|
Baby
sitzt auf dem Klo eines Fischrestaurants und mampft kleine Kuchen. Sie ist mit ihrem
Vater und ihrer Freundin Anna Sara unterwegs. Während Papa den Ausflug ganz
prima findet, sind die Mädchen angeödet - kein Wunder, mit knapp 14 stellt
man sich unter einem coolen Nachmittag was anderes vor. Doch beim Halt an der nächsten
Raststätte setzen Baby und Anna Sara sich ab, um ein gegenseitiges Versprechen
einzulösen...
Der Kurzfilm "Schlorkbabies an der Raststätte" ist zwar nur 15 Minuten
lang, entfaltet aber in dieser Zeit eine unheimliche Intensität. Die Szenerie
ist verfremdet und wirkt dadurch völlig unwirklich, der Wald, in dem die Mädchen
am Ende landen, sieht aus wie aus einem Märchen. In dem Film bleibt vieles ungesagt
und offen - auch das Ende. Dadurch lässt er die ZuschauerIn durchaus ratlos-irritiert
zurück - aber auch fasziniert von der Geschichte und der suggestiven Kraft der
Bilder.
"Schlorkbabies" ist ein Film der Regisseurin Petra Volpe, der dieses Jahr
auf dem "Verzaubert"-Filmfest gezeigt wurde. Er war aber auch schon auf
diversen Festivals zu sehen, unter anderem in San Francisco und Rom. Die 32-jährige
Schweizerin lebt in Berlin und studiert an der Hochschule für Film und Fernsehen
(HFF) in Babelsberg. Sie war auch schon in New York und Finnland zu Hause, arbeitete
als Cutterin in einer Werbefilmproduktion und besuchte eine Kunstschule für
experimentelle Gestaltung. Lespress sprach mit ihr über die "Schlorkbabies",
über die Schwierigkeiten lesbischer Regisseurinnen und über konservative
Hochschulen.
?: Wie bist Du auf die "Schlorkbabies" gestoßen?
!: Dazu muss ich die Geschichte einer Freundschaft erzählen: "Schlorkbabies"
ist eine Kurzgeschichte von Petra Lüschow. Sie hat ein Buch mit sieben Shortstories
veröffentlicht: "Flores und Antiflores" (Galrev Verlag) -- kann ich
unbedingt zum Lesen empfehlen!
Schon bevor ich nach Berlin kam, habe ich gehört, dass Petra auch an der HFF
Dramaturgie/Drehbuch studiert. Ich bin anlässlich des Lesbenfilmfestivals zu
einer Lesung von ihr gegangen und hatte danach einen Bauchmuskelkater, weil ich so
viel gelacht habe -- wirklich! Dann haben wir uns kennen gelernt. Wir waren sehr
froh darüber, einander gefunden zu haben, denn die HFF ist gelinde gesagt ein
recht konservativer und etwas zurückgebliebener Betrieb. "Schlorkbabies"
ist mein vierter Film an der Hochschule. Davor habe ich einen sehr ruhigen, formal
eher klassischen Film gemacht. Ich wollte aber unbedingt während meines Studiums
noch technische und inhaltliche Dinge ausprobieren, die etwas unkonventioneller sind.
"Schlorkbabies" gehört zu einer meinen liebsten Kurzgeschichten aus
dem Buch. Sie bringt alles sehr genau auf den Punkt und benutzt eine sehr metaphorische
Sprache, die ganz viele Bilder produziert. Es hat mich gereizt, dafür eine Filmsprache
zu finden.
?: Wie würdest Du die zwei Schlorkbabies jemandem beschreiben, der/die den
Film nicht gesehen hat? Siehst Du die zwei als neue Mädchengeneration, wie
ich in einer Filmkritik gelesen habe?
!: Schlorkbabies sind Mädchen, die gerne schlemmen, naschen, futtern, die immer
Süßigkeiten irgendwo versteckt haben "süße Gören
mit fettigen, verschmierten Patschfingerchen....". Man weiß nie, wo die
ganzen Leckereien schlussendlich landen,- im Bauch oder in der Toilette. Ich glaube
nicht, dass diese Mädchengeneration neu ist, es ist vielleicht höchstens
so, dass man sie jetzt öfter in Literatur oder Filmen antrifft. Ich glaube die
Filmkritik, die du ansprichst, ist ein Essay von Claudia Lenssen. Sie schreibt darüber,
dass dank einiger Regisseurinnen in letzter Zeit im Kino ein neue Art von jungen
Frauen gezeigt wird. Es sind Mädchen, die nicht immer nur sympathisch sind und
die auch etwas Gefährliches haben - das ist auch bei den Schlorkbabies der Fall.
Teenager sind eine sehr eigene Spezies, das war früher nicht anders als heute.
?: Der Film lässt einiges offen, zum Beispiel: Woher kommt das Versprechen der
Schlorkbabies? Warum ist das Verhältnis zum Vater so? Verrätst Du uns
ein paar Antworten?
