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Diana Voigt schrieb
die Lebensgeschichte der Sidonie Csillag, und gleichzeitig die Geschichte des letzten
Jahrhunderts in Wien. Ines Rieder - Autorin von "Wer mit wem?" - zeichnet
verantwortlich für die ausführlichen Hintergrundinformationen in den Buch.
Arnhild Witte sprach mit der Autorin Diana Voigt.

lespress: Woher kann die Idee zu diesem Buch?
Diana Voigt: Die Idee ist bei den Interviews zu einem ganz anderen Buch entstanden.
Ursprünglich wollte ein Buch über Frauen im Alter schreiben, mit vielen
Portraits. Sidonie Csillag kannte ich schon aus meiner Kindheit, sie war eine gute
Freundin meiner Großmutter. Sie schien mir die geeignete Frau für das
erste Interview.
lespress: Warum?
Diana Voigt: Sidonie Csillag war als die Interviews damals vor 12 Jahren begannen
88 Jahre alt und hatte eine ganz intensive Wirkung auf andere Menschen. Sogar fremde
Menschen haben sie auf der Straße angesprochen. Und ich wußte natürlich
schon ein paar Details aus ihrem Leben, dass sie sogar im Alter noch viel im Ausland
war, und ein ungewöhnliches Leben geführt hatte.
Ja, und dann passierte es: Ich war total fasziniert. Zum einen wurde ich Zeugin eines
ganzen Lebens, das kaum die engsten ihrer Freundinnen je erfahren hatten, zum anderen
hielt ich hier eine hochinteressante lesbische Biografie in den Händen. Ich
warf alle ursprünglichen Pläne über den Haufen und begann mit der
Lebensgeschichte von Sidonie C.
lespress: Hat Sidonie leicht von ihrer Liebe zu Frauen erzählt?
Diana Voigt: Nachdem Sidonie gemerkt hatte, dass ich lesbisch bin - ich halte
mit meinem Leben nicht hinter dem Berg und wir waren uns ja schon seit Jahren bekannt
- fing sie an von den Frauen in ihrem Leben zu erzählen. Von Leonie Puttkamer,
ihrer Jugendliebe, der sie jahrelang treu ergeben war. Leonie war in den 20er Jahren
eine stadtbekannte Nobelprostituierte in Wien gewesen, deren Liebe allerdings den
Frauen galt - auch das war stadtbekannt. Und sie erzählte immer mehr Details
von weiteren Frauen und Männern in ihrem Leben. Auch war sie als junge Frau
Patientin von Freud gewesen: seine lesbische Patientin.
lespress: Beim Lesen fällt der große Reichtum an Details auf. Wo
habt ihr so viel erfahren?
Diana Voigt: Die persönlichen Details sind alle aus den Gesprächen
mit Sidonie gezogen. Es lebte niemand von den Menschen aus ihrer Jugend mehr. Aber
ich habe auch mit Kindern und Enkeln der Menschen in Wien gesprochen, die ich kannte
und die Sidonie kennengelernt haben. Sie war ja einen Frau mit großem Bekanntenkreis
auch in den jüngeren Generationen. Weitere Details stammen aus der Archivrecherche
von Ines Rieder.
lespress: Hat Sidonie leicht von ihrem Leben erzählt?
Diana Voigt: Sie hat gerne von ihrem Leben erzählt. Die Erinnerungen
waren da, ich hörte zu, später kam noch Ines Rieder dazu. Ich glaube Sidonie
hat es genossen, uns von ihrem Leben zu erzählen. Vor allem, weil sie es in
dieser Ausführlichkeit noch niemandem erzählt hat.
lespress: Warum wußten nur so wenige Menschen von Sidonies Liebe zu
Frauen?
Diana Voigt: Sidonie gehörte zur Wiener high society und wollte auch
dazu gehören. Das war ihr Leben. Sie hat erst spät in ihrem Leben gearbeitet,
und dann auch nur, weil ihr Geld aufgebraucht war. Ansonsten lebte sie gemäß
ihrer Herkunft. Dazu gehörte dann auch eine Hochzeit. Ihr Mann Ed Weitenegg
scheint sie mit seiner Offiziers Haltung beeindruckt zu haben, aber von Liebe und
Leidenschaft, wie sie es für ihre Frauen entwickelt hat, war nicht viel zu spüren.
lespress: Wie ist es mit den anderen Männern in ihrem Leben?
Sidonie war schon vor Ed einmal sehr verliebt gewesen in einen Mann. Er erwiderte
die Gefühle nicht.
lespress: Sidonie kam aus jüdisch-assimilierten Elternhause und heiratet
einen ehemaligen Offizier, der mit den Österreichisch-Nationalen sympathisierte?
Diana Voigt: Ja, sie war Jüdin nach den Nürnberger Rassengesetzen.
