Die wunderbare Welt der lesbischen Popkultur

 
  Lilien und andere Blumen- Lesben im Shojo Manga  
  "Aber das ändert nichts an unseren Gefühlen füreinander. Das weißt du ebenso gut wie ich, und deshalb kommt es mir so vor, als würdest du andauernd nach Ausreden suchen." "Ich habe dir schon mal gesagt, dass das nicht wahr ist." "Je öfter du das sagst, desto weniger glaube ich dir!" "Was muss ich tun, damit du mir endlich glaubst?" Ich stieg in die Bremse und bracht den Ferrari zum stehen. "Sieh mich an, Michiru! Und dann sag mir, dass ich dir nichts bedeute. Sag es so, dass ich es glauben kann und ich lasse dich auf ewig in Ruhe!" "Das kann ich nicht", schluchzte sie, "und das weißt du genau!" Als sich unseren Lippen trafen, funkelten die ersten Sonnenstrahlen auf dem Wasser.
(Haruka & Michiru, aus "Sailor Moon S")


Glossar:
- Shojo Manga: jap. Mädchencomic
- "Shojo Ai": wörtl. "Mädchenliebe", Pseudojapanisch für: lesbische Liebe im jap. Comic
- eigentlich: "Yuri": jap. "Lilie", der Begriff existiert mind. seit den 70ern, "Yuri-Zoku" ( "Stamm der Lilien") wurde parallel zu "Bara-Zoku" ( "Stamm der Rosen" = Schwule) verwendet.




Sailor Moon, oder: "Das besprechen wir später im Bett."


Anfang der 90er lästerte der Chef von Naoko Takeuchi, man könne doch mal einen Comic über Schülerinnen zeichnen, die sich in Superheldinnen verwandeln. Sie tat genau das, und schuf damit eine der erfolgreichsten und langlebigsten japanischen Comicfiguren: Sailor Moon.
Die Schülerin Bunny Tsukino begegnet der Katze Luna, die ihr enthüllt, dass sie Wirklichkeit die Superheldin Sailor Moon ist. Im Laufe der Zeit trifft sie weitere Mädchen, die sich als Sailor Venus, Sailor Mars, Sailor Merkur etc. herausstellen (und, wie wir zugeben müssen, Mamoru/ Tuxedo Mask, in den sie sich verliebt).
Die frühen Abenteuer sind noch konventionell gestrickt, obwohl die Autorin bereits hier unkommentiert Bilder wie (Abb.) einstreut. Bei den Fans wurde es allgemein üblich, über Liebesbeziehungen zwischen den Sailor- Kriegerinnen zu spekulieren.
Aber dann stiessen die wunderbaren Sailor Uranus (alias Haruka Tennoh) und Sailor Neptun (alias Michiru Kaioh) zu der Truppe. Haruka ist eine typische Butch, die Autorennen fährt und sich einen Spass daraus macht, Heteromädchen zu beflirten. Michiru ist Violinistin und Malerin, und die beiden lernen sich auf einer Kreuzfahrt näher kennen (Hach!). Sämtliche Sailor- Kriegerinnen verlieben sich in Haruka, Bunny lässt sich sogar vor ihr küssen, als ihr Freund Mamoru grade mal weg ist.
Als wären damit alle Dämme gebrochen, führt Takeuchi immer mehr "queere" Charaktere ein: Z.B. die "Sailor Starlights", ein Kriegerinnen- Trio, das seine irdische Existenz als Boygroup (!) bestreitet und ansonsten seine verlorene Prinzessin sucht:

"Deinen Duft, immer habe ich ihn gesucht.
Höre meine Stimme, wie sie nach dir ruft:
"Ich liebe dich!" Wo magst du jetzt sein, Prinzessin des Mondlichts?
Meine Prinzessin, antworte mir! Schon bald!"
(The Three Lights)

Auch auf der Feindseite wimmelt es von Genderbendern, z.B. der süsse Fischauge, der in Frauenkleidern Mamoru nachstellt.
Bei den jungen Sailor Moon- Fans hat sich inzwischen eine Art Subkultur gebildet und man liest häufig in Kleinanzeigen "Haruka sucht ihre Michiru".



