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Eine
Diva hat groß zu sein, schlank - und zickig oder? Nicht, wenn sie Mouron heißt.
1995 trat sie zum ersten Mal auf Initiative von Georgette Dee und Terry Truck in
Deutschland auf. Seitdem begeistert die kleine Französin mit der unglaublichen
Stimm- und Wortgewalt ein ständig wachsendes deutsches Publikum. "Bleu,
noir, rouge" ist bereits ihr zweites Programm, mit dem sie in Deutschland mit
Terry Truck auf Tournee ist. Monika Richrath sprach mit der charismatischen Sängerin
bei ihrem Auftritt in Bonn. Photos: Florence Potier
? Man nennt Sie die neue Piaf. War Edith Piaf ein Vorbild für Sie?
Mouron: Ich war neun Jahre alt, als sie starb. Ich erinnere mich, dass ich
aus der Schule kam und meine Mutter mir sagte, dass Edith Piaf gestorben ist, das
hat mich sehr nachhaltig getroffen. Sicherlich war sie ein Vorbild, weil sie das
reine Chanson verkörperte, sie war eine außergewöhnliche Sängerin
in dem Sinne, dass sie die Stimme der Seele hatte. Ich möchte keine falsche
Bescheidenheit mimen, natürlich freut es mich sehr, wenn man mich die neue Piaf
nennt. Ich versuche Mouron, die Sängerin zu sein. Vielleicht kommt meine Stimme
auch von tief innen heraus, vielleicht habe auch ich etwas zu sagen und das macht
die Ähnlichkeit aus. Der Vergleich schmeichelt mir und berührt mich, vor
allen Dingen weil das deutsche Publikum alles andere als einfältig ist. Die
Deutschen sind viel zu gebildet und zu empfänglich für Musik um irgendeinen
Unsinn zu behaupten, davon bin ich felsenfest überzeugt. Wenn ich in Deutschland
so genannt werde, ehrt mich dieses Kompliment weit mehr, als wenn es von den Franzosen
kommt. Ich habe verstanden, was die Deutschen im französischen Chanson lieben
und dass die Piaf für ihre Kultur einen große Bedeutung hat. Irgendwo
ist das so etwas wie eine Mission für mich. Ich sage mir, Mouron, in Deutschland
bist du nicht nur einfach eine Sängerin, du repräsentierst die französische
Kultur und du musst dich dessen als würdig erweisen. Das war es vielleicht,
was Georgette Dee und Terry Truck empfunden haben, als sie mich in Paris gesehen
haben, etwas, dass sie so fesselte, dass sie meinten, ich sollte unbedingt nach Deutschland
kommen.
? Was macht für Sie denn die Faszination des französischen Chansons
aus?
Mouron:
Das französische Chanson ist meine Ausdrucksmöglichkeit. Ich war zwölf
Jahre alt, als ich entdeckte, was ich tun wollte. Das französische Chanson geht
weit hinaus über simple Musik mit Gesang. Das Chanson ist häufig ein kleines
pathetisches Dreiminutendrama. Ich denke, die französische Sprache ist nicht
so sehr zum Singen geeignet wie zum Ausdruck von Gefühlen. Die Schönheit
der Worte ist dabei ausgesprochen wichtig, selbst wenn man sie nicht versteht.
Ich komme aus einer Künstlerfamilie. Mein Vater war Opernsänger, was bedeutete,
dass ich schon als Kind mit klassischer Musik aufwuchs.
? Haben Sie eine klassische Musikausbildung erhalten?
Mouron: Als ich verkündet hatte, dass ich singen wollte, bekam ich Stunden
in klassischem Gesang, was sicherlich dazu führte, dass ich eine kräftige
Stimme entwickelte. Möglicherweise hätte ich auch Opernsängerin werden
können, aber das interessierte mich nicht. Ich wollte das Chanson. Zuallererst
interessierte es mich lediglich, Chansons zu schreiben, aber nun gut, ich war zwölf
Jahre alt und ich war die einzige, die diese Chansons singen konnte ... so habe ich
entdeckt, dass ich das Singen liebte.
