community

 

Der Beginenhof in Bremen

 
   
 

Wenn Ulla sich eine Pizza bestellt und ihre Adresse angibt, wird die Pizza kalt, bevor sie ankommt. Ulla muss vorsichtshalber zu ihrer Bestellung noch ein paar Erklärungen abgeben. Denn Ullas Adresse lautet "Beginenhof", und die Adresse ist neu. Sie steht noch nicht in den Bremer Stadtplänen.

Beginenhof, Photo: Gudrun FischerUlla ist auf dem Beginenhof glücklich. Sie möchte gar nicht mehr woanders wohnen. "Ich hatte schon fünf Jahre in einer Gruppe im Wendland an einem Kommuneprojekt gearbeitet. Wir haben kein Haus gefunden und nun bin ich als einzige aus der Gruppe in einem anderen Frauen- und Lesbenprojekt gelandet." In Windeseile waren die drei Blocks, die um einen länglichen Hof angeordnet sind, nach der Fertigstellung im Mai 2001 von insgesamt 70 Mieterinnen/Eigentümerinnen bezogen (es gibt 85 Wohneinheiten und über 20 Gewerbeeinheiten). Etwa 10 Lesben leben im Beginenhof. Männer dürfen keine Wohnungen kaufen und nicht einziehen. Aber sie dürfen über Nacht bleiben. Und die Söhne durften selbstverständlich einziehen.
Unter den Frauen sind Bande entstanden. "Wir machen viel gemeinsam, von Kochen, Nähen bis zu Spieleabenden. Ich könnte mir keine andere Wohnform mehr vorstellen." Ulla genießt es, eine eigene Wohnung zu haben und wenn sie will in die Gemeinschaftswohnung gehen zu können, um mit anderen Frauen etwas zu unternehmen. Alles wäre wunderbar, wenn da nicht der Beginenhof in Bremen pleite gegangen wäre. Es strengt Ulla schon sehr an, das Insolvenzverfahren zu verfolgen. "Geldgeschichten" nennt Ulla das Thema. Seit ihrem Einzug im August 2001 besucht sie pro Monat drei Versammlungen. "Aber unter den Frauen ist gute Solidarität, da schöpfe ich viel Kraft." Zu den finanziellen Schwierigkeiten weiter unten mehr.

Dore (45 Jahre), Helga (59 Jahre) und Ulla (43 Jahre) sitzen an einem Kaffeetisch und erklären, was sie zu den Beginen gezogen hat. Helgas Tochter aus Berlin hatte von dem Projekt gehört und war von der Idee eines Frauenwohnprojekts begeistert. Sie kaufte eine Wohnung im Beginenhof und ließ ihre Mutter in die Wohnung einziehen. Dore hatte zunächst Vorbehalte, weil sie befürchtete, dass es mit dem politischen Konsens nicht stimmen könnte und fand schwierig, dass der Beginenhof kein reines Lesbenprojekt ist. Sie entschied erst sehr spät, sich für eine Wohnung zu bewerben. Es klappte, weil eine andere wegen der finanziellen Misere, die sich im Mai 2001 abzeichnete, absprang. Dore ist froh, dass sie sich dafür entschieden hat, denn sie findet die Wohnform Hausgemeinschaft für sich ideal. "Es ist für mich doch besser als WG.", merkt sie an. Helga fühlt sich wohl und bereut nicht, von Berlin nach Bremen gezogen zu sein. Sie hat auch das Glück, dass ihre Tochter die Eigentümerin ihrer Wohnung ist, daher belastet sie die unsichere Situation nicht so sehr. Ulla hat noch eine andere Sorge: "Ich klage gerade gegen das Sozialamt Bremen", erzählt sie, "denn die meinen, die Wohnung sei zu teuer. Es gibt aber in Bremen keine anderen freien Behindertenwohnungen. Daher hoffe ich, dass ich das durchkriege." Ulla kommt in ihrer neuen Wohnung mit ihrem E-Rollstuhl gut zurecht und kann selbständig leben. Der Pflegeaufwand ist dadurch geringer. Sogar ihr Balkon ist so gut geschnitten, dass sie wunderbar darauf herumrollen und drehen kann.

