Totschlagargumente aus der Heteropresse
Erpicht auf Unabhängigkeit und Überblick: Lesbisch-Schwules Pressearchiv

 
     
  "Deutschlands grausamstes Bett. Es gehörte Maria. Sie verführte darin 2 Frauen. Eine hat sie totgefoltert." Journalistische Brillanten wie jene Titelstory aus der Bild erhält das Lesbisch-Schwule Pressearchiv seit neunzehn Jahren für die Nachwelt. Hunderte relevante Artikel landen Monat für Monat auf den Schreibtischen des 8-köpfigen Teams, das im Keller eines Berliner schwulen Kulturzentrums arbeitet. Welche als am Wichtigsten erachtet werden, kommen in der monatlichen "Lesbisch-Schwulen Presseschau" zur Veröffenlichung.

Kein staubiges, mit Aktenordnern und Zeitungsbergen vollgestopftes Stübchen erwartet die Besucherin des Archivs. Auch waten keine tageslichtentwöhnten, bebrillten WissenschaftlerInnen mit Lupe und abgegriffener Schere leise murmelnd durch Papier, ehe sie triumphierend Schnipsel schwenken und "Ich habí was gefunden" krähen. Nicht mal für die Gründungszeit zu Anfang der siebziger Jahre trifft dieses Szenario den Kern der Institution. Ein bezahlter Ausschnittdienst versorgt von jeher mit Artikeln. Aus der linken "Homosexuellen Aktion Westberlin" 1972 entstanden, mischte später auch die "bürgerliche Konkurrenz", die "allgemeine homosexuelle aktion" (a-ha) im Archiv mit. Auch Rosa Winkel-Verleger Egmont Fassbinder war mit von der Partie. Mitte der siebziger Jahre begann die Sammlung der Artikel, die vorerst im Wäschekorb oder am Schwarzen Brett landeten, und ausgiebig diskutiert wurden. Die erste "Schwule Presseschau" erschien schließlich 1982, und liest sich heute vor allem für jüngere Jahrgänge wie ein vergilbtes Märchenbuch, an manchen Stellen jedoch von erstaunlicher Aktualität, wenn es um Razzien in einer schwulen Sauna oder den Mord eines schwulen "Kameraden" durch fünf Rechtsextremisten in Hamburg geht.
Sammelten die Gründerväter Material aus der gesamten deutschsprachigen Presse inklusiv Österreich und der Schweiz, und überdies wissenschaftliche Arbeiten, beschränkt sich das heutige Archiv auf die bundesdeutsche Heteropresse, verzichtet auch auf Agenturmeldungen. Auch so fallen jährlich fünf- bis siebenhundert Artikel an, die in Ressorts von "Politik" bis "Ausland" aufgeteilt werden. Das Ressort "Aids" besteht nicht mehr, seit die journalistische Aufbereitung der Immunschwächekrankheit nachließ. Dabei sorgte ihr Aufkommen für eine "regelrechte Explosion der Berichterstattung", erinnert sich Harald Rimmele, der seit 1987 im Archiv mitwirkt.
Über fünfundsechzig Prozent der Artikel stammen aus regionalen Tageszeitungen, zumeist Berliner und Stuttgarter Zeitung und der Tagesspiegel (Berlin). Zu den überregionalen Spitzenreitern zählen Bild, taz und Frankfurter Rundschau. (Fach-) Zeitschriften und Stadtmagazine komplettieren das Material.
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Über die Archivierung hinaus besteht Bedarf an Recherchen: Vereinzelt gehen Anfragen von Studierenden, WissenschaftlerInnen, Medienschaffenden oder etwa die des Hauses der Geschichte Baden-Württembergs ein, das ein Homo-Paar aus der Region suchte. Die akribische Arbeit wurde im letzten Jahr mit dem mit 2000 Mark dotierten Medienpreis des Bundes lesbischer und schwuler JournalistInnen (BLSJ) belohnt.
