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Karen-Susan
Fessel ist mit Sicherheit eine der bekanntesten deutschen lesbischen Schriftstellerinnen,
und eine der besten noch dazu. Bekannt wurde sie mit tiefsinnigen, gefühlvollen
und eindringlichen Romanen wie "Bis ich sie finde" und "Bilder von
ihr". Beide Bücher sind nicht zum Schnell-Mal-Weglesen geeignet: Während
es im ersten Buch um die Liebe der Berlinerin Uma zur transsexuellen Jane geht, erzählt
"Bilder von ihr" die Geschichte von Thea, deren große Liebe Suzannah
gestorben ist.
Aber Karen-Susan Fessel auf diese beiden wunderbaren Romane zu reduzieren, würde
ihr nicht gerecht werden. Denn die Autorin schreibt darüber hinaus auch Kurzgeschichten,
phantastische Erzählungen sowie Kinder- und Jugendbücher. In allí diesen
Werken schafft sie es, aufrüttelnd und bewegend zu schreiben. Lesben und Schwule
kommen immer vor, stehen aber vor allem bei den Kinder- und Jugendbüchern auch
nicht immer im Mittelpunkt. Darüber hinaus hat die 1964 geborene Schriftstellerin
zwei Sachbücher mit herausgegeben, darunter "Out", ein schwullesbisch/bisexuelles
Personenlexikon. Die Berlinerin ist seit 1992 freie Schriftstellerin - und eine sehr
produktive dazu. Im Herbst erscheinen ihr 13. und 14. Buch - genau genommen das 14.
und 15., denn ein weiteres hat Fessel unter einem Pseudonym veröffentlicht.
? Du hast ganz unterschiedliche Bücher geschrieben und an "Out" und
einem HIV-Ratgeber mitgearbeitet. Warum ist Dir diese Themenvielfalt wichtig?
! Da muss man natürlich unterscheiden: Zum einen schreibe ich Belletristik,
zum anderen sind "Out" und das "Sebsthilfehandbuch für Menschen
mit HIV" Sachbücher. Das würde ich aber nicht unbedingt noch mal machen,
weil mir journalistische Recherche nicht so liegt. Ansonsten ist es mir wichtig,
dass ich in möglichst verschiedenen Bereichen arbeite. Ich empfinde es als große
Bereicherung, neben Erwachsenen-Büchern auch Kinder- und Jugendbücher zu
schreiben. Ich würde auch gerne ein Hörspiel machen. Es ist einfach interessanter,
ganz Verschiedenes machen zu können, weil ich sonst so festgelegt wäre.
Da ich sehr produktiv bin und ziemlich viel arbeite, wäre es für mich sehr
unbefriedigend, immer nur ähnliche Themen zu bearbeiten.
? Wie kommt Dein Bezug zu Kinder- und Jugendbüchern?
! Ich fand das schon lange als Thema interessant. Dann habe ich gesehen, dass der
Oetinger-Verlag einen Wettbewerb ausgeschrieben hat. Dafür habe ich dann ziemlich
spontan mein erstes Kinderbuch geschrieben und bin damit in die engere Auswahl zum
Astrid-Lingdgren-Preis gekommen. Ich glaube, mein Interesse an Kinder- und vorrangig
Jugendliteratur rührt vorrangig daher, weil ich als Kind und als Jugendliche
unheimlich viel gelesen habe und Bücher für mich und meine Entwicklung
sehr wichtig waren. Wahrscheinlich habe ich Lust, die Bücher zu schreiben, die
ich damals gerne gelesen hätte.
? Du schreibst auch abgesehen von den Jugendbüchern nicht unbedingt die typischen
"Frau-trifft-Frau"-Geschichten. Sie gehen oft mehr in die Tiefe, finde
ich. Siehst Du das auch so?
! Ich habe natürlich unterschiedliche Bücher geschrieben, die für
mich persönlich auch unterschiedlich gewichtet sind. Meine wichtigsten Bücher
sind für mich immer noch "Bilder von ihr" und "Bis ich sie finde".
Das sind aber auch die dicksten - und die, die für mein Gefühl am meisten
Tiefgang haben. Das liegt auch daran, dass ich an beiden Büchern am längsten
gearbeitet habe. Es ist etwas anderes, wenn man ein Buch kurz vorbereitet und dann
vielleicht ein halbes Jahr damit beschäftigt ist, oder wenn man sich jahrelang
Notizen macht und mit den Personen lebt und dann noch ein Jahr daran schreibt. Das
hat natürlich ein anderes Gewicht.
