Tanja Ries  
 

Sie singt Chansons, schreibt ihre eigenen Texte und hat in Berlin ihr eigenes Varieté-Programm kreiert, Tanjas Nachtcafé. Sie organisiert die derzeit angesagtesten Lesbenparties Berlins, die "Diven Attacks". Im Februar steht sie mit ihrem neuen Konzertprogramm "Nahweh" auf der Bühne. Es ist die ungewöhnliche Karriere einer Autodidaktion, die sich selbst als postmoderne Diva schuf.


Zerbrechlich wie eine Elfe steht sie auf der Bühne. Sie trägt ein glitzerndes Paillettenkleid und golden schimmernde Flügel. Tanja Ries wirkt, als sei sie einem ihrer Chansons entsprungen. Lieder, die von Orangenbären handeln, von Roter Liebe und Kolibris, die über die Spree fliegen. Einen ganz eigenen, märchenhaften Kosmos hat sich die 31-jährige in ihren Texten geschaffen.
Auch das Nachtcafe, das sie jeden Sonntagabend veranstaltet, ist ihre eigene Kreation. Dann herrscht in der Kalkscheune, einem Club in Mitte, Salonatmosphäre. Rote Samtvorhänge verhüllen die Fenster, das Publikum sitzt bei Kerzenlicht an kleinen, runden Tischen. Tanja Ries, diese zarte Erscheinung, hält hier die Fäden in der Hand, ganz unauffällig und ziemlich straff. Sie führt durch das Programm, das als Wundertüte konzipiert ist.
Denn meist ist es eine Überraschung, welche KünstlerInnen an dem Abend auftreten. Das Programm ist immer eine ungewöhnliche Mischung aus Varieté und Cabaret: eine Kabarettistin liest ihre Texte, eine Tänzerin wirbelt mit Lichtstäben über die Bühne, eine Chansonette singt ihre Lieder und ein Komiker bringt den ganzen Saal zum Lachen. Und stets trägt Ries auch einige ihrer eigenen Lieder vor, begleitet von dem Pianisten Florian Grupp und dem Cellisten Sonny Thet. Der aus Kambodscha stammende Musiker steht an diesem Abend zum ersten Mal mit seinem Sohn auf der Bühne, einem jungen Gitarristen und Sänger. Später bittet Tanja Ries einen Musiker die Bühne, der eben noch am Tresen Bier gezapft hat. Es ist nicht zuletzt diese familiäre Atmosphäre, die das Nachtcafe so liebenswert macht.
Mit dem herkömmlichen Varieté hat das, was Tanja Ries geschaffen hat, wenig zu tun. Im benachbarten Friedrichstadtpalast, dem Variete-Tempel Berlins, ergötzen sich Busladungen von älteren Ehepaaren daran, wie kurzberockte Damen synchron die Beine schwingen. "Es gab nur diese lauten, knallbunten Variete-Programme, wo alles lustig war und wo es selten um Ruhe, Tiefe oder andere Inhalte als Unterhaltung ging. Das hat mich total genervt. Ich habe dort auch keinen Platz gefunden," sagt Ries. Sie wollte kein Variete, das auf Effekte setzt, denn das habe nichts mit "Seele berühren" zu tun. Und nicht weniger als das möchte sie bei ihrem Publikum bewirken. Denn sie selbst genieße es sehr, wenn ihre Seele berührt werde, sagt sie und das könnte viel öfter passieren. Sätze, die leicht kitschig wirken könnten, doch Tanja Ries spricht sie mit einer Natürlichkeit aus, die keinen Zweifel aufkommen lassen, dass dies zu ihrer Lebensphilosphie gehört.
