Rita Mae Brown  
 


Rita Mae Brown, 1944 in Hanover (Pennsylvania) geboren, ist in Deutschland seit den 70er Jahren durch ihre Romane bekannt. Seit einigen Jahren schreibt sie mit ihrer Tigerkatze Sneaky Pie Mrs. Murphy Krimis. Auch im sechsten Fall gerät das beschauliche Crozet (Virginia) aus den Fugen. Was mit einer Todesanzeige in der Zeitung beginnt, wächst sich zu einer Mordserie mit Intrigen, falschen Geständnissen und Drohungen aus. Bis Mrs. Murphy ermittelt. Ein Buch für all jene, die gerne lesen, was Tiere denken und sagen. Maria Machnik plauderte mit Rita Mae Brown über ihre Arbeit, Privates und ihre Sicht der Dinge.


? Es gibt einige Passagen in ihrem Krimi "Tödliches Beileid" - die ungewollt schwangere Judy, das Drogenproblem, die pornographischen Videos - in denen ein sozialkritischer Unterton mitschwingt. Ist es gewollt, sind sie tatsächlich Ausdruck Ihrer Kritik?
! Ehrlich gesagt nein. Ich denke, das Leben ist absurd. Und man liest tagtäglich über all das in amerikanischen Zeitungen. Es ist ein Teil des Ganzen. Das Buch ist sogar alles andere als sozialkritisch.


? Und die Tiere? An manchen Stellen wirkt es so, als ob sie die Menschen fast schon mit dem erhobenen Zeigefinger belehren - nach dem Motto "Ihr solltet euch lieber so benehmen, lieber das und das tun". Welche Rolle spielen die Katze Mrs. Murphy und ihre vierbeinigen KollegInnen?
! Sie halten den Menschen den Spiegel vor, sie zwingen sie, sich ins Gesicht zu sehen. Was die Menschen letztendlich sehen, bleibt ihnen überlassen. Ich möchte keine Richtung vorgeben, weil ich denke, dass man niemanden in eine bestimmte Richtung lenken kann. Die Menschen müssen das selbst herausfinden.
Aber ich finde auch, dass die Menschen sehr komisch und absurd sind. Man geht auf die Straße und sieht ein Kind mit pinkfarbenen Haaren. Und es kommt sich so cool vor. Irgendwann wird es erwachsen sein, einen Job suchen. Dann warís das mit den pinkfarbenen Haaren oder mit dem Job. Oder man sieht eine dicke Frau, die versucht, jung zu wirken. Das ist einfach komisch.


? Sie haben über die verschiedensten Themen geschrieben - einen historischen Roman über die Frau des vierten Präsidenten, der kurz nach der Unabhängigkeitsbewegung spielt, über Lesben und Feminismus. Was bewegt Sie dazu, ein Buch zu schreiben? Was inspiriert Sie?
! Alles. Alles interessiert mich. Aber ich habe auch ein kleines Buch, wo ich mir Dinge aufschreibe. Man könnte einen Roman über einen Tag in Köln schreiben. Und das wäre wunderbar. Nur dafür müsste ich einen ganzen Tag hier sein, was nicht geht. Diese Stadt schreit danach, in einem Roman thematisiert zu werden.


? Sie sagen, Sie hätten den Stoff für die nächsten sieben Bücher schon im Kopf und ihre Katze und Co-Autorin Sneaky Pie sogar für die nächsten zehn Jahre. Welches Thema interessiert Sie denn momentan am brennendsten, wofür Sie bereit wären, die Mrs. Murphy Krimis ruhen zu lassen?
! Oh, meine Bücher sind anderes als die von Sneaky Pie (Anmerkung: Rita Mae Brown betont immer wieder, dass ihre Katze verantwortlich für die Krimis ist). Doch das Thema, das mich am meisten interessiert ist: Was ist das Individuum und was ist die Gesellschaft. Man weiß es nie, es ist so veränderlich. In Kriegszeiten beispielsweise sollte man alles für die Gemeinschaft opfern. Ist die Krise vorbei, kann man sich wieder mehr seinem Individualismus überlassen. Das ist eine sehr interessante Frage.