Einfache "Frau-trifft-Frau"-Begegnungen mit einem schlichten Plot reizen
mich nicht so; an diesem Punkt fängt meine Arbeit erst an. Für mich ist
das spannend, was zwischen den Menschen passiert und was sich innerlich bei jemandem
bewegt. Das nimmt auch unterschiedlich Raum ein in meinen Büchern, und deshalb
haben vielleicht manche bei mir mehr Tiefgang als andere.
? Vielleicht liegt es auch mit daran, dass Du auch "Tabus" oder eben nicht
alltägliche Themen aufgreifst - zum Beispiel Transsexualität. Ich habe
den Eindruck, dass die Lesbenszene nicht immer sehr vorurteilsfrei ist.
! Ja, auf jeden Fall. Das ist natürlich ein heikles Thema, immer noch. In letzter
Zeit ist zwar ein Sich-Öffnen für Transgender-Themen da, aber das nimmt
eine Wendung, die ich fragwürdig finde. Total in sind ja gerade Drag Kings.
Da stehen hunderte von Frauen da und sehen sich ein paar junge Lesben an, die sich
teilweise benehmen wie die allerletzten Arschlöcher. Manche von diesen Möchte-gern-Macho-Kerlen
gebärden sich auf der Bühne so rüpelhaft wie irgendwelche ekelhaften
Männer, mit denen man wirklich nie etwas zu tun haben möchte. Und das ist
dann die Show! Was wird da eigentlich bejubelt? Es muss ja nicht alles auf hohem
künstlerischen Niveau laufen, aber gutes Entertainment beinhaltet zumeist auch
ein politisches Statement, und das sehe ich hier nicht. Drag-Shows sind zwar trendy,
aber gleichzeitig wendet sich die Szene damit auch ein Stück weit von der Frage
ab, was das Aufweichen der Geschlechtergrenzen denn eigentlich bedeutet, vor allem
für diejenigen, die wirklich darunter leiden. Da findet eine schleichende Entpolitisierung
statt, und das finde ich schräg und fragwürdig.
? Aber Du steuerst ja in "Bis ich sie finde" gegen diesen Trend.
! Ja, das finde ich auch wichtig, denn ich glaube tatsächlich, dass, obwohl
dieses Maskuline so gefeiert wird, Transsexuelle nicht mehr akzeptiert werden als
früher Gerade Mann-zu-Frau-Transsexuelle fallen einfach hinten runter. Ich glaube
nicht, dass diese Welle der "Drag-King-Jubelei" auch nur eine Person dazu
bewegt hat, Mann-zu-Frau-Transsexuelle freundlicher zu behandeln als vorher.
Umso wichtiger finde ich es, daran zu arbeiten. In "Bis ich sie finde"
ist es nicht das erste Mal, dass ich Transsexualität beschrieben habe, und ich
werde das auch in Zukunft tun. In meinem nächsten großen Roman, der 2005
im Querverlag erscheinen wird, werde ich das Thema wieder aufgreifen, allerdings
umgekehrt - es geht um Frau-zu-Mann-Transsexuelle und Transgender überhaupt.
? Wie waren denn die Reaktionen auf "Bis ich sie finde"?
! Es gab eigentlich nur gute Reaktionen, bis auf ein paar kritische Stimmen. Die
meinten, ich hätte das Thema nicht tiefgründig genug analysiert. Das finde
ich nicht, und ich wollte ja auch kein Sachbuch schreiben - aber es ist trotzdem
ein schwieriges Thema. Es ist schon heikel, dass die Hauptfigur Jane sehr gut aussieht
und eine Art transsexueller Idealfigur darstellt. Aber es ist nun mal so: Sehr attraktive
Transsexuelle Frauen haben einfach bessere Chancen als die, denen man ihre Vergangenheit
als biologischer Mann mehr ansieht. Das ist ein Faktum, deshalb wollte ich das nicht
beschönigend beschreiben.
Gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich transsexuelle Frauen damit verletzen könnte.
Sie könnten sagen: "Jetzt denken alle, ich bin perfekt - und ich bin es
doch eigentlich nicht, sehe auch nicht gut aus und meine Operation ist total misslungen.