Shojo Manga- wörtl. "Lustige Bilder für kleine Frauen"

Die ersten Romane der Weltgeschichte wurden um das Jahr 1000 von japanischen Hofdamen geschrieben. In der damaligen Adelsgesellschaft galt bisexuelles Verhalten als normal. Viele Elemente des heutigen Shojo Manga, wie Geschlechtswechsel, Blumensymbolik oder assoziative Handlung, finden sich interessanterweise bereits in den höfischen Romanen, z.B. in "Die vertauschten Geschwister".
Ein Gedicht stellte doppeldeutig fest:

Die Hofdamen spielen
immer wieder gerne
Das Muschelzusammenlegen*

(*"Muschelzusammenlegen" ist japanisches Memory.)

Heute werden in Japan mehr als 470 Millionen Mangas pro Jahr gedruckt. Es gibt sie für alle Altersgruppen vom Kleinkind zum Greis, für alle sozialen Gruppen vom Büroangestellten zum Punk. Die Zuordnung zu einem Geschlecht verwischt sich in den letzten Jahren.
Bis in die 70er wurden die meisten Comics, wie im Westen, von Männern gezeichnet. Ein früher Vorläufer des Shojo Manga war "Ribon no Kishi" von Tezuka Osamu, dem "japanischen Walt Disney". Der von der Takarazuka- Revue (siehe Januar- Lespress) inspirierte Comic handelt von einer Prinzessin, die als Prinz lebt, um ihr Reich zurückzuerhalten.
In der 70ern eroberten progressive junge Zeichnerinnen mit Themen wie Geschlechtwechsel und Homosexualität den Shojomarkt. Am bekanntesten ist Ryoko Ikeda, deren Klassiker "Berusai no Bara" ( "Die Rose von Versaille") noch heute von Takarazuka als Revue aufgeführt wird: Die Adelige Oscar lebt während der Französischen Revolution als Mann und verteidigt Marie Antoinette. Die hier nur angedeuteten lesbischen Elemente formulierte Ikeda in ihren nächsten Mangas aus.
Shojo Manga haben einen grossen Einfluss auf andere Kulturprodukte genommen, z.B. auf den Roman "Kitchen" der jungen Autorin Banana Yoshimoto.
Seit den 90ern hat Japan, ähnlich wie westliche Länder, einen "Lesbenboom" in den Medien erlebt. Hinzu kommt eine traditionell tolerantere Einstellung: Homosexualität war nie strafbar. Ein schwuler Mann sagt: "Ich musste nie befürchten, meinen Job zu verlieren, weil ich schwul bin, ..ich habe nie jemanden getroffen, der im Gefängnis war, weil er schwul ist...es gibt hier keine religiösen Vorstellungen von der Homosexualität als Sünde, welche dann Selbsthass erzeugen.." (aus: Queer Japan) "...solange die Sexualpraktiken einer Person nicht die Institutionen Ehe und Haushalt stören oder hinterfragen, erlaubt ...die japanische Gesellschaft eine grosse Bandbreite sexuellen Verhaltens." (J. Robertson) " Diese Toleranz gilt sogar für homosexuellen Sex, der, obwohl nicht darüber gesprochen wird, in Japan leicht zu haben ist." (M. McLelland)
Aufgrund der Struktur des Japanischen ist es manchmal schwer, das Geschlecht einer Comicfigur festzustellen. Oder es wechselt ständig: Im Manga "Ranma _" wird der Protagonist jedes Mal zum Mädchen, wenn er mit Wasser in Berührung kommt...
Die hier vorgestellten Serien sind nur ein Bruchteil der in Japan erhältlichen Yuri, Shonen Ai (schwule) oder Genderbender Manga.