Helga erklärt die Sache mit der Gemeinschaftswohnung. "Wir Bewohnerinnen haben eine der Wohnungen einfach für uns gemeinsam gemietet." Da sei ein großes schönes Zimmer, in das eine Mieterin als Spende einen Kamin einbauen ließ. "Dann haben wir eine große Terrasse und einen Raum der Stille, den wir jetzt auf Wunsch einiger Damen zu einem Wohnzimmer machen. Dort werden Atemübungen abgehalten oder es wird getrommelt." In das Regal im großen Raum können Frauen Bücher, Kassetten, CDs hineinstellen, die alle nutzen dürfen. Nach Besichtigung der Wohnung wird klar, wovon die Bewohnerinnen sprechen, wenn sie hoffen, die Gemeinschaftswohnung weiter finanzieren zu können: Sie ist wunderschön, modern und funktional. Auf allen Seiten Fenster mit Blick auf die Dächer Bremens. Modern, hell und funktional sind alle Gebäude des Beginenhofs. Es gibt keine muffigen Treppenhäuser, denn die Treppen und Gänge führen außen an der Fassade entlang.

Dore erzählt von den Aufgaben des Beginenhofvereins, der hauptsächlich in der Öffentlichkeit wirkt. Vier ABM-Frauen arbeiten für den Verein, und Dore findet, auch wenn sich der Beginenhof in dieser prekären Situation befindet, sollten doch keine von den Bewohnerinnen aus dem Verein austreten. "Der Beginenhof hat im "Weser Kurier" sehr schlechte Presse bekommen." Weder die Finanzfrauen noch die Bewohnerinnen werden verschont. Tenor der hämischen Berichterstattung ist, dass Frauen so ein 40 Millionenprojekt eben nicht auf die Beine stellen können. Daher haben die Frauen parallel zum Beginenhof Verein den "Beginenhofrat" gewählt, der speziell ihre Interessen vertreten soll. Denn von den 70 Bewohnerinnen sind etwa 20 Kinder, und die haben gerade die Sorge, dass ihr Spielplatz an den Kindergarten, der auf dem Beginenhof eingerichtet wird, gehen soll, und sie dann keinen Ort mehr zum spielen haben. Diese architektonische Fehlplanung ist nur einer der Punkte, die im neuen Lebensalltag der Beginen Probleme machen.

Beginenhof, Photo: Gudrun FischerDas Hauptproblem ist und bleibt aber das Insolvenzverfahren. Die Pleite des Beginenhofs, der als Genossenschaft gestartet hatte, hat die Genossinnen ihre Einlagen zwischen 1.250 und 40.000 DM gekostet. Damit hatten sie ursprünglich lebenslanges Wohnrecht und hätten ihr Geld bei Austritt und wenn sie eine Nachmieterin stellen können, wieder bekommen, neben der Möglichkeit irgendwann als Genossenschafterin an den Gewinnen beteiligt zu werden. Seit Oktober 2001 ist die Genossenschaft aufgelöst und das Projekt Beginenhof wird von einem Insolvenzverwalter abgewickelt. Die Frauen können weiterhin wohnen bleiben und zunächst werden sich die Mieten nicht erhöhen. Eine Bremer Wohnungsbaugesellschaft hat die Verwaltung übernommen. Und vorerst werden auch keine Männer einziehen. Für die Abwicklung der Insolvenz hatte die Sparkasse 3 Millionen DM Kredit zur Verfügung gestellt. Die Sparkasse war es aber, die im Mai die Beginen zu Fall brachten, als sie die Kredite sperrten. Grund war, dass die zugesagten Gelder, die über eine EU Förderung und über den Bremer Senat kommen sollten, nicht überwiesen wurden. Vieles ist da schief gelaufen, was seitdem mehr und mehr ans Licht kommt. Erstens hätte der Bremer Senat viele Monate vorher wissen können, dass die EU-Förderung nicht so hoch ausfallen würde, wie ursprünglich eingeplant und auch vom Bremer Senat mit abgesegnet worden war. Wenn der Senat den Beginen rechtzeitig Bescheid gesagt hätte, wäre ein Baustopp für einen Teil der Anlage erfolgt, und zwar für den gewerblichen Teil. Dieser gewerblich Teil war geplant, weil das Beginenhofmodell Arbeit und Leben wie bei den Beginne im Mittelalter unter einem Dach vereinen wollte. Aber auch als klar war, dass statt 7,5 Mio DM nur 4 Mio für den Bau der Geschäftszeile und eines Dienstleistungsturms fließen, kam das Geld nicht. Bis heute nicht. Nachdem sich der Senat geweigert hatte, eine Bürgschaft für das Geld, das bis heute noch nicht von der EU gekommen ist, zu übernehmen, so dass Auszahlungen an die Baufirma erfolgen hätten können, musste der Vorstand des Vereins Bremer Beginenhofmodell e.V. im Oktober die Insolvenz beantragen, die immerhin nicht mangels Masse abgelehnt wurde. Das hätte nämlich dann eine Zwangsversteigerung bedeutet. Trotzdem sind die Vorstandsfrau Erika Riemer-Noltenius, deren Idee der Beginenhof war, und die Geschäftsführerin Elke Schmidt-Prestin der Meinung, dass es richtig war, den Bau zuende zu bringen und nicht eine Bauruine zu hinterlassen. Als im letzten Jahr im März das Thema Baustopp auf den Tisch kam, haben Sparkasse und Senat die Beginen gebeten, weiter zu bauen. Sie würden die Unterstützung bekommen, die Gelder würden fließen. Das ist dann aber nicht geschehen, selbst mit dem zugesagten Posten von 1,7 Millionen DM für den Kindergarten, der von der Stadt gekauft werden sollte. Denn als es um die Auszahlung ging, überlegte sich die Stadt, ob sie den Kindergarten nicht doch lieber mieten sollte. Nun wird er doch gekauft, mit einem Jahr Verspätung. Die Kommentar Etika Riemer-Noltenius dazu: "Die Mühlen der Bürokratie mahlen wahnsinnig langsam. Wir waren einfach zu schnell. Was sich die Vorstandsfrauen noch vorwerfen ist., nicht mehr Lobbying gemacht zu haben. Denn auch wenn sie dachten, der Beginenhof müsste durch die Anerkennung als Expo-Projekt 2000, die der Stadt einige Lorbeeren verschaffte, bekannt sein, hätten sie vor den jeweiligen Sitzungen die Abgeordneten und Ausschussmitglieder vorbereiten müssen, damit sie die Fördergelder abstimmten. "Außerdem würde ich heute einen größeren Apparat haben wollen, die Genossenschaft strenger von dem Verein trennen und schauen, dass die Eigenkapitaldecke dicker ist." Zu den Vorwürfen vieler Frauen, es hätte im Verein Hierarchien gegeben und die verantwortlichen Frauen hätten nicht mehr Platz für andere gemacht, sagt sie, sie seien so belastet gewesen und hätten wenig Zeit für Diskussionen gehabt. Sie würde auch heute keine Genossenschaft mehr befürworten, denn Sitzungen mit bis zu 150 Frauen über die Frage der Kacheln fände sie zu anstrengend.