Jetzt stehe ich noch schlechter da, weil jetzt in diesem Buch propagiert wird, dass
man als Lesbe sehr wohl auch eine Transsexuelle lieben kann - aber die muss natürlich
hübsch sein. Aber was ist mit mir?" Das macht mir schon zu schaffen.
? Du hast aber sicher erreicht, dass das Thema (wieder) in die Diskussion gebracht
wurde.
! Das hoffe ich - das ist natürlich klasse, wenn ich mit meinen Romanen etwas
bewegen kann.
? Wo findest Du denn Deine Themen? Inwieweit sind Deine Romane autobiografisch?
! In der Regel ist es so, dass sie eher weiter von mir weg sind. Ich kann über
das, was mich persönlich betrifft, nicht so gut schreiben. Das wäre zu
dicht mit mir verwoben, es fehlt die Distanz..
Aber letztendlich sind natürlich die Themen, über die ich schreibe, auch
die, die ich sehe und die mich bewegen. Zum Beispiel handelt mein Jugendbuch "Und
wenn schon!" von Kinderarmut. Da hatte ich bei einem Besuch bei meiner Mutter
einen Typen aus meiner ehemalige Schule wiedergesehen. Er sah immer noch furchtbar
ärmlich aus. Von da an habe ich angefangen mich umzugucken und ein Auge bekommen
für die Außenseiter, die man gerne übersieht: Nervige, rotzende,
schlecht angezogen, blöde 14-Jährige, die auf der Straße rumhängen
und die man am liebsten sonst wohin wünscht. Genau über die hab ich dann
das Buch geschrieben.
? Das ist ja generell so in Deinen Büchern, dass im Mittelpunkt eher Menschen
stehen, die es nicht so leicht haben; es sind nie Personen, denen alles zufliegt.
Ist es Dir wichtig, eine Art Trost oder Hilfestellung zu geben?
! Ja, das schon beides, aber es ist auch einfach so, dass meine Sympathien immer
bei den Ausgegrenzten, Ausgestoßenen liegen. Für mich sind die schwierigen
Schicksale und Lebenssituationen spannender und interessanter. Unsere Gesellschaft
blickt verächtlich auf die herab, die es nicht so gut haben, oder einfach über
sie hinweg. Ich persönlich will das nicht.
? Wie ist das denn in Bezug auf Lesben - glaubst Du, dass sich die Situation wesentlich
verbessert hat in den letzten Jahren?
! Ich denke schon, dass es vorangeht. Die jüngeren Lesben, die 17-, 18-Jährigen,
können sehr viel selbstbewusster auftreten. Wir sind heutzutage akzeptierter
als vor zehn Jahren. Mein Eindruck ist aber nicht, dass wir schon im "Goldenen
Zeitalter" angekommen sind. Der Regelfall ist ja immer noch, dass wir als Lesben
missachtet werden. Schwule werden angefeindet, Lesben übersehen oder nicht ernst
genommen. So lange der Durchschnittsmann immer noch denkt: "Die müsste
mal ordentlich durchgefickt werden", so lange brauchen wir uns gar nicht erst
nicht gemütlich zurücklehnen. Und schon gar nicht, so lange in anderen
Ländern Menschen wegen ihrer Homosexualität gesteinigt werden. Das vergessen
wir ja ganz gern hier zwischen Party-Spaß und Homoehe.
? Mal zu Dir persönlich: Was machst Du denn, wenn Du nicht schreibst?
! In erster Linie lese ich viel. Ich habe ein paar Lieblingsautoren, Jim Grimsley
zum Beispiel, Jane Hamilton und erfreulicherweise in letzter Zeit auch ein paar deutsche
Autoren, Doris Dörries "Das blaue Kleid" hat mir z.B. gefallen.
Ansonsten geh ich gern aus oder was trinken, verabrede mich, gehe mit meinem Hund
spazieren, mache Sport und kümmere mich um meine beiden kleinen Nichten, die
mit mir im gleichen Haus wohnen. Und Sex hab ich natürlich auch gern und viel.
Meine Arbeit ist aber schon ziemlich vorherrschend in meinem Leben.
? Wie sieht denn diese Arbeit konkret aus? Wie lange brauchst Du zum Beispiel für
ein Buch?
! Im Schnitt ist es so, dass ich für die Kinder- und Jugendbücher ungefähr
vier, fünf Monate brauche. Bei den Erwachsenenbüchern ist es sehr unterschiedlich.
