Tantra für Lesben und andere Lesbensexbücher

 
  Ein Gespräch mit Christa Schulte  
  Eine Frau liegt auf der anderen, beide sind nackt und halten sich fest umschlungen. Das ist das Coverbild des Tantra-Buchs für Lesben der Psychotherapeutin Christa Schulte. Das Foto ist schön, wirkt aber etwas steif. Ist das Sex? Ist das jetzt Tantra?
Vielleicht. Denn wenn beide Frauen beim Sex tief geatmet und vorher viel geübt haben, kann es sein, dass sie gerade in Ekstase versinken. Da bewegt sich nach außen nicht viel. Denn die Ekstase im Tantra ist, so beschreibt Christa Schulte, ein Höhenweg und kein Höhepunkt. Frau kann darauf bis zu einem halben Tag lang schweben. "Da wird Fülle und Leere eins."

Eins ist schon mal klar. Tantra ist keine Anleitung zur ausgefeilten Bettgymnastik, wie sie manch andere Lesben-Sexratgeber lehren. Tantra ist etwas Spirituelles ñ und es ist wichtig, das vorweg zu sagen, damit spirituell Abgeneigte hier aufhören zu lesen (aber auch sie könnten vielleicht in Ekstase geraten?). Und für die, die dachten, Tantra sei Gruppensex, sei klargestellt: Tantra hat mit Gruppensex herzlich wenig zu tun. Christa Schulte erklärt, dass sie in ihren Seminaren "Gruppensettings" selten vorschlägt. "Bei Tantra geht es darum, dass jede Frau ihre eigene Sexualität weiter entwickelt. In den Anfängerinnenkursen ist es eher ein Spiel mit dem Atem und eine Erfreuung unserer fünf bis sieben Sinne. Ich vermittle höchstens feine erotische und weniger sexuelle Berührungen," beschreibt sie. Aber ist nicht ihr Buch voll praktischer Übungen, bei denen sehr wohl die "Yoni" (Vagina) ganz schön handfest Beachtung findet? "In meinem Buch beschreibe ich natürlich viele weitergehende Übungen, denn mit dem Buch kann eine ja zu Hause allein oder mit Partnerin/nen üben", erklärt Christa Schulte den Sinn des Buches und greift zur Erläuterung von Tantra eine Zweierübung heraus.

"Zum Beispiel: Die eine wird wunderbar an ihrer Perle verwöhnt. Und dann atmet sie nicht nur an die Stelle, wo die sexuelle Lust ist, sondern sie atmet mit tiefen Atemzügen ihre Lust auf ihr Herz. Da ist die Transformationsstelle von sexueller Energie in spirituelle Energie. So kann sich sexuelle Energie verfeinern. Es verteilt sich als Liebesgefühl. Und wenn eine weiter gehen will, zieht sie die Energie auf noch höhere Chakren und erklimmt meditative Lustzustände." Und das, betont Christa Schulte, lernen Frauen von Haus aus besser als Männer, denn sie leben sexuelle Energie auch ohne Übung oft in Verbindung mit Herzenergie, wohingegen bei Männern der sexuelle Energiefluss meist schon im Solarplexus, im Machtzentrum, endet. Oder sie sind so stark mit ihrer Potenz beschäftigt, dass sie keine anderen Energien spüren.

Ist Sex also nicht nur etwas Körperliches? Immer noch hört sich alles reichlich fremd an. Macht es denn Sinn, wenn Sex eine spirituelle Dimension hat? Wie kam Christa Schulte überhaupt auf diese Idee? "Mit 19 Jahren hatte ich ein einschneidendes sexuelles Erlebnis, in dem ich die spirituelle Wandlung von sexueller in spiritueller Energie spürte. Ich erlebte Farben, Klänge und Glück. Zwanzig Jahre suchte ich nach einer ähnlichen Erfahrung. Seit neun Jahren habe ich den Schlüssel im Tantra gefunden." Nun sei aber Tantra nicht frei von patriarchalen Elementen. Es gäbe unterschiedliche Richtungen und ihr Vorbild war das frauenzentrierte SkyDancing von Margot Anand. Zwar hätte sie auch in gemischten Gruppen gute Erfahrungen gemacht, ein zu-Hause-Gefühl hatte sie dort aber nicht. Nach der Teilnahme in vielen Frauengruppen leitet sie jetzt selber bundesweit Frauen-Tantra-Gruppen an.