? Sie mögen die Frage, ob ein Buch autobiographisch ist, absolut nicht. Dabei haben Sie sehr offen über private Momente Ihres Lebens geschrieben, wie Ihre Beziehung zu Martina Navratilova. Haben offen über ihr Lesbischsein gesprochen, sind wegen Ihres Engagements für die Lesben- und Frauenbewegung sogar vom College geflogen. Warum mögen Sie diese Frage nicht?
! Aus einem Grund: Wenn man ein Buch schreibt, dann kann man nicht definitiv sagen, ob eine Stelle autobiographisch ist. Man kann nicht sagen, wo das Autobiographische anfängt und wo es aufhört. Alles vermischt sich. Ich könnte keine klare Linie ziehen und sagen "das ist autobiographisch". In meiner Autobiographie kann ich das sagen, aber nicht in einem Roman.


? Sie waren politisch sehr aktiv, sind für die Anerkennung von Lesben und Schwulen auf die Straße gegangen, haben sich für die Schwarzen eingesetzt. Welche Rolle spielt das Politische, spielt der Kampf heute in Ihrem Leben? Sind Sie immer noch aktiv?
! Ja, allerdings meistens im Wahlkampf. Ich gehe dafür aber nicht mehr auf die Straße. Das macht niemand mehr. Ich setzte mich dafür ein, dass bestimmte Leute gewählt werden (wen sie damit meint, lässt sie sich nicht entlocken). Das geniesse ich.


? Und was ist in Ihren Augen aktuell das größte Problem?
! Geld, und das weltweit. Da ist diese riesige Kluft zwischen Reich und Arm, auch bei uns in den USA. Nicht so sehr in Deutschland. Wir müssen diese Kluft schließen, weltweit. Denn das Problem wird sich in diesem Jahrhundert noch verschärfen. Millionen Menschen werden geboren in Ländern, die nicht einmal genug Nahrungsmittel haben. Es wäre gut, wenn es dort eine Geburtenkontrolle gäbe. Dieses Thema wird uns auf kurz oder lang alle angehen. Das macht mir Angst und es würde uns nicht schaden, wenn wir es nicht auf die lange Bank schieben. Wasser wird ein weiteres Problem sein. Wir (sie spricht von sich und ihrer Begleiterin Dana) leben in einem Staat, in dem es sehr viel Wasser gibt. Aber ich sehe schon den Tag, an dem ich eine ältere Dame bin (sie lacht schallend) und andere Staaten versuchen, an unser Wasser zu kommen. So wie in der Sierra Nevada, wo das Wasser nach Los Angeles umgeleitet wird.


? Sie leben zurückgezogen auf einer Farm in Charlottesville, Virginia. Was begeistert Sie so sehr am Landleben?
! Ich bin auf dem Land geboren und aufgewachsen. Es ist für mich ganz normal. Mein leiblicher Vater kam aus Virginia. Und Virginia ist einer der schönsten Plätze der Welt. Teile des Staates sind so schön, dass sogar eine Frau aus Massachusettes (sie lächelt Dana an) zu uns kommt, bei uns lebt. Ich mag Städte nicht besonders. Ich lebe nur dort, wenn ich es muss.


? Wie sieht Ihr Arbeitstag aus?
! Sehr geschäftig. Ich setze mich an den Schreibtisch und arbeite, schreibe. Ich muss es tun, es ist mein Job. Aber ich geniesse es auch sehr. Wenn man keine Disziplin hat, bringt man es zu nichts. An einem richtig guten, produktiven Tag, stehe ich um 5.30 Uhr auf. Das ist aber auch der ideale Tag. An einem weniger guten Tag stehe ich zwischen 6.30 und 7 Uhr auf. Aber das bringt mich aus dem Rhythmus. Zuerst füttere ich die Tiere, dann gehe ich an die Arbeit und versuche, mein Pensum zwischen 11 oder 12 Uhr erledigt zu haben. Das ist meine kreative Phase, später werde ich zu müde. Danach gehe ich nach draußen, erledige nach Möglichkeit auch meine Telefonate im Freien, gehe in den Stall... Auf einer Farm ist immer viel zu tun, damit sie läuft. Wenn es sich vermeiden lässt, schreibe ich niemals abends.