Ohne das finanzielle Debakel wäre das Gemeinschaftsgefühl bestimmet besser, sagen Ulla, Dore und Helga. Einige AGs, die es am Anfang gab, sind durch dies Abwarten und die Ängste vor Mieterhöhungen den Bach runter gegangen. Wenn Erika Riemer-Noltenius, die einen weiteren Beginenhof in Bremen plant, im März einzieht, wird es eventuell Konflikte unter den Bewohnerinnen geben. Elke Schmidt-Prestin lebt schon seit Fertigstellung der Gebäude mit ihren zwei Kindern im Beginenhof, ist aber nicht so sehr Ziel der Wut und Frustration der Bewohnerinnen, da die akute Lage sie auch sehr zu belasten scheint. Diese Finanzkatastrophe hat sie als Finanzfachfrau in eine berufliche und finanzielle Krise stürzt, denn sie und die Erika Riemer-Noltenius stehen nun mit 200.000 DM in der Kreide. Riemer-Noltenius muss dafür ihr Elternhaus verkaufen.

Beginenhof, Photo: Gudrun Fischer

Ist es nun gut, dass der Beginenhof in Bremen steht? Für Außenstehende, die die finanzielle Misere nicht hautnah mitbekommen haben, sieht es gut aus. Denn der erste Beginenhof der Bundesrepublik ist ein architektonisches, städtebauliches und soziales Experiment. Es wird andere nach sich ziehen. Die Frauen, die seit fast einem Jahr in den neuen Gemäuern wohnen, testen das "andere" gemeinschaftliche Wohnen "alleinstehender Frauen" aus. Und immerhin stehen die ehemaligen Genossinnen auf der Gläubigerliste des Beginenhofs. Aber es sieht nicht so aus als würden die, die 40.000 DM Genossinnenschaftsbeiträge eingezahlt haben, in den nächsten dreißig Jahren ihr Geld wiedersehen. Vielleicht behalten sie ihr lebenslanges Wohnrecht.

Gudrun Fischer
(Text + Photos)

 
   
   
  zurueck zum Inhalt  

www.lespress.de
© 2002: lespress-Verlag, Dyroffstr. 12, 53113 Bonn