Zwar präsentiert die Presseschau heute noch regelmäßig die "Dummheit des Monats", die häufig die "Deutsche Tagespost" abstaubt, doch sinkt beständig der Stoff für diese Rubrik - ganz anders als vor Jahren, als die Wahl unter mehreren Artikeln noch schwer fiel. Überhaupt nehme diskriminierende Berichterstattung beständig ab, eher überwiegen "Toleranz und Verständnis" - oder was die entsprechenden AutorInnen eben darunter verstehen. Monika Huesmann, die 1995 als erste von heute drei Frauen zum Team stieß, schwant Diskriminierung vielmehr durch Auslassen homosexueller Themen - die jedoch kann nicht belegt werden.
Zusehends gemäßigt werden auch die Artikel, die dem Thema "Justiz" zugeordnet sind. Haarsträubende Thesen aus der Wissenschaft wie "homotypische" Fingerlängen oder -abdrücke finden sich jedoch auch in den neunziger Jahren - und finden ihre spöttische Kommentierung im Editorial. Einer Meinung sei das Team keineswegs, was die Bewertung von Berichten angeht. Konsensfindung gehört nicht zu den Essentials, der Verzicht erspart Endlosdebatten, wie sie in den Anfangstagen geführt wurden. Nur in puncto Homo-Ehe herrscht ein einvernehmliches "Nein" - was Harald darauf spekulieren lässt, der LSVD würde die Belegschaft komplett austauschen, hätte er das Sagen: "Wir sind kein Nachplapperorgan."
Auch Klaudia Brunst, ehemalige Chefredakteurin der taz und beim Pressearchiv zuständig für das Ressort "Kultur / Medien", kriegt ihr Fett weg, wenn einer ihrer Artikel es verdient hat - Mitarbeit hin oder her. Erinnert sei die Stern-Reportage "Wie Lesben wirklich leben" aus dem vergangenen Herbst, gespickt mit Zitaten, die es als "running gags" ins rituelle Scherzprogramm diverser Berliner Parties schafften: "Und was hast Du heutí so gemacht?"- "Ich habí meine Weiblichkeit stolz verhüllt." Doch auch an Lob wird bei ihr nicht gespart. An Abhängigkeiten zahlt das Team keine überflüssigen Tribute. Artikel über die Geldgeber aus dem Schwulenreferat des AStAs der Freien Universität Berlin werden genauso dokumentiert wie das SchwuZ, das dem Pressearchiv die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt - in der Garderobe über der Bühne.
Von den Schwierigkeiten, lesbische Frauen Mitte der neunziger Jahre zu integrieren, berichtet Harald. Kontakte zu lesbischen Medien seien oft schon an der Bezeichnung "Schwules Pressearchiv" gescheitert. Das Anliegen, es um lesbische Themen und Mitarbeiterinnen zu erweitern, ging unter eifrigem Diskriminierungsvorwurf oft ungesehen unter. Und welche Tendenzen über Lesben in der Presse zeigt die Ausweitung? Nach sechs Jahren lesbischer Beteiligung macht Monika Huesmann "Mord, Sexualität und Lesbenbewegung" als Schwerpunktthemen aus. Nicht immer frei von Komik: "So grausam kann kein Mann sein", lautete eine Schlagzeile. "Die Betonung des Entmenschten von Lesben" käme nicht selten bei erzkonservativen Medien zum Tragen, weiß Huesmann. Auch die Blitz-Illu überrascht regelmäßig mit sexuellen Fantasien zur Anregung der heterosexuellen Leser, mit immergleichem Schema: eine lesbische Verführerin motiviert die "heiße Bi-Maus" zum später bitter bereuten Ausrutscher, oft unter gönnerhaften XY-Blicken. Deutlich überwiegt die Berichterstattung über schwule Männer.
Dummheit des Monats
