lespress0298

Zum Tod der Schriftstellerin Kathy Acker

Kathy Acker wurde 1947 in New York geboren. Sie beschrieb ihre Eltern als "grauenhaftì und "Monsterì, weil sie immer versucht hätten, über sie zu bestimmen. Damals konnte sie ihnen noch keinen Widerstand entgegensetzen, und daher wäre sie nur glücklich gewesen, wenn sie alleine in ihrem Zimmer war. Und wenn sie alleine war - ohne irgend jemanden, der sie beobachtete oder herumkommandierte - schrieb sie. Daher war Schreiben für sie zeitlebens ein Ausdruck dieses geradezu körperlichen Glücksempfindens: Schreiben bedeutete Freiheit. Noch als Teenagerin wurde sie von ihren Eltern enterbt.
Sie studierte in New York Literatur, brach ihre Doktorarbeit jedoch ab und begann Anfang der 70er, erste Prosa-Arbeiten bei Underground-Verlagen zu veröffentlichen. Rückblickend schrieb Kathy Acker 1988: ÑUnter den vielen Erfahrungen, die ich mit Anfang zwanzig machte, gab es eine praktische:
DichterInnen verdienen kein Geld, und sind, wie sowohl Rimbaud als auch Patti Smith sagen, die weißen Neger dieser Erde.ì
Dabei orientierte sie sich stilistisch an den Beat-Poeten, vor allem aber an dem von ihr sehr verehrten William Burroughs, der durch Romane über sein exzessives Leben als "Junkieì (der Ausdruck stammt von Burroughs selbst) und Schwuler im Amerika der Nachkriegszeit bekannt ist. Sowohl Burroughs als auch der Beat-Poet Allan Ginsberg starben, als sie schon von ihrer Krebserkrankung wußte, und Kathy Acker scherzte, sie hoffe, DichterInnen stürben nicht im Dreierpack.
Ihre Stilmittel waren breit gefächtert: mehrere Ich- und Zeitebenen, die parallel laufen, und Anverwandlungen verschiedenster Stoffe - eine, wie ihr Freund Ashley Crawford es nannte, ÑMontage aus historischen Ereignissen, literarischen Zitaten und Ereignissen aus dem wirklichen Lebenì. Rhythmus spielt eine besondere Rolle in ihrer Literatur; sie verglich ihr Schreiben mit Jazz, wo auf den Basisrhythmus immer wieder rhythmische Variationen kommen.