Mit dem Nachtcafé hat Tanja Ries sich einen eigenen Ort geschaffen und sich selbst als postmoderne Diva. Eklektizistisch greift sie sie auf unterschiedliche Traditionen zurück und fügt sie zu etwas Neuem zusammen, in ihren Nachtcafé-Programmen wie ihrer Musik. Mal baut sie collagenartig lateinamerikanische Klänge in ein Stück ein, mal zitiert sie in einem ihrer Lieder die berühmte Textzeile eines Marlene-Dietrich Songs, "Wer wird denn weinen, wenn es auseinandergeht, wenn an der Ecke schon der nächste steht."
Seit sie vor fünf Jahren das Nachtcafé ins Leben rief hat sie zwei CDs mit ihren Chansons produziert. "Ein vertrauliches Konzert" hat sie die erste genannt, auf der sie melancholische Lieder über die Liebe oder genauer gesagt, das Liebesleid singt. Leichtfüssiger und poppiger kommt ihre zweite CD "Kurz bevor es geschah" daher.
Es ist eine ungewöhnliche Karriere, denn als Tanja Ries Anfang der 90er Jahre aus Pforzheim nach Berlin kam, hatte sie kaum Bühnenerfahrung: zwei, drei Auftritte mit einer Swingband, die bei Hochzeiten aufspielte, das war alles. Sie hatte keine Gesangsausbildung und bis heute nimmt sie allenfalls sporadisch Unterricht. Dass sie keine ausgebildete Stimme hat, ist durchaus zu hören, doch ihre Chansons vertragen das. Sie sind eben nicht glatt, ebensowenig wie das Leben, das Tanja Ries besingt.
"Ich bin wegen einem Fotojob nach Berlin gekommen. Der ist geplatzt, also habe ich gesungen", sagt sie, als sei dies das selbstverständlichste von der Welt. Doch ohne den
Freiraum, den ihr das Berlin der frühen 90er Jahre bot, wäre eine solche Karriere kaum denkbar gewesen. Es war die Zeit kurz nach dem Mauerfall. Im Ostteil der Stadt verwandelten (Lebens-)KünstlerInnen leerstehende, abbruchreife Häuser in - meist illegale - Clubs. Dazu zählte auch der "Bunker", wo Tanja Ries bei Dr. Seltsam im Club Existenzialist auftrat, eine Sonntagnachtshow, die Ries zum Nachtcafe inspirierte. Es waren chaotische Zeiten. "Es gab kein ordentliches Programm. Du bist hingekommen, keiner wusste, ob zwei Künstler da sind oder zehn. Es gab nur einen Zettel mit der Reihenfolge, in der alle auftraten", sagt Ries. Trotzdem hat sie dort "wahnsinnig viel gelernt."
Über ihren Mut, sich einfach so auf eine Bühne zu stellen, sagt sie rückblickend: "Ich glaube, das ging nur aus einer gewissen Naivität heraus, aus dem Nicht-Wissen."
Anfangs sang sie Chansons und Jazzstandards aus den 20er und 30er Jahren, merkte aber schnell, dass sie mit den Inhalten nicht viel anfangen konnte. Auch das klassische Erscheinungsbild der Diva ließ sie bald hinter sich: vorbei die Zeiten, in denen sie mit roten, langen Haaren auf der Bühne stand, in schwarzen, tief ausgeschnittenen Kleidern, immer ein Glas Wein in der Hand. Der Wandel zur femininen Diva mit einem Touch Androgynität hing mit ihrer persönlichen Entwicklung zusammen. "Das war ein sehr großer Bruch in meinem Leben. Das hatte sehr viel damit zu tun, das ich mich in Lesbenkreisen bewegt habe, dass ich mit Aisha zusammengewesen bin.