? Haben Ihre Eltern Sie dabei unterstützt?
Mouron: Meine Mutter. Mein Vater war anfangs sehr skeptisch. Er war Berufssänger,
er hatte wohl einfach Angst um mich. Nachdem er mich jedoch mit 17 mit dem Big Bazar
im l'Olympia gesehen hatte, hat er mir dann seinen Segen gegeben.
? Wie sind Sie zum Big Bazar gekommen? Dies ist ja eine völlig andere
Art von Musik ...
Mouron: In meinem Leben sind viele völlig unerwartete Dinge passiert!
Als ich 17 war, war die Art französisches Chanson, die ich liebte (und singen
wollte), bei den Plattenfirmen und Managern nicht mehr sehr beliebt. Da stand ich
nun mit meinen 17 Jahren und litt. Da schlug mir meine Mutter vor, mich doch bei
Michel Fugain zu bewerben, der Leute für eine Gruppe suchte. Fugain hat mich
in ein Marienkäferkostüm gesteckt, ich hatte natürlich anfangs überhaupt
nicht daran gedacht, zum Clown der Truppe zu werden ...
Die Zeit mit dem Big Bazar hat mich zwar vom Chanson entfernt, mich aber auch gleichzeitig
in die richtige Richtung bewegt. In den fünf Jahren des Big Bazar habe ich das
Metier von Grund auf gelernt, alleine das war wunderbar. Nach den fünf Jahren
fand ich es jedoch sehr schwer, wieder alleine da zu stehen.
? Ich habe gehört, Sie seien schüchtern, ist es da nicht sehr schwierig,
vor Publikum zu singen?
Mouron:
Das ist immer noch schwierig. Es gibt vor jedem Auftritt diesen etwas grotesken Moment,
wo ich mich frage: "Warum tue ich das?", wo mein ganzes Inneres sich dagegen
sträubt, auf die Bühne zu gehen und vor anderen Menschen zu singen. Aber
meisten Künstler sind introvertierte und schüchterne Menschen. Vielleicht
ist es das, was sie nach vorne treibt... Wenn ich einmal keinen Bammel mehr haben
sollte, werde ich mir Fragen stellen.
? Sie haben Ihre Karriere in einer Schwulen-Bar, dem Piano Zinc in Paris,
begonnen.
Mouron: Als ich beschlossen hatte, alleine aufzutreten, hat mein Freund Jürgen,
dem dieses großartige Lokal gehörte, zu mir gesagt: "Die Szene gehört
dir!" und tatsächlich war das Publikum ganz außergewöhnlich.
Ohne dass ich es besonders darauf angelegt hatte, kamen die Schwulen zu mir.
? In ihren Liedern ist Aids allgegenwärtig...
Mouron: Ja natürlich, natürlich. Ich nenne Georges nicht Georgette
und umgekehrt, das ist sicher. Für mich ist es sehr wichtig, in meinen Chansons
über Dinge zu sprechen, die wirklich passieren.
? Sie sind mit Georgette Dee, Cora Frost und Popette Betancor in dem Programm
DIVAGUT aufgetreten. Heute abend haben Sie in einem Stück Ihr Befremden darüber
ausgedrückt, dass man Sie als Diva bezeichnet, was Ihnen offensichtlich immer
noch komisch vorkommt?
Mouron: Absolut. Von mir war das überhaupt nicht beabsichtigt. Ich sehe
mich als eine sehr einfache Sängerin. Mir scheint, dass das Wort "Diva"
in Deutschland einen ganz anderen Beigeschmack hat als in Frankreich. In Frankreich
ist eine Diva das Urbild, die Karikatur des entfernten Stars...
? In Deutschland wird Diva wohl eher für Personen verwendet, die eine
gewissen Größe haben ...
