Das Ende der Legende

 
   
  Bild Martina Schaefer
Kaum eine Vorstellung beflügelte wohl lesbische Feministinnen und andere Frauen mehr als die von starken Frauen, die in fernen Zeiten, zum Beispiel dem Neolithikum (6000 bis 2800 v.u.Z.) , in ihren Gesellschaften das Sagen, zumindest aber großen kulturellen Einfluss und sakrale Macht hatten. Pubikationen zum Thema Matriarchat wurden und werden in manchen Kreisen der Frauenbewegung intensiv rezipiert. Autorinnen wie Marija Gimbutas ("Die Sprache der Göttin", 1995), Marie E.P. König ("Am Anfang der Kultur", 1995), Carola Meier-Seethaler ("Ursprünge und Befreiungen", 1993), Heide Göttner-Abendroth (u.a. "Die Göttin und ihr Heros", 1980), Angelika Aliti ("Die wilde Frau", 1994) und seit neuestem Clarissa Pinkola Estés ("Die Wolfsfrau", 1999) sind nur einige einschlägige Autorinnen. Martina Schäfer, ehemals selbst Anhängerin der Matriarchatstheorie, hat sich mittlerweile von ihr abgewandt und zeigt sich in ihrem kürzlich bei Hugendubel erschienenen Buch "Die Wolfsfrau im Schafspelz" nunmehr als vehemente Kritikerin der Matriarchats-Hypothese. Ariane Rüdiger sprach mit der Autorin über ihr Buch und ihre Abkehr von den Matriarchatsvorstellungen.

Ariane Rüdiger: Frau Schäfer, wie sind Sie dazu gekommen, sich mit dem Thema "Matriarchate" zu beschäftigen?

Martina Schäfer: Ich habe 1986 meine Dissertation im Fach Germanistik mit dem Thema "Feministische Fiktionen und literarische Traditionen eines autonomen, feministischen Verlages" geschrieben. Weil diese Utopien sich meistens um Matriarchate drehten, bin ich ganz automatisch mit den Publikationen zu diesem Thema aus den Verlagen Frauenoffensive, Zeiten und Spuren und Kunstmann in Berührung gekommen. Außerdem gab es in München eine Utopie-Gruppe, an der ich teilgenommen habe, und eine Erzähl-Gruppe, bei der bis zu sechzig Frauen erschienen sind, um sich gegenseitig frei Geschichten zu erzählen.
Einige Zeit vorher war "Die tanzende Göttin. Prinzipien einer matriarchalen Ästhetik" von Heide Göttner-Abendroth erschienen. Sie war der Meinung, dass die logische Fortsetzung unseres Geschichtenerzählens eigentlich Rituale hätten sein müssen, und so sind wir ins Gespräch gekommen. Aus diesem Kontakt hat sich dann ergeben, dass ich zu den Mitgründerinnen gehörte, als die Akademie Hagia auf dem Weghof, der Heide Göttner-Abendroth gehörte, entstand.
Ariane Rüdiger: Wann sind Sie aus der Akademie wieder ausgestiegen und warum?
Martina Schäfer: Ich habe bis 1990 auf dem Weghof gelebt. Aus dem Projekt habe ich mich verabschiedet, weil ich - wie übrigens auch andere - fanden, dass es sich zu sehr um die Person der Heide Göttner-Abendroth zentrierte. Dazu kam, dass jede der dort intensiv mitarbeitenden Frauen - es handelte sich zeitweise um drei Festangestellte und diverse, wechsselnde Praktikantinnen - ihr Spezialgebiet der Matriarchatsforschung hatte und intensive Studien betrieb. Man kann sagen, dass wir etwa zwei bis drei Jahre nach dem Anfang von Hagia so ziemlich alles gelesen hatten, was damals verfügbar war. Wir begannen, über die Dinge nachzudenken und auch kritische Fragen zu stellen. Vor allem die Frage nach dem Wann, also genaue Datierungen, haben uns sehr beschäftigt. Wir wollten wissen, wann die Dinge, von denen Heide Göttner-Abendroth schreibt und berichtet, ihrer Meinung nach wirklich geschahen. Aber auf diese Fragen gab es keine Antworten.

Ariane Rüdiger: In Ihrem Buch geht es nicht nur um Ihre Erfahrungen mit Heide Göttner-Abendroth, sondern um die gesamte Matriarchats-These, die Sie heute schlussendlich als widerlegt oder unbeweisbar betrachten. Warum?