Können die mit den Jahren gewieft gewordenen BeobachterInnen von journalistischen Ergüssen noch überrascht werden? Zumindest nicht mehr von der Überfülle, die manchen Themen wie dem Mord an Gianni Versace 1997 entgegengebracht wird. Derzeitig unbestrittenes Highlight der Berichterstattung: die Homo-Ehe. Anstatt solche Booms zu bestaunen, herrscht eher Verwunderung, wie wenig über andere Themen berichtet wird. Das Bleiberecht für schwule und lesbische MigrantInnen, über das sich selten nur eine kurze Notiz findet, fällt Ebneth und Rimmele mit selben Atemzug ein.
Sie kennen ihre "Pappenheimer" in den Redaktionen. Spannend für Marcus Ebneth, der seit 1986 mitarbeitet, ist die Verfolgung journalistischer Werdegänge. Die Immergleichen, die Stimmung gegen jedwede schwul-lesbischen Belange machen, wie die Psychologin Christa Meves, die seit 1982 regelmäßig dokumentiert wird, versus die "eifrig-fleißigen Hängengebliebenen", wie Ebneth sie nennt, die seit Jahren Themen aus der Community aufgreifen. Aus dieser Gruppe schwuler und lesbischer JournalistInnen stammt der Großteil der mehreren hundert AbonnentInnen. Auch Gruppen beziehen die Presseschau, eben die "Multiplikatoren", andere Redaktionen halten sich eher zurück. Über die genauen Abozahlen schweigen sich Huesmann, Ebneth und Rimmele aus.
Und die Menschen hinter den Schnipseln? Die Arbeit kostet Zeit, das Durchsehen der Artikel, die Einschätzung ihrer Relevanz, zeitliche und inhaltliche Verbindungen ziehen, Diskussion in den monatlichen Redaktionssitzungen, schnödes Archivieren - was begeistert die Acht? Keine Sekunde zögern Huesmann und Ebneth - die Informationsvorsprünge und Gesamteinschätzung seien es: "Du hast aber wirklich immer ein Totschlagargument in Diskussionen parat: ëAber vor zwei Jahren im Badischen, da sah die Meinung ja komplett anders ausí", lacht Huesmann. Vor allem macht die Arbeit ihnen beständig deutlich, was vor allem in Berlin Schwulen und Lesben leicht aus den Augen gerät: auf einer glückseligen "Homo-Insel" zu leben, während in großen Teilen der Republik ganz andere Realitäten herrschen, und eine Bebilderung à la "Zwei Männer von hinten gegen die Sonne" zur Untermalung gleich welches schwulen Themas herhält. Der Bund lesbischer und schwuler JournalistInnen verlieh dem Archiv im letzten Jahr seinen mit 2000 Mark dotierten Medienpreis.
Neue MitstreiterInnen werden nicht leicht gefunden. Kontinuität ist gefragt. Huesmann erinnert sich an ihre erste "Welle", wie sie die Flut an Artikeln nennt, die zum CSD ihres Einstiegsjahres veröffentlicht wurden. "Um irgendwelche neuen Tendenzen auszumachen, gegen die Berichterstattung aus den Vorjahren abzugrenzen oder auch nicht, brauchte ich zwei Jahre." Aus Gründen der Dauerhaftigkeit verzichtet die Gruppe auch auf jährlich wechselnde ABM-Stellen. Die meisten im Team gehen auf die vierzig zu. Eine Verjüngung schwebt ihnen vor, nicht zuletzt um die Anbindung an den geldgebenden AStA zu behalten. Huesmann setzt gleich auf einen "ganzen Satz jüngerer Menschen". Denen sich Einblicke in Presse und Meinungsbildung zuhauf bieten - auch wenn unter den Acht Uneinigkeit über die Akzeptanz der Arbeit außerhalb schwul-lesbischer Aktiver besteht.
Leonie Wild

Lesbisch-Schwules Pressearchiv, Mehringdamm 61, 10961 Berlin,
eMail:
info@lesbischschwule-presseschau.de
Interessierte an der Lesbisch-Schwulen Presseschau erhalten ein aktuelles, kostenloses Probeexemplar
 
   
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