"Nordische Minerva", "Padrona di Roma" und "hübscher Knabe":  
  Christina von Schweden  
  Die unerreichbare Schwedin Greta Garbo setzte ihr mit der Hauptrolle in "Königin Christine" (1933) ein filmisches Denkmal. Die historische Königin Christina von Schweden war eine herausragende Persönlichkeit in ihrer Zeit: Sie unterzeichnete den Westfälischen Frieden zum Abschluss des 30-jährigen Krieges, konvertierte als protestantische Herrscherin zum Katholizismus, förderte Zeit ihres Lebens die schönen Künste und die Wissenschaften und starb schließlich fern ihrer Heimat in Rom - nahezu verarmt und von Almosen des Papstes abhängig.

Das 17. Jahrhundert verdeutlicht wie kein anderes die kulturellen, territorialen und religiösen Umwälzungen in Europa im Übergang von Mittelalter zur Neuzeit. Kriege, Hungersnöte und Seuchen prägten diese Zeit ebenso wie das Entstehen und Erstarken der modernen Philosophie, mächtige Nationalstaaten formten sich und Künstler wie Rembrandts, Rubens oder Bernini führten die bildenden Künste zu höchster Blüte. Diese Epoche erlebte auch die erste gewaltige, kriegerische Auseinandersetzung, die den ganzen zentraleuropäischen Kontinent in Brand setzte und entvölkerte: Im 30-jährige. Krieg (1618-1648) zogen in immer wechselnden Allianzen protestantische gegen katholisch regierte Länder zu Felde, kämpften die aufbegehrenden Städte gegen den Kaiser und seine Verbündeten. Das endlose Ringen kostete mit all seinen direkten und indirekten Begleiterscheinungen - vorsichtig geschätzt - rund ein Drittel der europäischen Bevölkerung das Leben.
In diese Zeit hineingeboren wurde eine der bis heute schillerndsten Regentinnen: Königin Christina von Schweden. Ihr Vater, Gustav II. Adolf, hatte das calvinistisch-protestantische Schweden 1630 in den Krieg gegen die kaisertreue Katholische Liga geführt, deren Truppen unter dem Befehl der berühmten Feldherren Wallenstein und Tilly standen. Nach anfänglichen Erfolgen (Schlacht auf dem Lechfeld/Bayern) fiel Gustav II. Adolf jedoch 1632 in der Schlacht bei Lützen (Leipzig). Den Thron erbte daraufhin sein einzig überlebendes Kind, die damals sechsjährige Christina, für die zunächst ein Reichskanzler stellvertretend die Geschicke des nun "kopflosen" Staates führte. In der Zwischenzeit wurde dem Willen des verstorbenen Vaters entsprochen und aus der kleinen Christina ein "Regent" geformt: War sie schon bei ihrer Geburt durch ihre starke Körperbehaarung und kräftige Stimme zunächst für einen Jungen gehalten worden, so wurde sie nun auch in so männlichen Tugenden wie Reiten, Jagen und Fechten unterwiesen. In den täglichen zwölf Stunden Unterricht lernte sie außerdem acht Sprachen, Mathematik und Geographie. Mit 18 übernahm sie die Regentschaft und wurde im Jahr 1650 im Alter von 24 Jahren offiziell zur Königin gesalbt und gekrönt. Zu diesem Zeitpunkt stand sie bereits in regem schriftlichen Austausch mit verschiedenen europäischen Gelehrten und hatte den großen französischen Philosophen René Descartes an ihren Hof nach Stockholm geholt.
Durch die unkonventionelle und universelle Bildung, die sie von klein auf genoss, entwickelte Christina von Schweden eine ungewöhnlich freigeistige Haltung und eine religiöse Neugier, die sich für sie selbst und für die politischen Geschicke Europas als folgenschwer erweisen sollte: Der protestantische Calvinismus mit seiner speziellen Prädestinationslehre, nach der die göttliche Vorherbestimmung einen jeden entweder zu Seligkeit oder zu Verdammnis führen muss, wurde Christina zu eng. Ihre geistige Beschäftigung mit dem Katholizismus ließ sie zunächst auf einen Ausgleich im religiös-verfahrenen 30-jährigen Krieg drängen, dessen Frieden unter Christinas großem Verhandlungsgeschick 1648 ratifiziert wurde. Der jungen schwedischen Thronfolgerin brachte diese politische Kunstfertigkeit den Titel "Minerva des Nordens" ein.