Martina Schäfer: Der wichtigste Grund ist, dass die Matriarchats-These im Licht heutiger wissenschaftlicher Methoden nicht mehr haltbar ist. Ich habe 1993 mit einem Studium der Ur- und Frühgeschichte in Köln begonnen. Dort wird mittlerweile stark naturwissenschaftlich gearbeitet, und das hat mit zu meiner endgültigen Abkehr von der Matriarchats-These beigetragen.

Ariane Rüdiger: Können Sie das etwas näher erklären?

Martina Schäfer: Im 19. Jahrhundert, als die Matriarchats-Theorien entstanden, ging man davon aus, dass Mythen die reale Geschichte überliefern. Mit Ausnahme einiger Glückstreffer wie Schliemanns Entdeckung von Troja ist das aber nicht haltbar. Mythen, so sieht die Forschung es heute, verhalten sich zur Realität wie ein Spielfilm zu dem Ereignis, das diesem möglicherweise zugrunde liegt: Ein historisches Geschehnis, das sich am besten mehrfach wiederholt hat, wird irgendwie zu einer Geschichte verarbeitet, dabei dramatisiert und ausgeschmückt, und am Ende kommt ein Mythos heraus. Die Befunde der alten Matriarchatsforschung lassen sich mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden, die es damals nicht gab, nicht bestätigen. Solche Verfahren sind zum Beispiel C-14-Methode (dabei wird der Zerfallsgrad des radioaktiven C-14-Isotopen in gefundenen Materialien gemessen und daraus auf die Dauer ihrer Lagerung geschlossen, Anm. d. Autorin) oder die Dendro-Chronologie (das Zählen von Baumringen, von denen jeder eine Wachstumsperiode, also ein Jahr, bedeutet, Anm. d. Autorin). Es gibt auch rein statistisch viel zu wenig Funde, um daraus so weitreichende Schlüsse wie die auf ganze Gesellschaftsformen zu ziehen. Die Ur- und Frühgeschichte befasst sich ja nicht mit schriftlichen Zeugnissen, sondern mit dem, was aus der Erde gegraben wird, und das ist oft leider spärlich.

Ariane Rüdiger: Sie betreiben auch ein Reiseprojekt, "nebenan", mit dem Sie Reisen zu Frauenprojekten durchführen. Wie verträgt sich das?

Martina Schäfer: Wir haben die Inhalte der Reisen sehr geändert. Bei "nebenan"-Reisen und -Vorträgen fragen wir heute nicht mehr: "Wo sehen wir hier das Matriarchat?", sondern "Lässt sich aus dem, was man hier gefunden hat, irgendwas hinsichtlich der Lebensweise der damals existierenden Menschen schließen? Kann man irgendwelche dieser Schlüsse speziell auf Frauen beziehen?" Das ist ein großer Unterschied, denn wir gehen nicht mehr davon aus, zu wissen, in welcher Gesellschaftsform die damaligen Menschen lebten.

Ariane Rüdiger: Außerdem haben Sie beim Querverlag Mitte der 90er den Roman "Die Tafeln der Maeve" veröffentlicht, in dem ebenfalls die Matriarchats-These vertreten wird und noch dazu eine überholte These aus der Biologie, die von der Tötungshemmung unter gleichgroßen Säugetieren der gleichen Art.

Martina Schäfer: Das ist richtig. Das Buch beruht auf dem Matriarchats-Bild von Gimbutas, deren Theorie ich bis vor einigen Jahren vertreten habe. Die ersten Notizen entstanden 1991, die ersten Belege dafür, dass die Tötungshemmung nicht existiert, fand man Mitte der 90er Jahre, als "Die Tafeln der Maeve" erschienen. Da hatte ich mich geistig bereits wieder weiter bewegt. Insofern haben mich die Ereignisse überholt.

Ariane Rüdiger: Zurück zur "Wolfsfrau im Schafspelz": Sie gehen mit Ihrer Kritik dort wesentlich weiter, als nur die Matriarchatshypothese abzulehnen. Matriarchatstheoretikerinnen übernehmen - bewusst oder unbewusst - oft autoritäres Gedankengut, behaupten Sie. Das wird sicher Proteststürme hervorrufen.