Mouron: Ja, genau. Wenn man denn schon so genannt wird, weist man das natürlich
nicht zurück. Seit DIVAGUT werde ich immer häufiger so bezeichnet. Trotzdem
hatte ich das Bedürfnis, mich darüber lustig zu machen und klarzustellen,
dass wenn man mich Diva nennt, dies nichts mit meinem Aussehen zu tun hat oder mit
meinen Inhalten.
? Wird es eine Wiederholung von DIVAGUT geben oder etwas ähnliches?
Mouron: Ich hoffe. Letztendlich ist es aber das Publikum, das darüber
entscheidet. Vielleicht in einem halben Jahr, ich würde das gerne noch einmal
machen, aber die Terminkoordination für mehrere Personen ist natürlich
nicht so einfach.
? Sie treten jetzt bereits mit Ihrem zweiten Programm in Deutschland auf.
Gibt es einen Unterschied zwischen dem deutschen und dem französischen Publikum?
Mouron:
Ja, es gibt einen ganz wesentlichen Unterschied: das deutsche Publikum ist oft viel
offener, vor allem im Vergleich mit dem Pariser Publikum. In Frankreich liebt man
vor allem lustige, rhythmische Lieder. Die Deutschen lassen sich gerne berühren
und können es auch zeigen. Das ist Großzügigkeit, Gefühle zurückgeben
zu können. In Frankreich ist das Publikum da anfangs sehr zurückhaltend,
es sei denn man ist so ein Star wie Barbara. Das französische Publikum ist wunderbar,
wenn es einen Künstler akzeptiert hat. Man kann natürlich auch so großen
Erfolg haben, aber es ist viel schwieriger.
Anfangs fand ich die Vorstellung schrecklich, vor Menschen zu singen, die meine Sprache
nicht verstehen würden. Gleichzeitig hat mich das aber auch angespornt, ich
musste ja mehr geben, was sicherlich auch dazu geführt hat, dass ich mich verändert
habe.
? Sie werden also noch oft nach Deutschland kommen ...
Mouron: Auf jeden Fall. Ich fühle mich hier angenommen, geliebt (Natürlich
lieben Künstler es, geliebt zu werden!) und ich möchte mich dieser Zuneigung
würdig erweisen. Was mir hier passiert, tut mir und meiner Seele gut, gibt mir
das Gefühl, dass ich existiere. Sonderbarerweise habe ich jetzt durch meinen
Erfolg in Deutschland auch mehr Erfolg in Frankreich, das ist wie eine Art Eifersucht.
Barbara hat ihre Karriere auch in Deutschland begonnen, in den Jahren, in denen sie
z. B. das berühmte "Göttingen" schrieb, wurde sie in Frankreich
vom Musikgewerbe abgelehnt, während sie in Deutschland geliebt wurde.
? In Deutschland haben wir aber auch nicht die Tradition des Chansons ...
Mouron: Ich habe zu meiner großen Überraschung entdeckt, dass es
doch so etwas wie einen deutschen Ausdruck des Chansons gibt. Georgette Dee ist z.B.
für mich das deutsche Chanson, es gibt ebenfalls dieses Pathos, die schönen
Worte. Ihr nennt das "Diseuse". In Frankreich ist das ein völlig veraltetes
Wort, so nannte man früher Menschen, die keine Stimme hatten. Ihr benutzt das
Wort für Menschen, die ihren Text auf besonders gefühlvolle Weise interpretieren.
Diese Unterschiede sind schon komisch.
? Sie haben auch eine Aufführung geschrieben und inszeniert...
Mouron: In Frankreich gab es eine Aufführung mit Tanz und Gesang, die
ÑDoubles d'âmes" hieß, zusammen mit einem anderen Sänger, einem
riesengroßen Mann (wirklich das völlige Gegenteil von mir), auch schwul,
wir stellten also Gegensätze dar, dazu gab es noch einen Tänzer und eine
Tänzerin. Das war eine ziemlich neue Erfahrung. Es war eine schöne Aufführung,
auch wenn sie bei den Franzosen nur mäßigen Anklang fand. Und dann gab
es natürlich noch die Folies Bergères. Ich habe in diesem Metier immer
besondere Erfahrungen gemacht.