Doch ihre zunehmende Neigung zum katholischen Glauben und ihre freigeistige Weltanschauung sollten sie bald ihren Thron kosten: War ihr Unwille, sich zu verheiraten, rein rechtlich noch zu tolerieren, so war ihr wachsender Wunsch, zum Katholizismus zu konvertieren, gleichbedeutend mit einer Abdankung: Wer die schwedische Krone trägt, muss protestantischen Glaubens sein ñ eine Doktrin, die noch heute gilt. 1654 übergab Christina daher vorrausschauend die Krone an ihren Neffen Karl Gustav und verließ "ihr" Reich ... nicht ohne sich zuvor eine großzügige Apanage vom schwedischen Staat zusichern zu lassen. Knapp ein Jahr später ließ Christina sich in Brüssel katholisch taufen, sozusagen auf der Durchreise, unterwegs nach Rom zum geistigen Oberhaupt der Katholiken. Nachdem sie sich dort diversen Prüfungen ihres "wahren" Glaubens unterzogen hatte, wurde Christina von Papst Alexander VII. mit allen ehren und großem Pomp empfangen und fortan sogar der 23. Dezember ñ der Tag ihrer "Ankunft im rechten Glauben" - der berühmten Konvertitin als Festtag gewidmet.
Christina wäre jedoch nicht Christina, hätte sie sich dem Katholizismus völlig unterworfen. Sie wollte nie zur "Betschwester" werden, und wich allen theologischen Gesprächsthemen konsequent aus. Die in jener Zeit übliche Vetternwirtschaft und die macht- und finanzpolitischen Verstrickungen des Papstes und seiner gierigen Kardinäle widerten Christina an, kamen ihr jedoch bei ihrer generellen Finanzknappheit gerade recht. Denn der römische Klüngel und andere Machtpokerer kaufte sich ihr Wohlwollen. Um die wertvolle ideologische "Ware" Christina, die als Gesalbte immer noch königlichen Ranges war, wurde geradezu gefeilscht: Mal sollte sie auf Betreiben des mächtigen Kardinals Mazarin zur Königin Neapels gekrönt werden, mal hoffte sie, das Herzogtum Bremen - damals unter schwedischer Herrschaft ñ zugesprochen zu bekommen. Was ihr an Geldmitteln zur Verfügung stand, floss fast ausschließlich in ihren ausschweifenden, höfischen Lebensstil mit Festen, Bällen und Konzerten sowie zu großen Teilen in die Förderung von Kunst und Künstlern, Philosophen und Wissenschaftlern. In der öffentlichen Wahrnehmung erreichte sie dadurch einen hohen Status, wurde von den Bürgern der Stadt gar als "Padrona di Roma" bezeichnet, als kulturelle Gebieterin der Stadt.
Soviel positive Publicity stieß auch schon zu jener Zeit auf Neid, und Gerüchte und Häme machen selbst vor einer Majestät nicht halt. Zu ungewöhnlich waren zum Beispiel ihr Aussehen und ihre Gestalt. Christina mit ihrer tiefen Stimme, die sich gerne schlicht, fast männlich kleidete, wurde geschmäht, sie sei ein Zwitterwesen, also geschlechtlich nicht zuzuordnen. (Nach ihrem Tod wurde ihr Körper daher gleich zwei Mal obduziert, um festzustellen, dass "keinerlei Abnormitäten" zu finden waren). Eine Cousine Ludwigs XIV. zum Beispiel hielt Christina für einen "verführerischen, hübschen Knaben". Überlieferter Klatsch wie dieser lassen ahnen, dass auch Christinas Privatleben von der zeitgenössischen Gesellschaft argwöhnisch beäugt wurde. Christina vertrat die Maxime: "Die Leidenschaften sind das Salz des Lebens, wir sind glücklich oder unglücklich je nach ihrer Heftigkeit." Nachdem dies öffentlich geworden war, verbreitete sich schnell die allgemeine Annahme, dass die Schwedin "unersättlich" und ständig auf der Suche nach neuen Sexualpartnern sei. Es ist überliefert, dass unter diesen auch viele Frauen waren. Vor allem Christinas langjährige (1644-62) Liebschaft mit ihrer Hofdame Ebba Sparre, die erst mit deren Tod ein Ende fand, war Christinas Zeitgenossen durchaus in Erinnerung geblieben. Die zahlreichen gleichgeschlechtlichen (und durchaus auch gegengeschlechtlichen) Affären der ehemaligen Königin sind in zeitnahen Quellen gut dokumentiert.
"Die Einsamkeit ist das Element der außergewöhnlichen Menschen.": Als sie 1695 schließlich in Rom verstarb, war der außergewöhnliche Mensch Christina von Schweden allein, und nahezu mittellos. Zu kostspielig war ihr Lebensstil gewesen, und so geschwächt und zahlungsunfähig waren inzwischen auch ihre Gönner, die europäischen Herrscher samt dem Papst: Die liberal Denkende hatte erneut miterleben müssen, wie religiöse Differenzen zu Krieg (Türkenkriege) und Vertreibung (Hugenotten) führten.

Sabine König/Anne-K. Jung


Lesetipp (allerdings nur eingeschränkt zu empfehlen, da fast schon homophob in der Beurteilung von Christinas Psyche und Sexualität):
Verena von der Heyden-Rynsch: Christina von Schweden. Die rätselhafte Monarchin, Piper 2002, 253 S., 8,90 EURO
 
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