Kathy Acker Ñfeminisierteì jedoch das Erbe der Beat-Generation, indem sie die weibliche Lust ins Zentrum ihres Schreibens rückte: nicht die süßlichen, faden Orgasmen der Genreliteratur, auch nicht die einsame, narzißtische Lust der SM-Ästhetik, sondern anarchisch, ekstatisch, befreiend, tödlich und lebensspendend zugleich, Sex zelebrierend wie eine Punk-Schamanin.
Mit der Scharfsicht einer Chirurgin zerlegte sie die weiblichen Fesseln innerhalb der patriarchalen Geschlechterverhältnisse. Sie wußte: Wer die Sprache besitzt, besitzt die Macht. So nahm sie die Sprachgewalt an sich, um ihre sexuellen, oft gewalttätigen Obsessionen zu Papier zu bringen. In einem Interview sagte sie: ÑManchmal denke ich, daß jedeR in meinen Büchern geil, dumm und gewalttätig ist. Das bringt mich zum Kichern.ì Sex und die Sprache des weiblichen Körpers bestimmten ihr Denken so sehr, daß sie manchmal mit einem Vibrator in der Möse schrieb, um sie besser zur Sprache bringen zu können. Sex wäre für sie wie Hunger, sagte sie, und sie wäre die meiste Zeit über verdammt hungrig.
Sie verleugnete ihren weiblichen Körper und die gesellschaftlichen Zuschreibungen, die er mit sich brachte, nicht, sondern bekämpfte sie, indem sie sie zerlegte und nach eigenem Belieben zusammensetzte. Ihr Kollege Richard Kadrey schreibt, sie Ñbeargwöhnteì ihre Weiblichkeit im höchsten Maße; mal hätte sie sie umarmt, und mal sei sie wie verrückt vor ihr davongelaufen. Manchmal konnte es fast so wirken, als würde sie in ihrem Körper nicht wohnen, sondern als sei er ein Forschungsobjekt, in dem sie nur zu Gast sei. Sie machte Bodybuilding, um ihn zu stärken. Sie ließ sich piercen und tätowieren, um ihn selbst zu definieren und sich seiner genauer bewußt zu werden.
Sie wollte nicht schockieren, sie wollte einfach nur - fast naiv - sie selber sein und ihre Kunst machen. Wenn das bedeutete, den Kampf mit der Prüderie einer ganzen Nation aufzunehmen, dann bitteschön: ÑDie Menschen hatten schon immer ein verkorkstes Verhältnis im Umgang mit weiblichen Körpern. Männer und Frauen.ì
Ekstase war ihr heilig, intellektuelle Moden waren ihr scheißegal (sie liebte den Ausdruck ÑI give a fuck about...ì). Für ein paar lobende Zeilen in den Feuilletons hat sie nicht ihre Seele verkauft. Sie versuchte, in ihrem Leben wie in ihrem Werk dem ästhetischen Faschismus ihrer Umwelt zu widerstehen.
1982 gelangte sie mit ÑBlood and Guts in High Schoolì über die Underground-Szene hinaus zu weiter Bekanntheit. Ab Mitte der 80er lebte Kathy Acker in London. Zunächst war sie begeistert, in einem Land zu Gast zu sein, in dem, anders als in den USA, SchriftstellerInnen und ihren Ideen große Beachtung zukam. Hier wurde sie gefeiert. Entzückt schrieb sie an einen Freund: ÑDie verwenden hier noch immer das Wort Schurke.ì
Doch ihr Enthusiasmus schwand, als ihr britischer Verleger sie Ende der 80er zu einer öffentlichen Entschuldigung gegenüber dem Schriftsteller Harold Robbins aufforderte, der sie des Plagiats beschuldigte. Kathy Acker fand den Vorwurf des Plagiats absurd, war doch das ÑPlagiierenì anderer SchriftstellerInnen - das bei ihr immer die gleichzeitige Veränderung des Originals beinhaltete - eines ihrer erklärten Stilmittel. Sie verließ Großbritannien und zog zunächst nach New York, das sie jedoch bald deprimierend fand, weil AIDS gerade entsetzlich unter den KünstlerInnen wütete.
In Kalifornien unterrichtete sie am San Francisco Art Institute. Ihre StudentInnen waren gleichzeitig Anregung und Ärgernis für sie. Eine Studentin war es zu Beispiel, die sie zu ihrem ersten Piercing inspirierte, das bei Kathy Acker eine nahezu mystisch-sexuelle Erfahrung auslöste. Aber es belastete sie auch, Kindern reicher Leute, die die Konsequenz ihrer Gedankengänge meist nicht verstanden, unterrichten zu müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So schlug sie einem befreundeten Schrifsteller vor, er solle sie doch einmal vor dem versammelten Seminar auspeitschen, damit ihre Ñto-hip-to-liveì-Kids ein wenig aufgerüttelt würden. Dieser Vorschlag drang aber zum Dekan durch, der ihr in Panik von einer solchen Performance abriet...

Kathy Acker war nie reich. Bis zuletzt arbeitete sie 7 Tage in der Woche ihre 12 Stunden, um ihr Geld zusammenzubekommen. Doch dieser Fleiß war auch Besessenheit und Vitalität. Sie machte Performances und trat z. B. mit der britischen Punkband The Mekons auf. Sie unternahm Lesetouren durch die Vereinigten Staaten, Europa und Australien. Sie hinterläßt 10 Romane, Gedichte, Opernlibretti, Theaterstücke, journalistische Arbeiten und Rockmusiktexte (drei ihrer Bücher sind auch auf Deutsch erhältlich).
Ihre Ablehnung gegen die westliche Welt ging so weit, daß sie 1996 - nach der Entfernung beider Brüste infolge von Brustkrebs - die nachfolgende Chemotherapie und Bestrahlung ablehnte und alternative Behandlungsmethoden wie Akupunktur, Homöopathie etc. versuchte. Sie arbeitete intensiv weiter und hielt Kontakt mit ihren FreundInnen in aller Welt, bis sich das Fortschreiten des Krebses nicht länger leugnen ließ.
Ihre letzte Hoffnung war ein alternatives Behandlungszentrum in Mexiko, wo sie den letzten Monat ihres Lebens verbrachte und allmählich die Tatsache ihres nahenden Todes akzeptierte. Noch auf der Reise dorthin schockierte sie eine Krankenschwester, die sie zum Pinkeln hinaus ins Freie getragen hatte. Kathy Acker hatte sich hingehockt (nur mit einem Hemd an, das über die Taille hochgezogen war) und sagte plötzlich, wie im Traum: ÑTut das gut, die Sonne auf meiner Möse zu spüren!ì - ÑOooo girl!ì sagte darauf die gestandene Krankenschwester aus dem Mittleren Westen mit einem Lächeln.
Kathy Acker starb nach qualvoller, ruhig ertragener Krankheit in Würde und Klarheit am 7. Dezember 1997 in den frühen Morgenstunden in Tijuana. Sie wurde 49 Jahre alt.

Stephanie Sellier

[Aus: ÑThe Language Of The Bodyì, 1992 (Übersetzung StS). Der vollständige Text ist nachzulesen im Internet unter http://www.ctheory.com/a-language_of_the_body.html]

zurück