|
Die Bildhauerin
Renée Sintenis schuf die Skulptur, die für den "Goldenen Bären"
der Berliner Filmfestspiele Pate stand. Als burschikoser Frauentyp der 20er Jahre
erregte sie Aufsehen und Bewunderung, wurde von den Nazis als "entartete"
Künstlerin geschmäht und in die innere Emigration gezwungen, bevor ihr
im Nachkriegsdeutschland späte Ehrungen für ihr Werk zuteil wurden.
Renate
Alice Sintenis wurde am 20. März 1888 in dem kleinen Ort Glatz in Schlesien
geboren. Als Tochter eines Justizrates und Spross einer angesehenen hugenottischen
Familie (ursprünglicher Name: Saint Denis) erlebte sie eine harmonische Kindheit:
Inmitten nahezu unberührter Natur genoss sie schon als junges Mädchen lange
Ausritte auf den Pferden eines befreundeten Züchters. Erst nach Renates Schulabschluss
fiel ein nachdrücklicher Schatten auf das Paradies. Die Familie Sintenis hatte
sich eine standesgemäße Heirat und ein klassisches Hausfrauendasein für
ihre Tochter erwünscht, diese jedoch strebte nach höheren Weihen und zur
Kunst: Eine Ausbildung in Malerei und Bildhauerei an der Kunstgewerbeschule in Berlin
sollte es sein. Und so ging Renée im Jahr 1908 - gegen den Widerstand ihrer
Eltern und ohne finanzielle Unterstützung - zum Studium in die größte
Stadt des Deutschen Reichs. Nach nur kurzer Zeit jedoch gab sie dem Drängen
ihres Vaters nach und begann eine Sekretärinnenausbildung, ohne sich aber wirklich
mit der Aussicht auf einen lebenslangen Angestellten-Status abfinden zu können.
Als sie wieder an die Kunstgewerbeschule zurückkehrte, war der Bruch mit der
Familie komplett.
Mit vollem Engagement widmete Sintenis sich fortan ihrer künstlerischen Bildung,
stieß jedoch bald an Grenzen: Gerade ihr ursprüngliches Wunsch-Metier,
die Malerei, ließ ihr nach ihrem Geschmack zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten
und erschien ihr zu starr und unorganisch. Und auch in der "lebendigen"
Bildhauerei, wo sie vor allem überlebensgroße Figuren entwarf, hatte sie
noch nicht recht zu ihrem Stil gefunden. Am Rande einer Depression begann sie sich
an ihre Kindheit auf dem Lande zu erinnern und schöpfte daraus neue Inspiration:
"Im Momente nun, als ich das erste Tier machte, da ging auch jenes innere Tor
wieder auf, das so lange geschlossen blieb." Sie entwarf und formte Miniatur-Pferde
und Ponys, Zicklein, Eselchen und Hunde und goss sie ó mitunter auch eigenhändig
- in Bronze. Diese Tierdarstellungen sollten ihr zum künstlerischen Durchbruch
verhelfen, wie auch ihr lebenslanges Markenzeichen werden.
1911 war ihre Ausbildung an der Kunstgewerbeschule mit einem Besuch der Meisterklasse
von Leo von König abgeschlossen und die junge Künstlerin hatte von nun
an auf dem freien Markt zu überleben. Schon vorher war sie, wohl nicht nur aus
finanziellen Gründen, mit einer Mitstudentin zusammengezogen, welche ihr nun
glücklicherweise die ersten Kontakte zum Kunstrummel verschaffen konnte. Zwar
dauerte es noch vier Jahre, bis sie bei der "Berliner Sezession" ihre ersten
Arbeiten ausstellen durfte, jedoch zeigte sich das Publikum begeistert: Rainer Maria
Rilke schrieb ihr einen überschwänglichen Lobesbrief und war Mittler beim
ersten Verkauf eines Sintenis-Werks. Renée konnte sich allmählich auf
dem umkämpften Berliner Kunstmarkt etablieren und gewann einflussreiche Freunde
wie zum Beispiel den Dichter Joachim Ringelnatz, der die Kunde ihres Talentes per
Mundpropaganda im Land verbreiteten.
Die Zwanziger Jahre wurden für Renée Sintenis tatsächlich golden:
Bei allen wichtigen KünstlerInnenausstellungen war sie nun mit Werken vertreten,
und nicht nur ihre Tierdarstellungen, sondern auch die neuen Portraits und Sportlerfiguren
(z.B. "Läufer Nurmi", 1923) wurden hoch geschätzt. Ebenso kursierten
unverhohlene Komplimente über die Schönheit und Ausstrahlung der Künstlerin:
Etwas mehr als 1,80 Meter Körpergröße und ein burschikoser Haarschnitt
machten sie zur perfekten Vertreterin des neuen modischen Frauentyps, einer "Garçonne".