Gleichzeitig hat sie selbst sich nie als Jüdin gefühlt und war sogar durchaus
antisemitisch eingestellt: zu denen gehöre ich nicht! Ihr Mann engagierte sich
intensiv bei den österreichischen Nationalsozialisten, das war für sie
kein großes Übel. Schlimmer fand sie, dass er sie und ihre Familie - bzw.
das noch vorhandene Geld ausnutzte. Sie hat sich bis zuletzt geweigert, für
sich eine Gefahr durch den Nationalsozialismus zu sehen, das führte dann auch
zu dieser völlig verspäteten Flucht aus Wien. Mit einem der letzten Züge
ist sie über Rußland nach Japan und weiter nach Kuba geflohen, wo ihre
Brüder bereits Asyl gefunden hatten.
lespress: Was macht Sidonie Csillag so faszinierend?
Diana Voigt: Sidonie ist keine Heldin, keine Vorzeige-Lesbe, keine perfekte
Liebhaberin. Sie ist überaus widersprüchlich. Sie ist einerseits eine normale
Frau aus gutem Hause und gleichzeitig eine ganz außergewöhnliche und starke
Frau, mit ungewöhnlichen Methoden ihren Willen durchzusetzen. Sie ist zu leidenschaftlichen
Gefühlen fähig und kann sie gleichzeitig nicht ausleben. Wenn man sie kennen
lernte, hatte sie eine starke Wirkung, vielleicht ist das auch im Buch rüber
gekommen.
lespress: Die ersten Gespräche mit Sidonie waren vor 12 Jahren. Wie ging
es weiter?
Diana Voigt: 1996 konnte ich Ines Rieder für meine Idee gewinnen. Sie
steuerte die ausführliche Recherchearbeit zum Buch bei. Alle geschichtlichen
Fakten stammen von ihr. Ebenso hat sie in Archiven in Österreich, Deutschland
und im Ausland nach den beteiligen Personen geforscht. So konnten wir über den
Verbleib der Menschen erzählen, die Sidonie aus den Augen verloren hatte. Nur
bei Wjera Fechheimer brechen die Spuren plötzlich ab. Sie verlieren sich in
München kurz nach ihrer Trennung von Sidonie. Wir wissen nichts über ihr
späteres Leben. Das ist schade, weil sie eine so wichtige Frau in Sidonies Leben
war. 1996 intensivierten wir wieder den Kontakt mit Sidonie und interviewten sie
jetzt beide. Aus dem Material entstand dann der Entwurf, der vom Deuticke Verlag
angenommen wurde.
Dann folgten in den letzten 1 1/2 Jahren noch einmal intensive Arbeit an dem Buch
und noch einmal Gespräche mit Sidonie. Sie wurde 99 Jahre alt.
Bei einem meiner Besuche, sie war seit langem schon meine Freundin geworden, ist
sie gestorben.
BUCHBESPRECHUNG
Heimliches Begehren
Lesbenliteratur mit Anspruch. Dieses Buch vereint die Lebensgeschichte
einer starken, eigenwilligen Frau, die Geschichte Österreichs der letzten hundert
Jahre, ein Frauenleben in der "guten Wiener Gesellschaft" und ein Stück
Lesbengeschichte in sich. "Heimliches Begehren" ist damit weit mehr als
die Biografie der Sidonie Csillag, geboren 1900 in Wien. Es ist auch eine Dokumentation
des 20. Jahrhunderts, die streckenweise sogar die Person Sidonie in den Hintergrund
drängt. Sidonie wird dennoch immer wieder greifbar. Sie kommt uns weniger wegen
ihrer Abenteuer als durch ihren widerspenstigen Charakter und ihre höchst eigene
Art, ihr Leben einzurichten, nahe. Ihr zwiespältiges Verhältnis zu Frauen
und Männern. Ihre leidenschaftliche Liebe zu Frauen, für die sie alles
tut und die sie gleichzeitig nicht zu leben wagt. Sehr genau lernen wir die junge
Sidonie kennen. Ihre Liebe zu Leonie Puttkamer und ihre außergewöhnlichen
Methoden sie auch gegen den Willen ihrer Umgebung durchzusetzten.
Nach zwei Weltkriegen, Nationalsozialismus und Emigration nach Kuba rückt Sidonies
Leben wieder in den Vordergrund. Wir erleben ihr ungewöhnliches Altern und begleiten
sie durch die halbe Welt bis zu ihrem Tode 1999 in Wien. Vielleicht macht das das
Buch so faszinierend: wir lernen eine starke Frau mit vielen Widersprüchen kennen
- kein Idealbild sondern eine äußerst reale Frau. Ein intensives, bis
zum Rand gefülltes Buch.Sowohl von der Biografie als auch von dem Detailreichtum
des dokumentarischen Teils kann die geneigte Leserin nur profitieren. Bezeaubernd
ist auch der leichte Wiener Singsang des Buches.
Arnhild Witte |
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