Das erste Mal  
  Es war einer von diesen Tagen, Sie wissen schon: morgens erst einmal Salz in den Tee, dann schnell zur Straßenbahnhaltestelle, die mal wieder wegen Bauarbeiten ins Nirgendwo verlegt worden ist, und dann abgehetzt beim Arzt ankommen, um zu erfahren, dass der Termin doch erst am nächsten Tag ist. So ein Tag also - perfekt, um meinem ohnhin schon chaotischen Leben noch den Rest zu geben: ich hatte mich verliebt. In Ihren Augen mag das Ñdas schönste und natürlichsteì der Welt sein, in meinem Fall jedoch war es der Anfang vom Ende, zumal ich mich eigentlich aus Prinzip nicht verliebe.
Aber jetzt mal der Reihe nach. Also, ich heiße Darleen (ja, genau wie die Tochter bei Roseanne) und bin 20 Jahre alt. Ich weiß, einige von Ihnen halten mich deshalb für noch sehr jung und unerfahren - aber ich bin fest von meiner Reife überzeugt, immerhin bin ich ein Trennungskind (meine Mutter verließ meinen Vater letztes Jahr) und außerdem ist mein Hamster in einer prägenden Phase meiner Kindergartenzeit verstorben. Aber bitte, bitte, das soll Sie nicht in Ihrer Meinung beeinflussen.
Wenn ich nicht gerade Arzttermine durcheinander bringe, studiere ich im 2. Semester Literaturwissenschaft, neuere deutsche, hänge gern mit Büchern bepackt im Bett rum oder veranstalte mit meinen FreundInnen Spontanpicknicks, die allerdings selten aus mehr als diversen Chips- und Schokoladenresten bestehen. Ich bin Vegetarierin, glaube nicht an Gott und hasse alle Arten von Kindern und Tieren. Vermutlich wirke ich öfter etwas unbeholfen und nicht so wichtig wie Damen und Herren der Rechtswissenschaften. Im Großen und Ganzen also eine völlig normal durchgeknallte Studentin der Literaturwissenschaft, der neueren deutschen.
Das letzte Mal, dass ich verliebt war, ist gut fünf Jahre her und endete äußerst tragisch. Der Auserkorene brach sich beim Fußballspielen das Bein und ward fortan nur noch in Begleitung einer blonden Krankenschwester gesehen. Nach Jahren der emotionalen Abstinenz hatte es mich sehr zu meinem eigenen Leidwesen wieder erwischt. Sobald ich mich dem Opfer meiner Gefühlwirrungen näherte, verursachten mir die Albatrosse in meinem Magen Übelkeit mit ihren Start- und Landeversuchen, meine Gesichtsfarbe machte jedem Chamäleon Konkurrenz und meine rhethorischen Fähigkeiten wurden sogar von Kermit, dem Frosch übertroffen (Applaus, Applaus, Applaus). Ich weiß wirklich nicht, was andere Menschen an diesem Gefühlszustand toll finden - ich hasse ihn. Es hat nichts Aufregendes, Romantisches, Himmelhochjauchzendes - es ist einfach nur demütigend, sich wie eine Vollidiotin zu benehmen.
Nachdem ich also an jenem Tage mit hochrotem Kopf aus der Arztpraxis gestolpert bin und den Arzthelferinnen durch meine kleine Verwechslung genug Stoff für ihre Mittagspause gegeben hatte, beschloss ich, noch einen kleinen Einkaufsbummel einzulegen, da meine Nichte bald ihren 1. Geburtsag zu feiern gedachte. Falls ich oben erwähnt haben sollte, dass ich Kinder hasse, so möchte ich erwähnen, dass meine Nichte natürlich eine Ausnahme ist. Ich also rein ins nächste Spielwarengeschäft, kurz der Versuchung widerstanden, jeden Teddybären einzeln zu knuddeln und weiter zu den allseits beliebten Kaurasseln. Und dann war es um mich geschehen, inmitten diverser Babyartikel traf mich Amors Pfeil unvermittelt mit einer solchen Heftigkeit, dass ich wie gelähmt dastand. Rational gesehen passierte natürlich nichts anderes, als dass mein Körper zu viele Hormone ausschüttete. Aber dieses Lächeln. Ich habe noch nie einen Menschen mit einem offeneren, vertrauteren Lachen gesehen. Der Blick aus den moosgrünen Augen war konzentriert auf das Lego gerichtet, das ihre Hände geschickt aus dem Karton nahmen, um es mit größter Eleganz und Grazie ins Regal für ÑKinder ab 5 Jahrenì zu sortieren. Schnell legte ich das Geschenk für meine Nichte beiseite und hastete zu den Denksportspielen, damit sie, falls sie mich entdecken würde, gleich einen guten Eindruck bekommen würde. Lachen Sie nicht! Oder möchten Sie mit einer Frau zusammensein, die bei Wörtern wie orgiastisch, lasziv, voyeuristisch ein verständnisloses, blödes ÑÄhì von sich gibt. Da stand ich also mit Rubiks neuester Erfindung in der einen Hand und einem indonesischen Geduldspiel in der anderen, bis sie plötzlich neben mir stand und mich höflich fragte, ob sie mir denn behilflich sein könnte. Was dann folgte, war ein peinliches Gestottere meinerseits, das ich Ihnen nur allzu gerne erspare. Nach zehn hypnotisierten Minuten fand ich mich in der Fußgängerzone stehend wieder mit dem indonesischen Spiel in der Hand, dessen Anleitung ich auch heute nach dem fünften Mal durchlesen noch nicht verstehe.
Lange habe ich sie an jeder Ecke stehen sehen. In jedem Zahnpastawerbespot lächelte sie mir vertrauensvoll entgegen. Meine Gedanken kreisten nur um sie, und ich machte einen großen Bogen um das Spielwarengeschäft. Warum, fragen Sie? Ähm, weil ich keine Zeit hatte für solchen Firlefanz, weil ich zu jung war für die Liebe, weil ich meine FreundInnen nicht veranchlässigen wollte. Ach, es gab tausend Gründe... Oder den einen: einfach deswegen, weil es das erste Mal war, dass ich mich in eine Frau verliebt hatte.
Wie das ganze ausging? - Ich habe dieses Spielwarengeschäft seitdem nicht wieder betreten und als ich eingangs erwähnte, dass dieser Tag der Anfang vom Ende war, so entspricht das durchaus der Wahrheit: er war der Anfang vom Ende einer Zeit, in der ich meine Gefühle nicht benennen konnte, der Anfang vom Ende einer Zeit der Einsamkeit und der Selbstzweifel.
Die Verkäuferin habe ich nie kennengelernt - aber andere Mütter haben ja auch schöne Spielwarenverkäuferinnentöchter.

C.S.
 
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