? Sie leben schon lange in Paris, hat sich die Stadt seitdem sehr verändert?
Mouron: Seit ich 17 bin, und da war es schon eine andere Stadt. Ich hätte
gerne in den 50er und 60er Jahren in Paris gelebt, als es den Periperique noch nicht
gab. Paris hat immer noch seinen ganz besonderen Charme, aber wie alle anderen Großstädte
ist auch Paris unmenschlich geworden. Selbst vor zehn Jahren gab es diese Armut,
der man heute überall auf der Straße begegnet, nicht. Das ist ziemlich
deprimierend. Ich weiß nicht, ob ich meine letzten Tage in Paris beschließen
werde, aber ich lebe in Paris...
? Die in Deutschland erschienene CD hat ja im Titel ein schönes Wortspiel
"Mouron d'amour"... Was ist Liebe für Sie?
Mouron: Die Liebe unterscheidet uns von den Pflanzen, sie ist das, was uns
im Leben antreibt. Es gibt natürlich auch die Liebe zum Leben im allgemeinen,
nicht nur die Liebe zwischen zwei Personen. Darum singe ich zum Beispiel das Chanson
von Jacques Brel über die Freundschaft. Und ohne Liebe gibt es keine Kunst.
Ich sehe das eher mystisch: die Liebe ist unser Weg ins anderswo.
? Unsere Leserinnen sterben sicherlich vor Neugier zu erfahren, wen Sie lieben
...
Mouron: Das ist aber eine sehr persönliche Frage! Ich liebe eine sehr
schöne Frau, mit der ich in Paris zusammenlebe. Ich habe sie in den Folies Bergères
kennengelernt. Sie ist das große Geschenk meines Lebens. Sie sieht mich an,
als sei ich das schönste Wesen der Welt, sie liebt mich. Ich fühle mich
dieser Liebe nicht immer würdig, aber ich bin sehr glücklich. Wir sind
seit fünf Jahren zusammen. Vielleicht verleiht mir das beim Singen einen besonderen
Ausdruck. Man sagt ja immer, Künstler müssen unglücklich sein, aber
wenn man glücklich ist, ist das auch nicht schlecht.
? Aber wenn man homosexuell ist, bedeutet das doch nicht zwangsläufig,
dass man unglücklich ist.
Mouron:
Nein, ich sprach jetzt eher von den Künstlern im allgemeinen. Das ergibt schöne
Lieder von enttäuschter Liebe...aber schließlich kann man ja auch Freude
ausdrücken. Und es muss endlich aufhören, dass Homosexualität mit
Unglück verknüpft wird. Seit einiger Zeit spricht man in Frankreich sehr
viel über Frauen, früher waren es nur Männer, die homosexuell waren.
In einer Fernsehsendung kamen einmal auf neun Männer eine Frau, die dazu noch
die Karikatur einer Lesbe war. Heute gibt es eine neue Generation, die sich viel
wohler fühlt und gay pride entwickelt, das ist gut. Die junge Tennisspielerin
Amelie Mauresmo symbolisiert das ganz gut, weil sie ganz offen gesagt hat, "wenn
ich gewinne, dann, weil ich glücklich bin". Die Leute waren davon sehr
berührt - jetzt lassen sie sie damit allerdings nicht in Ruhe. Auf jeden Fall
ist das ganz neu, ich glaube, in Frankreich ist das kein Problem mehr. Im Gegenteil,
vielleicht spricht man jetzt sogar zuviel darüber. Ich erinnere mich an den
Satz eines Schriftstellers, der vor mehr als 20 Jahren dazu etwas sehr Schönes
sagte: "Was ich will ist keine Toleranz. Ich will Gleichgültigkeit."
Und wenn eines Tages eine sagt, "Ich bin glücklich, weil ich eine Frau
liebe" und niemand macht einen Zirkus daraus, dann ist etwas erreicht.
In Deutschland erhältliche Cds von Mouron:
Mouron d'amour und Divagut live
bei Viellieb Records
Elbestraße 28/29
12045 Berlin |
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