Gerade habe ich einen kurzen Roman geschrieben, "Aus den Fugen", der im
Herbst im Querverlag erscheint. Dafür habe ich nur vier Monate gebraucht. Aber
bei Romanen wie "Bilder von ihr" habe ich jahrelang vorher Notizen gemacht.
Geschrieben habe ich es in elf Monaten, genau wie "Bis ich sie finde".
? Ist es schwierig, sich nach so langer Zeit von einem Buch zu verabschieden?
! Ja, das ist schon ein trauriges Gefühl und ein schmerzlicher Abschied. Ich
weiß ja dann, dass ich die Personen nicht mehr wieder treffe.
? Gibt es denn auch Phasen, in denen dir gar nichts einfällt?
! Nein, nie. Ich schreibe seit zehn Jahren hauptberuflich, und je mehr ich arbeite,
desto mehr fällt mir auch ein. Ich habe Ideen für mindestens die nächsten
drei Jahre. Es ist auch schon klar, was ich schreiben werde. Mit den Verlagen ist
abgesprochen, welche Bücher wann erscheinen. Aber ich muss natürlich immer
mal Pausen einlegen, weil ich sonst zu ausgebrannt wäre. In der Regel ist es
so, dass ich viel hintereinander schreibe, am liebsten an Stipendienstätten
ein paar Monate außerhalb Berlins. Nach jedem Buch lege ich eine Pause ein,
so ein bis zwei Monate. Da mache ich dann aber auch schon Vorarbeiten für die
nächsten Bücher oder Lesereisen oder gebe Schreibseminare.
? Du hast gerade Dein neues Buch erwähnt. Worum wird es gehen?
! "Aus den Fugen" ist ein kurzer und schneller Roman über eine ziemlich
ungewöhnliche Person mit einem ungewöhnlichen Beruf, die relativ viel Sex
hat. Eine Zeitlang habe ich gar keine erotischen Texte geschrieben, weil ich die
Gefahr gesehen habe, dass ich mich wiederholen könnte. Die Pause hat mir gut
getan, jetzt hab ich ein ganzes Buch voller Sexszenen geschrieben.
Es ist natürlich schwierig, dass nach einem Roman wie "Bis ich sie finde"
als nächstes im gleichen Verlag ein kurzes, sehr sexlastiges Buch erscheint.
Dann wird natürlich verglichen, aber das klappt nicht. Ich denke, man kann bei
meinen Büchern immer nur die miteinander vergleichen, die die gleiche Gewichtsklasse
oder das gleiche Genre haben. Der nächste "große Roman" zum
Beispiel, der vergleichbar wäre mit "Bilder von ihr" und "Bis
ich sie finde", kommt erst in drei Jahren.
Zur Zeit arbeite ich an einem neuen Kinderbuch, danach schreibe ich noch ein Jugendbuch.
Außerdem mache ich dieses Jahr auch noch zwei Reisereportagen, zusammen mit
der Fotografin Ursula Meissner. Im Jahr drauf werde ich dann eben den "großen
Roman" beginnen, den ich bereits jetzt vorbereite.
? Und was wäre, wenn Du jetzt Lust hättest, was ganz anderes zu schreiben?
! Das geht manchmal schon, das ist mir auch schon passiert: "Aus den Fugen"
war zum Beispiel nicht geplant, das habe ich spontan entschieden. Eigentlich hatte
ich vor, ein anderes Buch zu schreiben. Für dieses Jahr bin ich aber festgelegt,
weil ich für die Bücher schon Verträge habe. Ich kann aber für
mich auch relativ gut einschätzen, worauf ich Lust habe.
? Hast Du so eine Art Traumbuch, also eins, was Du unbedingt noch schreiben möchtest?
! Das habe ich schon geschrieben. Das Buch, das ich schon als Jugendliche ganz vage
im Kopf hatte, war "Bilder von ihr". Ich glaube aber nicht, dass es in
meinem Leben nur ein Buch geben wird, das diese Bedeutung hat. Es wird - hoffentlich
- immer wieder neue Bücher geben, die ich unbedingt noch schreiben will und
werde.
? Was erhoffst Du Dir denn von der Zukunft?
! Liebe und Gesundheit und ein kleines Häuschen in Schweden irgendwann mal.
Und natürlich, dass ich immer weiter schreiben und Menschen mit meinen Büchern
erfreuen und berühren kann. Und dass ich immer weiter komme und immer bessere
Bücher schreibe.
Interview: Claudia Frickel
Photos: Christiane Pausch |
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