Schon wieder kommen wir zurück zu der Gruppenfrage. Muss das denn sein? "Nein. Deswegen habe ich ja das Buch geschrieben. Frau soll alleine üben können. Gerade sexuell oder anders traumatisierte Frauen haben einen hohen Schutzbedarf und können sich nicht in Gruppen öffnen." Es sei sehr viel Sorgfalt und Respekt bei den Übungen nötig, ob zu Hause oder in der Gruppe. Außerdem, betont Christa Schult, regen Gruppen an und geben der Übungsdisziplin einen Rahmen. Ein unermessliches Gefühl von Kraft und Stärke könne sich in Gruppen ausbreiten. "Wenn in einem Raum zwanzig Frauen orgastische Töne machen, ist das eine unglaubliche Soundentwicklung! Es ist so lustvoll zu hören und erfüllt mich jedes Mal." Diese gemeinsamen Erfahrungen würden die eigene Lustenergie verstärken und die Lust auf den eigenen Ausdruck fördern. Christa Schulte schüttelt sich bei der Erinnerung an Frauengruppen, die "vereint im Kampf für", oder "vereint im Kampf gegen" so lustfeindlich sein konnten wie manch ein Büro-Arbeitsplatz. "Ich freue mich, wenn Gruppen anfangen, Tantra-Übungen in ihre Treffen einzubauen wie einige Safias das schon machen. Da sind Frauen dann vereint in der lustvollen Energie, und das nicht nur paarweise, sondern in einer Gruppe, die eins gemeinsam will: Die Weiterentwicklung der weiblichen Lust."

Ein schönes Ziel. Aber so weit entfernt.... Die hiesige lustfeindliche Gesellschaft ist Christa Schulte ein Dorn im Auge. Sie ärgert sich über Plakate mit glatten Hochglanzladies, die puppenhaft wirken, aber nicht wirklich sexuell. "Wie wäre es, wenn mal auf einem Plakat zwei Frauen gezeigt würden, die sich liebevoll in Verbindung befinden? Was wäre das wohl für eine Welt, in der Frauenlust gefördert würde", sinniert Christa Schulte. Aber sie weiß die Antwort. Solch ein Plakat kann heute noch nirgendwo hängen. Es wäre nichts anderes als eine Wichsvorlage für Männer.

Trotz der wenigen Nischen, oder gerade deswegen sollten Lesben, bisexuelle und andere Frauen ruhig zur Beratungsliteratur greifen, sagt Christa Schulte. Wenn es nicht ein Tantra-Buch ist, dann eins der anderen Sexratgeber für Lesben, die sie immer empfiehlt. Sei es der Klassiker "Sapphistrie", die Susi Sexpert Bücher, oder das "Sie liebt Sie", ermunternd und praktisch. Auch das reich bebilderte "Schöner Kommen", über das einige gemurrt haben, zählt sie auf. Bei diesem Thema holt Christa Schulte weit aus: "Ich habe bei den SM-Kapiteln einfach weitergeblättert und gedacht, das ist nichts für mich. Klar, schon damals, als Saphhistrie heraus kam, gab es viele Kontroversen um SM. Aber es muss ja nicht immer alles umgesetzt werden. Aus meinem Buch ja auch nicht." Sie als Psychotherapeutin kenne die Diskussionen um die SM-Wege der Weiterentwicklung. Da haben genau die Gewaltrollenspiele eine Rolle gespielt. "Ich sage nicht, SM ist ein Allheilmittel für alle, die sexuelle Gewalterfahrungen gemacht haben. Mitnichten. Aber ich negiere das nicht pauschal." Sie warnt nur davor, wenn SM auf die Beziehung mitwirkt. Es sollte ein Rollenspiel bleiben. "Übrigens mache ich als Therapeutin ja auch Gestalttherapie-Rollenspiele. Da kann frau den strengen Vater oder den Pastor spielen und auf eine andere nieder schimpfen." Das könne die andere sehr wohl zum Erlernen von Frauenstärke nutzen. In ihren Tantra-Kursen fiel ihr auf, dass SM-Frauen eigenartigerweise große Anziehung auf die anderen Kursteilnehmerinnen hatten. Und das, bevor die SM-Frauen sich geoutet hatten. "Weil sie einfach eine große Bewusstheit, Klarheit und Zärtlichkeit an den Tag legten." So lange die Bücher Frauen wertschätzen, sind sie wunderbarer Ersatz für die noch fehlenden Vorbilder für Lesben, meint sie.