Martina Schäfer: "Die Wolfsfrau im Schafspelz" ist in erster Linie eine Literaturanalyse: Ich verfolge die Idee des Matriarchats von ihren Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute. Sie ist leider mit rassistischem, autoritärem Gedankengut verbunden, auch wenn sich einzelne AutorInnen dessen möglicherweise gar nicht bewusst sind. Man muss sich vor Augen halten, dass die Matriarchatstheorien zur selben Zeit entstanden, als die Frauen begannen, sich zu emanzipieren. So gesehen, können sie genauso gut in die Vergangenheit projizierte Warnungen oder Drohungen sein, was passiert, wenn man den Frauen zu viel durchgehen lässt, denn erfunden haben diese Theorien allesamt Männer. Erst in der zweiten Generation kamen Frauen dazu.

Ariane Rüdiger: Die Begriffe "autoritär" und oder "totalitär" geht aber noch wesentlich weiter.
Martina Schäfer: Richtig. Mein Handwerkszeug zum Nachweis solcher Strömungen in den Texten ist vor allem Theodor W. Adornos "Studien zum autoritären Charakter". Er befasst sich vor allem mit fundamental-christlicher Argumentation, aber die Merkmale totalitärer Sprache lassen sich auf alle Gattungen von Texten anwenden. Dazu gehört zum Beispiel, dass eine Bevölkerungsgruppe für besser gehalten wird und man ihr deshalb mehr Macht zuschreibt, dann eine Art Führerprinzip, die Ablehnung von wissenschaftlichen Methoden und rationalen Argumenten und ein utopischer Bezug auf die Vergangenheit. Die LeserInnen werden vereinnahmt und in Richtung eines ständigen, aktiven Einsatzes für die betreffenden Vorstellungen beeinflusst. Außerdem habe ich auch die sozialen Settings der Praxis von Matriarchatstheorien betrachtet. Dabei habe ich sektenkritische Ansätze zugrunde gelegt. Ich habe mich bei den Beispielen für soziale Settings weitgehend auf das Hagia-Projekt von Heide Göttner-Abendroth beschränkt, weil ich damit eigene Erfahrungen gesammelt habe. Leider kann man dort und in den von mir analysierten Texten sehr wohl autoritäre beziehungsweise sektenähnliche Merkmale feststellen. Für die Akademie Hagia habe ich das ja oben schon erklärt. In allen matriarchalen Texten findet sich zum Beispiel das Moment der Utopie in der Vergangenheit, Frauen werden kategorisch für besser gehalten als Männer, bei manchen Autorinnen findet sich auch explizit die Rechtfertigung von Gewalt, wenn sie nur im Namen des Matriarchats geschieht. Ein Beispiel ist der Heros-Tod bei Heide Göttner-Abendroth oder die Klitoris-Beschneidung bei Meier-Seethaler. Noch am ehesten akzeptabel sind von den Matriarchats-Autorinnen M.E. König und Marija Gimbutas, aber die Erkenntnisse beider sind nicht haltbar. Gimbutas zum Beispiel, die am Ende in den USA als Professorin arbeitete, hat neuere Forschungen am Ende ihres Lebens einfach nicht mehr in ihre Arbeiten integriert, sondern alles so gelassen, wie es schon in den Sechzigern dastand, obwohl ihre Aussagen neueren wissenschaftlichen Befunden widersprachen.

Ariane Rüdiger: Sie führen jüngere Autorinnen auf geistige Wurzeln zurück, die in dem Buch ausführlich besprochen werden. Allerdings ist ausgerechnet Robert von Ranke-Graves, auf den sich Heide Göttner-Abendroth vor allem beruft, nicht aufgeführt und dargestellt.

Martina Schäfer: Das liegt daran, dass er nicht die geistige Hauptquelle ihrer Arbeit ist. Die ist in Wirklichkeit Joseph Campbell, den ich ausführlich darstelle. Campbell hat in dem Buch "Der Heros in tausend Gestalten" die Figur des Heros erfunden, aus der bei Heide Göttner-Abendroth "Die Göttin und ihr Heros" wird. Sein Buch wurde 1999 zum letzten Mal aufgelegt.

Ariane Rüdiger: Er taucht aber in den Literaturverzeichnissen bei Heide Göttner-Abendroth nicht auf.