!: Der Film lässt sehr bewusst Fragen offen. Wir haben viele Themen und Konflikte,
die in Petras Geschichte etwas deutlicher sind, nur angedeutet und nichts ausformuliert.
Die Kurzgeschichte zeigt die inneren Vorgänge, weil man da sehr genau mitbekommt,
was jeder und jede Einzelne denkt. Der Film guckt von außen auf die Situation:
Was passiert an der Oberfläche? Die Kommunikation zwischen Vater und Tochter
ist kaum möglich, die Spannungen sind diffus, es herrscht eine große Kälte,
die Gründe werden im Film kaum gezeigt. Ich finde es anregender, wenn man als
Zuschauerin aktiv wird und dann anfängt, die Leerstellen selber zu füllen.
Beim Film besteht viel schneller die Gefahr der Überdeutlichkeit und Versimplifizierung
als bei Literatur, denn da imaginiert man die ganze Zeit, ist also sehr aktiv.
Die meisten kennen diese Stimmungen, diese verkorkste Kommunikation, die unterschwelligen
Aggressionen, Demütigungen und Übergriffe in kleinen Dosen aus ihrer eigenen
Familiengeschichte. Und so kann man auch die Zeichen des Films deuten. Der Film ist
keine abgeschlossene Geschichte mit einer Lösung.
In dem Sinne möchte ich jetzt auch nicht die Fragen so genau beantworten, weil
jede, die den Film gesehen hat, sie für sich beantworten kann und keine Interpretation
oder Antwort falsch oder richtig ist.
?: Der Film ist technisch sehr aufwendig. Wie sind die ganzen Effekte entstanden?
!: Dass der Film so bunt und bonbonfarben ist, dazu hat mich und meine Szenographin
(die auch am Drehbuch mitgearbeitet hat), stark die Originalvorlage inspiriert. Die
Farben haben wir dazu benutzt, die Mädchen-Welt und die Papa-Welt zu separieren.
"Schlorkbabies" ist Angelika Weddes Diplomarbeit im Fach Szenographie.
Sie wollte ausprobieren, wie man künstliche und reale Räume und Elemente
zusammen kombiniert. Dank meines gewieften Produzenten hatten wir die Möglichkeit,
mit der superneuen Sony Digitalkamera 24 p zu drehen. Das ist eine Videokamera, die
eine so gute Auflösung wie 35mm hat. Das Bild ist allerdings so scharf, dass
es kälter aussieht als Film, aber das war ja für unser Vorhaben perfekt:
Die Kälte zwischen den Figuren sollte auch nach außen gekehrt sein. Überhaupt
ging es immer darum, die inneren Vorgänge nach außen in den Raum zu legen
und auch eine fast plastikartige Oberfläche zu schaffen, was wiederum etwas
über die Beziehung der Figuren erzählt.
Die Kamerafrau Jana Marsik hat sich in diese neue Technologie eingefriemelt. Das
Experiment hat sich sehr gelohnt, denn sie hat dafür den deutschen Kameraförderpreis
gewonnen. Das ist toll, zumal Kamera beim Film eine ziemliche Männerbastion
ist und Frauen doppelt so gut sein müssen, bevor sie lukrative und anspruchsvolle
Jobs kriegen.
Die digitalen Effekte sind am "Inferno" entstanden. Dieser Computer macht
so was ähnliches wie Photoshop, nur eben mit bewegten Bildern. Kai Woytke saß
fast Tag und Nacht am Computer, um den Wald so magisch hinzukriegen und um am Fischrestaurant
rumzubasteln, bis man nicht mehr sehen konnte, dass die Wände computergeneriert
sind. Es war für uns alle eine große Herausforderung und oft wussten wir
überhaupt nicht, ob das alles dann irgendwie zu einem Film wird. Denn ohne die
digitalen Effekte, ohne dass die Räume so waren wie wir sie uns vorgestellt
hatten, funktionierte der Film auch nicht, weil eben der Raum in diesem Fall ganz
stark erzählerisches Element ist.
?: "Schlorkbabies" wurde auf vielen Festivals gezeigt. Wie waren die Reaktionen
bisher?
!: Es gab viel Lob, aber auch viel Irritation. In Oberhausen war die Stimmung geradezu
aggressiv. Da hat sich ein älterer Mann total aufgeregt und sehr sexistische
Sprüche gemacht . Ich nehme an, er hat sich mit dem Papa identifiziert.
Auch an der Uni waren meine Profs und die von Jana nicht sehr begeistert. Als die
Kameraprofessoren das gedrehte Material sahen, haben sie zu Jana gesagt, das lohne
sich nicht mal zu schneiden. Die konnten sich einfach nicht vorstellen, was man in
der Postproduktion mit Bildern heute alles machen kann, auch wenn wir es ihnen erklärt
haben. Es hat mich auch deshalb besonders gefreut, dass Jana diesen Preis gewonnen
hat. Diese Unoffenheit an der Uni, das hat mich schon schockiert. Wir haben visuell
etwas sehr Neues ausprobiert und da war keine Neugierde. Als der Film dann auf Festivals
lief und mich auch viele fremde Leute angesprochen haben, die etwas mit dem Film
anfangen konnten, das tat dann schon sehr gut.
