Warum auch?  
 
Die andere weiß, dass ich seit einem Jahr in einer festen Beziehung lebe. Dennoch läd sie mich zum Essen, ungewöhnlicherweise zu einem Nachtmahl um Null Uhr, bei ihr ein. Mein Bauch füllt sich. Mein Kopf leert sich. Mein Herz teilt sich.
Je länger ich sie ansehe, wie sie das Weinglas hält, die große Kartoffel mit dem Messer teilt und den cremigen Dip darüber streicht, humorvoll über Literatur und letzte Szene-Erlebnisse plaudert, desto weniger höre ich auf meinen Verstand. "Das wird nur Ärger geben" flüstert er.
Nach dem Essen sollte ich fahren. Doch ich fahre nicht. Ich habe gerade soviel getrunken, daß ich noch fahren könnte, wenn ich müsste, aber schon sagen kann, ich dürfte eigentlich nicht mehr fahren, jetzt, da ich doch mehr getrunken hätte als ich wollte. Durchschaubarer Unsinn. Wenn man will.
Noch bevor ich es ausspreche, lächelt sie. Sie will es nicht durchschauen und bemerkt gedankenlesend, ich hätte vielleicht doch zuviel getrunken, um noch mit dem Auto zu fahren, und wenn mir ein Taxi nun zu umständlich sei, könnte ich auch "hier" übernachten. Hier. Diese Wohnung. Ich bin gern in fremden Wohnungen zu Gast, sie sind ein Spiegel des Charakters, ein Abbild des Geschmacks, ein Barometer für das Seelenleben der Bewohner. Ihre Wohnung ist in den Farben Blau, Orange, Schwarz, in Stahl, Holz und Glas eingerichtet. Am liebsten wache ich morgens allein in fremden Wohnungen auf, die Frau der letzten Nacht ist ins Büro geeilt oder holt Brötchen, und ich habe vertrauensvoll ein Verweilen geschenkt bekommen, unbeobachtet, aber beobachtend und hörend. Die Stimmen der Nachbarn, der laute Fernseher nebenan, der das morgendliche Action-Kinderprogramm durch das halbe Haus plärrt, die Geräusche der Straße, die durch das Kippfenster dringen, ein Stapel älterer Tageszeitungen, sie liest Amica, die Zeit und den Stern, sie hört Dead Can Dance und Madonna, sie benutzt Egoiste von Chanel, es liegt ständig in der Luft, als hätten gar die Möbel den Geruch angenommen. Ihre Katze schaut mich musternd an, bevor sie schmust. Im Kühlschrank vertrocknet Lauch, es lässt sich Magerquark und Brombeermarmelade von ihrer Großmutter finden.
"Habe ich etwas verpasst ?" raunt sie mir hinterrücks ins Ohr. Einen Moment lang fernab der Umwelt, habe ich ihr Kommen nicht gehört. Dafür habe ich letzte Nacht ihr Kommen gehört. Es klingt immer wieder in Bildern und leisen Tönen in mir nach. Bezaubernd. Geil. Sanft. Sie will dann keinen Laut von sich geben und beißt sich selbst eher zärtlich auf die Unterlippe, aber in ihren grünen Augen sehe ich die Leidenschaft, gefesselte Leidenschaft, wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte. "Warst du sonst treu ?" fragt sie mich. Zögernd erkläre ich: "Einmal bei meiner ersten großen Liebe, aber sie betrog mich mit einem Mann. Und bei meiner letzten großen Liebe, aber diese meinte, es sei besser, wenn ich mich auch woanders auslaste, denn ich wäre zuviel für einen Menschen allein". Wie seltsam solche Kurzfassungen klingen, im Verhältnis zu den Dramen, die dahinter stehen.
"Sag es Deiner Freundin nicht", lächelt sie. Überrascht bedanke ich mich für diese unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Sie hat mir ein Geschenk gemacht, das ich in meiner Seele tragen werde. Es ist unabhängig von allem.
Wir frühstücken. Ob wir bald wieder frühstücken werden, weiß keine von uns.
Warum auch?


Bettina Mankowski



 
   
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