Martina Schäfer: Er wurde von Göttner-Abendroth nicht zitiert, weil dann klar gewesen wäre, dass sie ihre Heros-Idee nicht selbst entwickelt, sondern nur mit Betonung der weiblichen Komponente umgeschrieben hat. Das ist leider eine durchaus gängige Praxis in der Wissenschaft. Aber neben der Tatsache, dass Campbells Bücher in den Regalen der Akademie Hagia standen, lässt sich auch anhand von Texten von Heide Göttner-Abendroth nachweisen, dass sie Campbell gelesen haben muss, auch wenn sie es nicht zugibt. Es gibt bei Heide Göttner-Abendroth eine Gedichtzeile, die heißt: "Der Heros in tausend Gestalten" - der Titel des oben erwähnten Campbell-Buches! Campbells Zentralfigur ist der Heros, der in seinem Leben heldenhafte Taten vollbringen muss, wobei er davon ausgeht, dass es in jeder Kultur Ausnahmemänner, eben jene Heroen, gibt, die nicht sie selbst sind, sondern eine Kultur verkörpern und deren Taten daher auch nicht mit den normalen Maßstäben gemessen werden dürfen. Die Frau begleitet den Helden als schützende Macht. Ein solcher Held ist für Campbell zum Beispiel Napoleon. Er beruft sich häufig auf Oswald Spengler, dessen Buch, "Der Untergang des Abendlandes", einer der Wegbereiter dees Nazismus war. Bei Ranke-Graves findet man vom Heros dagegen nichts.

Ariane Rüdiger: Das Göttner-Abendroth-Kapitel, übrigens das umfangreichste des Buches, trägt die Überschrift "Vom Matriarchat zum Frauenprojekt". Einmal davon ausgegangen, die Kritik an Heide Göttner-Abendroth sei berechtigt: Müssen sich hier nicht viele Frauenprojekte mitgemeint fühlen, obwohl sie mit autoritären Strömungen nichts am Hut haben?

Martina Schäfer: Leider ist es so, dass viele in den Siebzigern entstandene Frauenprojekte teilweise autoritäre Strukturen haben, die sich manchmal bis in die Gegenwart ziehen. Ein Beispiel: Oft können die VorständInnen solcher Projekte, die meist von einem eingetragenen Verein getragen sind und die Gemeinnützigkeit anstreben oder besitzen, nicht abgewählt werden. In der Satzung wird das dann so verpackt, das der Vorstand nur aus dem Kreis der Aktiven kommen darf oder Ähnliches. Nun ist der Kreis der Aktiven typischerweise so klein, dass es eben immer dieselben Frauen sind, die quasi automatisch, ohne dass die Mitfrauen der Trägervereine das beeinflussen können, im Vorstand landen. Wir fanden das in den Anfangsjahren gut mit dem Argument, dass die Frauen, die di Arbeit machen, auch den meisten Einfluss haben sollen. Heute würde ich allerdings diese Praktiken als undemokratisch bezeichnen, weil sie den Einfluss der Mitglieder beschneiden, was dem Charakter eines eingetragenen Vereins gerade zuwider läuft. Statt dessen sollten sich die vOrständInnen einfach zur Wahl stellen. Jede, die jemals in irgendwelchen Vereinen mitgewirkt hat, weiß, dass man meistens sowieso froh sein kann, jemanden für die Arbeit zu finden, so dass eine Abwahl sowieso unwahrscheinlich ist.

Ariane Rüdiger: Aber ohne diese Konstruktionen wäre möglicherweise niemals eine so umfangreiche Projektlandschaft entstanden.

Martina Schäfer: Das ist richtig. Wie schon gesagt, fanden wir alle, mich eingeschlossen, derartige Konstrukte in der Anfangszeit der autonomen Frauenbewegung richtig und funktionsfähig. Nun sind aber viele Jahre ins Land gegangen, und vieles hat sich verändert. Heute würde ich so etwas nicht mehr wollen. Es geht nicht darum, die Vergangenheit zu verteufeln, sondern sich als selbstkritik- und entwicklungsfähig zu erweisen. Diesen Prozess muss die Frauenbewegung genau so durchmachen wie die Linke.

Martina Schäfer,
Die Wolfsfrau im Schafspelz. Autoritäre Strukturen in der Frauenbewegung.

ISBN3-7205-2234-2
Hugendubel Verlag München
Hardcover, 255 Seiten, 38,90 DM
 
   
   
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