"Mann oder Frau, was kümmert’s mich, ich bin soderso kein menschliches Wesen!" — Card Captor Sakura

Eine der schönsten Yuri- Serien ist Card Captor Sakura vom 4-köpfigen Zeichnerinnenkollektiv Clamp. Die Serie, die wie Sailor Moon für kleine Mädchen von 8 —12 Jahren konzipiert ist, handelt von Sakura, die mit Hilfe ihres Plüschtiers magische Karten einsammelt. Dabei wird sie von ihrer Freundin Tomoyo und ihrem Bruder Toya unterstützt. Klingt ganz normal, wenn da nicht...in Band 2 Tomoyos Mutter auftauchen würde, die in ihrer Jugend mit Sakuras Mutter ein Verhältnis hatte. Kurz darauf gesteht Tomoyo, dass sie Sakura liebt. Doch das ist erst der Anfang: Sakura verknallt sich in Yukito, den Geliebten ihres Bruders und in ihre junge Lehrerin Mizuki Kaho. In Band 5 kulminiert die Handlung während einer Schultheatervorstellung, bei der Sakura den Prinzen spielt. Es gelingt ihr, die Zauberkarten "Licht" und "Dunkelheit", die beide weiblich sind, zu vereinigen.
Die Leserin fragt sich, wie die Autorinnen mit dieser Geschichte bei ihrem Verlag durchgekommen sind. Und tatsächlich setzt ab Band 7 so etwas wie eine Zensur ein: Liebesgefühle werden halbherzig als magische Energiephänomene (weg?) erklärt und Sakura mit dem kleinen Magier Li Shaolan verkuppelt, der ebenfalls in Yukito verliebt war. Aber so einfach geben sich die Autorinnen dann doch nicht geschlagen: Ein geschlechtwechselndes Wesen (siehe Überschrift) erscheint und stellt Toya nach, der aber Yukito treu bleibt. Und auch die Liebe zwischen Tomoyo und Sakura wird immer wieder aufgefrischt.
In allen Serien von Clamp tauchen homosexuelle Haupt- oder Nebencharaktere auf. Ein besonderes Experiment wagten sie mit dem erotischen Manga "Miyuki- Chan in the Wonderland". Miyuki gelangt in ein phantastische Welt, die ausschliesslich von Frauen bewohnt wird, die ihr alle an die Wäsche wollen...


"Willst du mein Handtuch benutzen, Utena?"- Revolutionary Girl Utena

"Die" femistische Serie schlechthin: Die rosahaarige Utena beschliesst, nicht auf ihren Prinzen zu warten, sondern selbst einer zu werden, um Prinzessinnen zu beschützen. In ihrer Schule, dem surrealen Ohtori Internat, trägt sie deshalb die Jungensuniform. Beim Baskettball schlägt sie alle Jungen und wird von den Mädchen angehimmelt (siehe Überschrift). Besonders Wakaba hängt an ihr. Eines Tages sieht sie, wie die lilahaarige Anthy von einem Schüler misshandelt wird. Da der später auch Wakaba demütigt, fordert Utena ihn zum Duell und wird so in die geheime Welt der Duellistengesellschaft gezogen: Der jeweilige Champion erhält als Preis Anthy. Utena gelingt es, den Champion zu schlagen...In weiteren Rollen: Das Lesbenpaar Yuri (!) und Shiori und einige Schwule.
Die Zeichnerin Chiho Saitoh hat "Utena" als Antwort auf "Rose von Versailles" konzipiert. Regie bei der Utena- Fernsehserie führte übrigens Kunihiko Ikuhara, der auch für die Sailor Moon Serie verantwortlich war.
Beim düsteren Utena- Kinofilm geht’s noch deutlicher zur Sache: Anthy ist nicht mehr so passiv und zieht Utena innerhalb der ersten zehn Minuten zu sich ins Bett. Am Ende gibt’s das berühmt-berüchtigte (weil angeblich schwer zu verstehende) Happy-End. Utena verwandelt sich in einen pinkfarbenen Rennwagen (!) und wird von Anthy auf der Flucht in die "Reale Welt" gesteuert. In der letzten Szene liegen die beiden nackt auf den Resten des Autos und küssen sich.

Uli Meyer


Vorgestellte Manga und TV-Serien (in Comicbuchläden erhältlich):

Sailor Moon von Naoko Takeuchi:
- Manga, 18 Bände, Feest
- Zeichentrickserie, auf RTL oder VHS
- Heftserie (zweiwöchentlich), Egmont

Card Captor Sakura von Clamp:
- Manga, 12 Bände, Egmont Manga und Anime

Revolutionary Girl Utena von Chiho Saitoh:
- Manga (leider nur japanisch)
- TV Serie (deutsch), VHS
- Spielfilm (engl.) DVD

Yuri im Netz:
www.yuricon.com (engl.)
 
   
   
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