?: Planst Du auch einen langen Spielfilm?
!: Ich arbeite gerade an meinem ersten Langspielfilm. Es ist eine Komödie und
spielt in der Schweiz. Ich habe Drehbuchförderung bekommen und meine Produktionsfirma
glaubt sehr an das Projekt. Wenn alles gut geht, drehen wir nächstes oder übernächstes
Jahr. Davor machen wahrscheinlich Petra Lüschow und ich (sie schreibt, ich inszeniere)
noch einen Kurzfilm, der auch in der Schweiz spielen wird.
?: In Deutschland gibt es leider immer noch sehr wenige lesbische Regisseurinnen.
Warum glaubst Du, ist das so?
!: Ich glaube, es gibt nicht nur weniger lesbische Regisseurinnen, sondern einfach
generell weniger Regisseurinnen, die regelmäßig arbeiten können.
Das ist vielleicht sogar nicht mal richtig -- vielleicht gibt es sie schon, aber
man kennt sie nicht, sie werden nicht in dem Maße gefeiert und gehyped - -
von wenigen abgesehen. Es gibt viele Frauen, die wunderbare Erstlingswerke machen,-
aber dann hört man nichts mehr von ihnen. Bei den Jungs ist das anders, da macht
einer einen einigermaßen annehmbaren Film und schon rufen die Produktionsfirmen
oder das TV an und er kann seinen nächsten Film machen. Es ist wichtig, dass
man arbeiten kann, wie soll man sonst in der Übung bleiben. Auch das Regieführen
ist Übungssache.
Ich finde ganz ehrlich, dass Diskriminierung oft einfach nur subtiler geworden ist.
In der Filmbranche kommt sie recht deutlich zum Ausdruck, ganz besonders dann, wenn
es um viel Geld geht. Dann geht es auch um Macht. Ich glaube, das Beste ist, trotzdem
unbeirrt weiterzumachen und dadurch dazu beizutragen, dass in den Machtpositionen
bald mal Leute mit anderen Wertvorstellungen sitzen.
?: Was ist für Dich das Schönste am Filmemachen - und was das Schwerste?
!: Das Schwerste: Wenn ich drehe, dann habe ich regelmäßig furchtbare
Alpträume, die gehen dann so: Ich komme aufs Set, es soll eine Szene gedreht
werden, ich finde mein Drehbuch nicht und weiß auch nicht, von welcher Szene
all diese Leute sprechen - oder besonders fies: Ich soll eine Massenszene in einem
Stadion mit Hunderten von Statisten inszenieren, meine Freunde sind da und natürlich
Mutti und Vati um zuzuschauen. Und dann kommt ein Windstoß und mein Drehbuch
flattert über das riesige Stadion hinweg und ich weiß nicht, mehr was
ich tun soll! Ich glaube die Angst, die dahinter steckt ist klar.
Schwer ist auch die ganze Geldsucherei vor dem Drehen, die Verhandlungen mit Produzenten,
dieses ganze finanzielle Drumherum. Und in der Postproduktionsphase ist es nicht
einfach, immer wieder Entscheidungen zu fällen, weil man den Film schon 100.000
Mal gesehen hat.
Das Schönste: - Es gibt in jeder Arbeitsphase Momente, die ich liebe. Ganz faszinierend
und berührend ist für mich, wenn SchauspielerInnen zum ersten Mal den Dialog
sprechen und sich anfangen in der Szene zu bewegen. Wenn das, was auf dem Papier
steht, anfängt zu leben und seine eigene Form bekommt. Da kommen mir jedes Mal
die Tränen. Dann beim Drehen, wenn an manchen Tagen alles läuft und ich
merke, dass ich einfach so da bin und konzentriert und die ganzen Ängste weg
sind. Und wenn die Schauspieler plötzlich so eine Intensität haben, dass
alle den Atem anhalten und sich auch erst mal niemand rührt, weil alle so gefangen
sind und man weiß, jetzt ist das passiert, was man sich für jeden Take
wünscht: ein magischer Moment.
Beim Schneiden dann entsteht der Film wirklich, denn aus dem gedrehten Material könnte
man etliche Filme machen. Aber man sucht mit der Cutterin zusammen nach dem einen
Film, den man machen will. Das ist manchmal auch zum Verzweifeln. Manchmal ist man
euphorisch, weil plötzlich im Schnitt etwas entsteht, was noch viel besser ist,
als das was man vorhatte. Und natürlich die Premiere, die ist schön und
schrecklich zugleich!
Filmografie (Auszüge):
1997: Jail
1998: Mia Nonna tutto Zucchero
1999: Der Kuss
2001: Crevetten
2002: Schlorkbabies an der Raststätte
2002: Aggima
Claudia Frickel |
|