? Sie sagen von sich, dass Tiere Ihre Leidenschaft sind. Weil Sie zu ihnen schneller eine emotionale Beziehung aufbauen als zu Menschen und besser mit ihnen reden können. Sie haben auch schon mal gesagt, Sie verlieben sich nicht gerne, weil es Ihnen zu anstrengend ist (die Frage ob sie derzeit verliebt ist, beantwortet sie mit einem Lächeln). Zurückgezogen hin oder her, Sie haben dennoch Menschen um sich. Welche Charaktereigenschaften schätzen Sie an Ihnen?
! Sinn für Humor und Mitgefühl. Es ist schwer, mit Menschen zusammen zu sein, die kein Mitgefühl haben - weder für andere noch für Tiere. Und dann kann ich Menschen nicht ertragen, die kein Empfinden für Tiere haben. Ansonsten nehme ich die Menschen wie sie sind. Ich sehe sie als nicht perfekte Katzen. Ich halte es mit dem Satz von Sartre "Die Hölle, das sind die anderen."


? Apropos Tiere: Wenn Sie Tiere so sehr lieben, warum begeistert Sie das Jagen so? Und wie viele Leute reiten aus?
! Das Jagen ist sehr aufregend. Wir töten den Fuchs ja nicht. Er ist so viel cleverer als wir Menschen, er führt uns an der Nase herum, macht Jäger und Pferde zum Narren. Dana ist der wahre Pikör (eine Art Vorreiter) und ich bin der Jagdmeister. So müssen wir beide arbeiten. Wie viele ausreiten, kommt auf den Tag an. Manchmal sind es 100. An einem normalen Wochenende 30 bis 35. In der Saison - Mitte September bis Mitte März - jagen wir zweimal in der Woche. Wenn es das Wetter erlaubt. Man muss hart im Nehmen sein.


? Auf Ihren Lesereisen lernen Sie einiges kennen. Was beeindruckt Sie an Europa? Und was mögen und hassen Sie an diesen Reisen?
! Ich kann nicht für ganz Europa sprechen. Ich war in Holland, England Frankreich und Deutschland. Aber ich würde gerne mal nach Norwegen reisen, weil ich einige Freunde dort habe. Und nach Schweden, weil ihre Familie (Blick zu Dana) aus Schweden kommt. Ihre Großeltern kamen mit dem Schiff nach Amerika. Vieles beeindruckt mich hier. Beispielsweise die Architektur, die Tatsache, dass da ein Gebäude aus dem 11. Jahrhundert steht. Und der Reichtum in Nord-Europa. Ihr seid alle so reich, ihr wißt gar nicht, wie reich ihr seid. Es ist überwältigend, man geht in die Städte und sieht all das Geld. Das hat zwar nichts mit Kultur zu tun. Ich könnte auch über die Literatur und die Kunst reden. Aber ich rede über das Hier und Heute, das, was man sieht. Die Leute sind gut angezogen und haben neue Autos, fast überall. Wissen Sie, wie teuer ein neues Auto ist? Mein Gott, das ist beeindruckend. Und man sieht keinen Schmutz auf der Straße. Positiv wie negativ beeindruckt mich, dass alles sehr dicht bebaut ist, die Menschen viel weniger Raum haben. Sogar vom Flugzeug aus kann man überall Menschen sehen. Das ist in Amerika nicht so. Ja, und sehr beeindruckend ist das Bildungsniveau. Anders als in Amerika. Dort sind die Menschen über die Politik im Inland gut informiert. Nicht jedoch über das Ausland. Auch aus den vermeintlich guten Zeitungen, wie der New York Times erfährt man über Südafrika und Simbabwe beispielsweise so gut wie nichts. In der Beziehung sind wir rückständig. Ich bekomme meine Informationen aus dem Manchester Guardian, den ich mir schikken lasse. Viele merken nach wie vor nicht, dass sie das wissen sollten, weil sie denken, dass unser Land so groß und mächtig ist. Und was ich an den Reisen liebe? Ich liebe es, meine LeserInnen zu sehen, mit ihnen zu reden. Doch ich hasse es, dass ich immer krank werde, jeden Virus einfange, der im Flugzeug ist. Außerdem bekomme ich immer Heimweh und vermisse meine Tiere...

photo:sigrid estrada, rohwolt verlag

 
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