Wenn sie schließlich nach morgendlichem Ausritt auf dem eigenen Pferd im Tiergarten
noch in Breeches auf einen Kaffee an den Kurfürstendamm kam, "dann folgten
ihr Blicke der Bewunderung." Und obwohl sie 1917 den zehn Jahre älteren
Malereiprofessor Emil Rudolf Weiß geheiratet hatte, spielte sich ihr Sozialleben
in einem anderen "Milieu" ab: Oft ging sie mit Freundinnen wie der Schriftstellerin
Christa Winsloe ("Mädchen in Uniform") zu Veranstaltungen der Berliner
Subkultur, wie z.B. dem "Querschnittball".
Den Höhepunkt ihrer Karriere stellte ihre Aufnahme in die Preußische Akademie
der Künste dar, die sie im Jahr 1931 als erste Frau im Fach Bildhauerin in ihre
Reihen berief. Danach endete die glanzvolle Zeit für Renée Sintenis,
wie für so viele andere auch, mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Ab 1933 erhielt sie als angebliche Nicht-Arierin Ausstellungsverbot (aus Stolz protestierte
sie nicht dagegen), ihr jüdischer Galerist Alfred Flechtheim musste sein Geschäft
aufgeben. Ein Jahr später wurde sie zum Rücktritt aus der Akademie der
Künste gezwungen, ihre Werke als "entartete Kunst" diffamiert. Den
Zweiten Weltkrieg erlebte sie zurückgezogen in Berlin, und als ihr Ehemann Emil
Weiß 1942 starb, verfiel sie in tiefe Depressionen. Vor allem der Zweifel,
ob sie jemals wieder würde künstlerisch arbeiten können, raubte ihr
den Lebensmut.
Dennoch überstand sie die letzten Kriegsjahre und erlebte das Ende des nationalsozialistischen
Regimes in ihrer Wohnung in der Innsbrucker Straße 23 in Berlin-Schöneberg.
Nach dem Krieg begann Renée Sintenis wieder als bildende Künstlerin
zu arbeiten. Auch wenn sie mit ihrem Nachkriegs-Oeuvre nicht mehr an ihre früheren
ganz großen Erfolge anknüpfen konnte, gelang es ihr, erneut im kommerziellen
Kunstbetrieb Fuß zu fassen. Dabei machte ihr die Gesundheit schwer zu schaffen:
1946 musste ihr der Zeigefinger der rechten Hand amputiert werden, und eine Rückgraterkrankung
verbannte sie manchmal monatelang auf ein Streckbett.
Zwei Jahre nach Kriegsende wurde sie als Professorin an die Hochschule für Bildende
Künste berufen. Eine ihrer Skulpturen, die weltweit bekannt geworden ist, ist
der Preis der Berliner Filmfestspiele: Die goldenen und silbernen Bären, die
seit 1951 verliehen werden, sind nach einer Skulptur von Renée Sintenis aus
den 30er Jahren gestaltet. Auch der US-Präsident John F. Kennedy erhielt bei
seinem Besuch in Berlin einen solchen Bären als offizielles Geschenk der Stadt.
Für ihr Werk wurde die Künstlerin in den Nachkriegsjahren vielfach geehrt:
1948 erhielt Renée Sintenis den Kunstpreis der Stadt Berlin, der in jenem
Jahr erstmalig vergeben wurde. 1952 wird ihr als zweiter Frau überhaupt (nach
Käthe Kollwitz) der "ordre pour le mérite" für Wissenschaften
und Kunst verliehen und im Jahr darauf sogar das große Bundesverdienstkreuz.
1955 erfolgt mit der Wiederaufnahme in die Akademie der Künste auch eine späte
Rehabilitierung des Rausschmisses durch die Nationalsozialisten. Bis zu ihrem Tod
im Jahr 1965 lebte Renée Sintenis weitgehend zurückgezogen in ihrer Wohnung
in der Innsbrucker Straße, wo heute eine Gedenktafel an die eigenwillige deutsche
Bildhauerin erinnert. Wohnung und Leben teilte sie schon seit langem mit Magdalena
Goldmann, die zwar offiziell zwar als Haushälterin bezeichnet wurde, aber inoffiziell
der Künstlerin sicherlich näher stand als eine Angestellte: Nach Renées
Tod verwaltete sie ihren Nachlass und ließ sich nach ihrem eigenen Tod im Jahr
1989 im selben Grab auf dem Waldfriedhof Dahlem beisetzen.
Sabine König/Anne-K. Jung |
|