Vom Thema SM kommt Christa Schulte schnurstracks zu einem Lieblingsthema: Aggression. "Ich finde es sogar gut, wenn jede Frau ein Gespür hat, wo ihre brutalen Seiten anfangen, statt zu sagen: Ich? Brutal? Niemals! Ich finde es wichtig, mich zu kennen." Manchmal, findet Christa Schulte, erfüllt Aggression einen sinnvollen Zweck. "Wenn ich es wegschiebe, kommt es von hinten wieder, da bin ich mir ziemlich sicher." Besser sei es, eine sozialverträgliche Form zu finden. Interessant sei, dass bei SM zwei Tabus gebrochen werden. Sex und Aggression, zwei Energieformen, die in Kombination eigentlich viele Frauen total neugierig machen. Diese Energien seien unsere kräftigsten Energien, die besser nicht mehr gegeneinander stehen. "Da sind wir aber erst am Anfang."

Nun noch mal zurück zu den ganzen Bücher. Wozu sind sie gut? Ist nicht Sex eine einfache Sache? Was ist leichter, als mit einer Frau gemütlich im Bett zu liegen? Ich bin entspannt. Ich muss nichts leisten. Es ist körperlich nicht anstrengend. Ich kann meine Gefühle zeigen, oder sie verstecken. Ich kann bei mir bleiben, oder bei der anderen. Sex ist eine leichte Übung.

Leider nicht immer, das belegen Berichte von Lesben. Sich auf sexuelle Praktiken, die beiden gefallen, zu einigen, kann schwierig sein. Die Luft kann so schnell raus sein nach der Verliebtheitsphase, so dass in langen Beziehungen Sex oftmals einschläft. Und dann die alltäglichen Sexprobleme: Verspannungen, Schmerzen, störende Gedanken oder Erinnerungen, Scham, Schönheitsprobleme. Das alles berücksichtig Christa Schulte einerseits überhaupt nicht in ihrem Buch. Sie liefert zunächst 100 Seiten Theorie: einfühlsam formulierte Gedanken zur weiblichen Sexualität. Aber ihr Schwerpunkt liegt eindeutig bei den Übungen. Und in denen steckt indirekt Hilfe für die jeweiligen Problem. Eine Übung ist zum Beispiel morgens unter der Dusche schnell gemacht: Dreißig Male mit den Händen um die Brüste kreisen. Das regt das Hormonsystem an, macht frau freudig-zufrieden. Wenn sie nach oben auswärts um die Brüste kreist, ist es eine verteilende, wenn sie nach unten einwärts kreist, ist es eine sammelnde Bewegung. Dabei sollte frau langsam den rechten und dann den linken Mundwinkel nach oben ziehen und sich und den eigenen Brüsten zulächeln!

Weitere Übungen sind eine Art Zweier-Sitzschaukel, das Malen von schlechten Eigenschaften auf den Rücken, von guten auf den Bauch. Frau kann außerdem ein überfülltes Liebeslager leeren, das von alten Erinnerungen und atmosphärisch anwesenden Personen überquillt. Frauen können übereinander rollen und ab und zu bei den Beschreibungen einiger Übung herzlich lachen.

Christa Schultes Schlussappell: Genießt nicht nur die großen Feiertags-Ekstasen, sondern die kleinen Ekstasen des Alltags. Sei es die tief eingeatmete duftende Rose, oder der kleine Quicky zwischendurch. Freuden dehnen sich mit dem bewussten Genuss.

Gudrun Fischer
 
   
   
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