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Mit
2 Romanen, 3 Erzählbänden sowie weiteren Erzählungen, in denen sie
"funkelnd ironisch bis liebevoll spöttisch" (Berliner Lesbenpresse)
lesbische Lebensweisen schildert, hat Marlene Stenten einen wichtigen Beitrag zu
Lesben in der deutschsprachigen Literatur geleistet.
"Ich schaue gerne in den Spiegel. Ich blecke die Wolfszähne. Ich reisse
den Wolfsrachen auf." Diese Zeilen stehen in meinem Lieblingsbuch von Stenten,
in "Albina. Monotonie für eine Weggegangene" (1986), den sie selbst
als "Abfall- oder Abdeckerroman" bezeichnet hat.
Darin schildert die Ich-Erzählerin ihre Liebesbeziehung - vom Beginn der Liebe
bis zur Trennung - mit einer feministischen Autorin, die sehr erfolgreich ist, Projekte
entwickelt und ihre Freundinnen zur Mitarbeit gewinnt. Fasziniert von der kreativen
Schaffenskraft, der Intelligenz und der Bildung ihrer Geliebten fühlt sich die
Ich-Erzählerin immer wieder auch bedroht. Sie hat Angst, keinen Raum, keine
Zeit und keine Ruhe mehr für ihr eigenes Schreiben und ihre eigenen Gedanken
zu finden. Sie befürchtet, ihre Kreativität zu verlieren und verschanzt
sich zuweilen hinter der Maske eines Kindes, spielt Streiche, schreibt in Reimen
und Wortspielen. Ihren Figuren wie sich selbst tritt die Ich-Erzählerin schonungslos
gegenüber, beobachtet genau und schildert die Verletzlichkeiten, wobei Humor
zuweilen zu Galgenhumor wird.
Marlene Stenten war 46 Jahre alt, als sie diese Lesbenliebe anfangs der 80er in grosser
Offenheit darstellte. In den weiteren Erzählbänden "Salome 89"(1983)
und "Hallo Mäuschen" (1991) schilderte sie verschiedene Situationen
und Beziehungsformen, ironisch, humorvoll, manchmal auch boshaft. Wiederholt taucht
darin ein Kindheitstrauma auf, dass mit der Liebe eines andern Menschen auch der
Anspruch verbunden wird, dafür etwas leisten zu müssen, dafür zu zahlen.
Davor hatte Marlene Stenten als Schriftstellerin und Lesbe einen weiten Weg zurückgelegt:
Im nationalsozialistischen Deutschland geboren, war sie im Krieg aufgewachsen und
wurde Anfang der 50er Jahre erwachsen. Die Ausbildung zur Buchhändlerin erkämpfte
sie sich, zog 1968 von Aachen nach Berlin und veröffentlichte mit 36 Jahren
ihren ersten Roman "Grosser Gelbkopf" (1971), der von der Literaturkritik
lobend aufgenommen wurde, ebenso wie der Erzählband "Baby" (1973).
Noch standen Frauen nicht im Zentrum ihrer Werke, und noch war sie als Schriftstellerin
im Literaturbetrieb eine Ausnahme. Marlene Stenten galt als Talent und erhielt literarische
Stipendien. Dies änderte sich abrupt, als sie ihren ersten Roman zu lesbischer
Liebe publizieren wollte: Der Luchterhand- Verlag, bei dem die ersten beiden Bücher
erschienen waren, lehnte diesen Text ab, in dem sie erstmals lesbische Liebe zum
Thema machte. Weil die Suche nach einem anderen Verlag Mitte der 70er Jahre erfolglos
blieb, publizierte "Puppe Else" (1977) schliesslich im Selbstverlag Sudelbuch.
Damit vollzog Marlene Stenten 10 Jahre nach ihrem persönlichen Coming Out auch
ihr schriftstellerisches Coming Out als Lesbe. Sie beschrieb lesbische Liebe, die
damals noch in der breiten Gesellschaft totgeschwiegen wurde und erst von Teilen
der Frauenbewegung mit kämpferischen Slogans in die Öffentlichkeit gebracht
wurde. Die Tradition von Lesbenliteratur der 20er Jahre war zu jener Zeit nicht mehr
bekannt, weshalb Marlene Stenten an diese nicht anknüpfen konnte.
Mit ihren Texten hat Marlene Stenten die Schwierigkeiten lesbischer Existenz zur
Sprache gebracht. Sie war eine mutige Pionierin und ihre Literatur war für mich
wie für weitere Lesben der Töchter-Generation von Stenten ungeheuer wichtig.
Dafür danke ich ihr von Herzen und wünsche, dass Marlene Stenten noch manch
schöner Spaziergang am Bodensee, wo sie seit zwanzig Jahren lebt, vergönnt
sei.
Madeleine Marti
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