Für Tanja Ries ist Modedesignerin Aisha Osterburg "eine ganz wichtige, kreative Kraft in meinem Denken". Osterburg hat einige Bühnenoutfits entworfen und berät Tanja Ries auch, wenn Plakate für die neue Show entworfen werden. Seit einem Jahr organisieren die beiden die derzeit besten Lesbenparties Berlins, die "Diven Attacks". Alle zwei bis drei Monate verwandelt sich die Kalkscheune in den angesagtesten Lesbenclub der Stadt. Die Musik reicht von House und Disco-House bis zu Techno; Lichtbilder werden auf die Wände projeziert, Gogo-Girls tanzen; und wer es ruhiger mag, kann sich in eine separate Lounge zurückziehen. Die Diven Attacks entstanden, weil das lesbische Nachtleben zu wünschen übrig ließ. "Aisha und ich sind abends ausgegangen und waren oft genervt oder gelangweilt. Wir dachten, wir können doch nicht die einzigen sein, die was anderes wollen. Also versuchen wir das jetzt." Ein wenig glamouröser sollte es zugehen, die Musik am Puls der Zeit, eben eine Veranstaltung für die "moderne Großstadtdiva."
Nach dem Erfolg der Diven Attacks haben sie im November die wöchentliche Lesben-Lounge "micro-test" eröffnet. Donnerstags legen im Basement der Kalkscheune wechselnde DJanes auf, das Spektrum reicht von future-jazz bis zu experimental house.
So richtig genießen können die beiden HauptorganisatorInnen ihre eigenen Parties allerdings nicht. Zu sehr hat Tanja Ries im Blick, "ob mich jemand braucht". Das "Mutter-Erde-Syndrom", sich um alles zu kümmern, habe sie wohl von den Frauen in ihrer Familie. Ihre Mutter und ihre Großmutter hatten ein Friseurgeschäft. "Ich bin damit groß geworden, das die Frauen das getragen und gehalten und organisiert haben."
Die Offenheit, mit der Tanja Ries künstlerische und musikalische Einflüsse aufnimmt, spiegelt sich auch in ihrem Privatleben. "Wenn jetzt die Lesbe an und für sich gesucht wird, ich bin es nicht und ich habe auch keine Lust, diesem Klischee zu dienen. Deswegen sageich dann, hallo, ich bin bisexuell." Im Moment lebt sie mit einem Mann. "Ich lebe einfach und verliebe mich in Menschen," sagt sie. Es sei an der Zeit, sich nicht mehr nur über Kategorien zu definieren. Und doch spricht sie von einem Spagat. "Jetzt habe ich mich verliebt und muß mich mit Sachen auseinandersetzen, wo ich eigentlich gar keinen Bock mehr dazu habe."
Derzeit probt sie mit ihren Musikern Sonny Thet und Florian Grupp für ihr neues Konzertprogramm "Nahweh", das am 10. Februar im "Tränenpalast" Premiere hat. Ries will sich in dem Programm weniger als Chansonnette präsentieren denn als Musikerin. "In meinen vorherigen Konzerten bin ich ganz klar vom Cabaret gekommen und habe auf der Bühne eine Rolle erfüllt, die sehr viel mit mir zu tun hat, die aber immer noch eine Rolle war."
Sie hat sich einen Drumcomputer gekauft, erzählt sie begeistert und witzelt, dass sie mehr Anerkennung bekomme, seit auch sie auf der Bühne mit Kabeln "herumstecken" muß. Auch in dem neuen Musikprogramm mischt Ries wieder verschiedene Elemente: "Es gibt Bilder, eine Lichtgestaltung, Live-Videoprojektionen, Soundcollagen." Und so sehr Ries an ihrer Transformation zur Musikerin arbeitet, so versichert sie doch, "Das heißt nicht, dass ich keine Geschichten mehr erzählen werde."


Dorothee Winden, Photos: Birgit Michaelis


Kontakt:
rampensau, Gubener Str. 47, 10243 Berlin, 030-29449760

Diven Attacks und Microtest
in der Kalkscheune, Johannisstraße 2 in Berlin-Mitte

Das neue Soloprogramm
im
Tränenpalast: 10.-12. Februar, 16.-19. und 23. bis 26. Februar
Kartenvorbestellung: 030/20 61 00 13
 
 

 
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