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"Osama"
ist der erste afghanische Spielfilm, der nach dem Ende der Taliban-Herrschaft gedreht
wurde. Regisseur Siddiq Barmak erzählt in einfachen, eindrucksvollen Bildern
von der Unterdrückung afghanischer Frauen und ihrem Überlebenskampf.
Eine gesichtlose Masse zieht durch die Straßen. Gestalten, eingehüllt
in blaue Gewänder und Burkha, halten Transparente und rufen: "Wir sind
nicht religiös. Wir sind hungrig." Afghanische Frauen demonstrieren gegen
ihre Unterdrückung durch die Taliban, demonstrieren für ihr Recht auf Leben.
Es sind Frauen, die im Krieg ihre Männer, Väter oder Brüder verloren
haben und somit zum Hungern verurteilt sind, denn keine afghanische Frau darf ohne
männliche Begleitung an die Öffentlichkeit, weder zum Einkaufen, noch zum
Arbeiten. "Die Taliban kommen", ruft ein Straßenjunge und die Demonstration
löst sich panisch auf. Blaue Gewänder eilen nach links und rechts, allein
die orientierungslosen Fluchtbewegungen zeugen von der Panik der Frauen. Das Gesicht
eines einzelnen unverschleierten Mädchens ist vor Angst verzerrt - dieselbe
Angst, die auf den Gesichtern der fliehenden Frauen hinter ihren Schleiern verborgen
bleibt.
Die Geschichte spielt kurz nach der Machtübernahme der Taliban. Das Schicksal
einer Drei-Frauen-Familie, Großmutter, Mutter und Tochter, deren Namen im Film
nicht weiter benannt werden, stehen für das Schicksal vieler afghanischer Frauen,
die sich männerlos in einem männerdominierten Staat behaupten müssen.
Um überleben zu können wird die Kleine von ihrer Großmutter angehalten,
sich als Junge zu verkleiden. Dem Mädchen werden die Haare geschnitten und am
folgenden Morgen verlassen die Mutter und ihr "männlicher Begleiter"
das Haus. Als die Mutter ihre Arbeit im Krankhaus verliert, muss das Kind, das von
einem Straßenjungen den Namen Osama erhält, alleine den Lebensunterhalt
für die Familie verdienen. Osama ist mutig, Osama hat Angst. Sie muss sich in
einer Männerwelt behaupten, die ihr fremd ist und deren Regeln sie nicht kennt.
Als sie dann auch noch mit den anderen Jungen gemeinsam die Koranschule besuchen
muss, dauert es nicht mehr lange, bis sie enttarnt wird.
Osama wird von der 12-jährigen Marina Golbahari gespielt. Nein, gespielt
ist hier der falsche Ausdruck. Marina Golbahari ist Osama. Ihr Gesichtsausdruck,
ihre Augen sprechen von einem Leben voller Gefahren, mit der Angst als ständigem
Begleiter. Marina Golbahari ist ein Kind von der Straße. Der Regisseur traf
sie, als sie ihn um Kleingeld anbettelte. Als er sie daraufhin fragte, ob sie in
einem Film mitspielen wolle, wusste sie nicht wovon er sprach. Fernsehen und Kino
waren ihr fremd. Das Afghanistan der Taliban war ein bilderloses Land, der Kameramann
Ibrahim Ghafuri gibt dem Land seine Bilder zurück.
Die Filmkulisse ist das zerstörte Kabul mit seinen sandigen Straßen. Bilder
in erdigen Tönen, nur unterbrochen von einheitlich blauen Burkhas, sprechen
von Uniformierung und Auslöschung des Individuums Mensch. Der Film zieht die
ZuschauerInnen in seinen Bann, ganz ohne dramatisierenden Soundtrack aber mit umso
ausdrucksstärkeren Bildern. Sei es die Szene, als das Mädchen einen ihrer
abgeschnittenen Zöpfe wie eine Blume in einen Topf pflanzt oder die Großaufnahme
von den unbedeckten Füßen einer Frau, die auf dem Gepäckträger
eines Fahrrades sitzt, die Stimmen der Mullahs im Hintergrund, die sie beschimpfen,
das vorsichtige Zurechtzupfen des Rockes.
Der Regisseur betreibt keine Schwarz-Weiß-Malerei. Er zeigt ebenfalls, wie
sehr auch Jungen und Männer der Willkür der Mullahs ausgesetzt waren. Die
Jungen werden zur Koranschule getrieben. Und so wie die Frauen unter die Burkha,
werden sie unter den Turban gezwungen.
Siddiq Barmak spricht in seinem Film nicht von Hoffnung, bietet dem Zuschauer kein
befreiendes Happy-End. Die Eindringlichkeit der Bilder ist intensiver als wir sie
aus Nachrichten und Magazinen kennen. Denn die Bilder verknüpfen sich mit einer
Geschichte. Die zerstörte Stadt verliert ihre Anonymität, weil wir die
Menschen kennen gelernt haben, die in ihr leben.
Dagmar Trüpschuch
Regie: Siddiq Barmak
Afghanistan, Irland, Japan 2003
Filmstart: 15. Januar
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