulturwissenschaften und Kommunikationspsychologie. Freiberuflich tätig als Trainerin und Beraterin für Nonprofit- Organisationen und öffentliche Verwaltungen
 
  zurueck zum Inhalt  

www.lespress.de
© 2003: lespress-Verlag, Dyroffstr. 12, 53113 Bonn